Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Die allgemeine Volksschule und die soziale Frage die Wurzel alles Übels, die kurzsichtige Selbstsucht, überwinden, sie wird lehren, Aber es gehört ein kindlich gläubiges Gemüt dazu, den Versicherungen Wir möchten wohl wissen, was Herr Scherer unter "religiös-sittlich" Und wenn nun der wirtschaftliche Streit zwischen Parteien entbrennt, die ^) Gemeine ist doch wohl: Gleichartigkeit, ein Wort, das vor dem oben gebrauchten den
Vorzug hat, daß es deutsch und daß es richtig ist. Man sagt zwar, wenn dnrchnns Fremd¬ wörter gebraucht werden sollen, homogen, aber nicht Homogenität, sondern Homogeneitiit ltiorooß'>zö.eit!6). Die allgemeine Volksschule und die soziale Frage die Wurzel alles Übels, die kurzsichtige Selbstsucht, überwinden, sie wird lehren, Aber es gehört ein kindlich gläubiges Gemüt dazu, den Versicherungen Wir möchten wohl wissen, was Herr Scherer unter „religiös-sittlich" Und wenn nun der wirtschaftliche Streit zwischen Parteien entbrennt, die ^) Gemeine ist doch wohl: Gleichartigkeit, ein Wort, das vor dem oben gebrauchten den
Vorzug hat, daß es deutsch und daß es richtig ist. Man sagt zwar, wenn dnrchnns Fremd¬ wörter gebraucht werden sollen, homogen, aber nicht Homogenität, sondern Homogeneitiit ltiorooß'>zö.eit!6). <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0108" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/212584"/> <fw type="header" place="top"> Die allgemeine Volksschule und die soziale Frage</fw><lb/> <p xml:id="ID_290" prev="#ID_289"> die Wurzel alles Übels, die kurzsichtige Selbstsucht, überwinden, sie wird lehren,<lb/> sich weise zu beschränken, verständig zu verzichten, geduldig zu tragen, wenn<lb/> es das große Ganze, wenn es die „Homogenität" des Volks,*) wenn es die<lb/> nationale Größe des Vaterlands fordert; sie wird erreichen, daß der Mensch<lb/> seinen persönlichen und nahen Vorteil einem fernen und unpersönlichen bereit¬<lb/> willig nachstellt. Sie wird Herren schaffen, denen das Wohl ihrer Diener am<lb/> Herzen liegt, wie das eigne, Knechte, die in herzlicher Ehrerbietung und Be¬<lb/> scheidenheit ihren Herren entgegenkommen, Fabrikanten, die gern und freudig<lb/> ihren Arbeitern einen billigen Anteil am Gewinne geben, Arbeiter, die bei<lb/> schlechten Zeitläufen willig ihren Lohn herabsetzen, kurz, sie wird den Himmel<lb/> auf Erden schaffen.</p><lb/> <p xml:id="ID_291"> Aber es gehört ein kindlich gläubiges Gemüt dazu, den Versicherungen<lb/> des Herrn Scherer zu glauben. Wir haben dieses Gemüt nicht. Wir finden,<lb/> daß wenig Aussicht vorhanden ist, die Schule werde jetzt zu Ende des neun¬<lb/> zehnten Jahrhunderts fertig bringen, was etlichen Jahrtausenden nicht gelungen<lb/> ist. Der Mensch bleibt doch immer, was er gewesen ist, ein geborner Egoist.<lb/> Das Hemd ist ihm näher als der Rock, der persönliche Nutzen steht ihm näher<lb/> als ein unpersönlicher. Es sind immer nur einzelne gewesen, die um des<lb/> großen Ganzen willen sich selbst weise beschränkten. Die große Menge hat<lb/> von jeher dem Nutzen oder dem Zwange gehorcht. Und diese große Menge<lb/> soll nach Scherer umgewandelt, gleichsam neu geboren werden durch Dar¬<lb/> bietung eines gleichartigen nationalen Vildungsstvffs; dieser nationale Vildungs-<lb/> ftoff soll sie zu religiös-sittlichen Menschen umgestalten. Die kirchlich-dogma¬<lb/> tische Schulbildung giebt ja keine feste religiös-sittliche Weltanschauung, wohl<lb/> aber die einheitlich nationale Bildung, die thut es.</p><lb/> <p xml:id="ID_292"> Wir möchten wohl wissen, was Herr Scherer unter „religiös-sittlich"<lb/> versteht. Wahrscheinlich die Liebe zum Vaterlande, die Begeisterung für alles<lb/> Wahre, Gute, Schöne und Edle, das andächtige Gefühl, das aus der Be¬<lb/> wunderung der Güte Gottes sowie der eignen Güte entsteht, das Bekenntnis<lb/> zu der heiligen Dreieinigkeit: Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. Dies giebt<lb/> die gepriesene sichere und unerschütterliche Weltanschauung. Man stelle sich<lb/> nur die durch solche Mittel gegen alle Versuchnngei, des Lebens gefeite Seele<lb/> eines Bauerjungen vor!</p><lb/> <p xml:id="ID_293" next="#ID_294"> Und wenn nun der wirtschaftliche Streit zwischen Parteien entbrennt, die<lb/> sich diesseits und jenseits der Landesgrenze befinden, zum Beispiel zwischen<lb/> sächsischen Ökonomen und polnischen Arbeiterinnen, wird der national-sittlich<lb/> erzogne Herr jenen Fremdlingen gegenüber eine Verpflichtung habe»? Er</p><lb/> <note xml:id="FID_6" place="foot"> ^) Gemeine ist doch wohl: Gleichartigkeit, ein Wort, das vor dem oben gebrauchten den<lb/> Vorzug hat, daß es deutsch und daß es richtig ist. Man sagt zwar, wenn dnrchnns Fremd¬<lb/> wörter gebraucht werden sollen, homogen, aber nicht Homogenität, sondern Homogeneitiit<lb/> ltiorooß'>zö.eit!6).</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0108]
Die allgemeine Volksschule und die soziale Frage
die Wurzel alles Übels, die kurzsichtige Selbstsucht, überwinden, sie wird lehren,
sich weise zu beschränken, verständig zu verzichten, geduldig zu tragen, wenn
es das große Ganze, wenn es die „Homogenität" des Volks,*) wenn es die
nationale Größe des Vaterlands fordert; sie wird erreichen, daß der Mensch
seinen persönlichen und nahen Vorteil einem fernen und unpersönlichen bereit¬
willig nachstellt. Sie wird Herren schaffen, denen das Wohl ihrer Diener am
Herzen liegt, wie das eigne, Knechte, die in herzlicher Ehrerbietung und Be¬
scheidenheit ihren Herren entgegenkommen, Fabrikanten, die gern und freudig
ihren Arbeitern einen billigen Anteil am Gewinne geben, Arbeiter, die bei
schlechten Zeitläufen willig ihren Lohn herabsetzen, kurz, sie wird den Himmel
auf Erden schaffen.
Aber es gehört ein kindlich gläubiges Gemüt dazu, den Versicherungen
des Herrn Scherer zu glauben. Wir haben dieses Gemüt nicht. Wir finden,
daß wenig Aussicht vorhanden ist, die Schule werde jetzt zu Ende des neun¬
zehnten Jahrhunderts fertig bringen, was etlichen Jahrtausenden nicht gelungen
ist. Der Mensch bleibt doch immer, was er gewesen ist, ein geborner Egoist.
Das Hemd ist ihm näher als der Rock, der persönliche Nutzen steht ihm näher
als ein unpersönlicher. Es sind immer nur einzelne gewesen, die um des
großen Ganzen willen sich selbst weise beschränkten. Die große Menge hat
von jeher dem Nutzen oder dem Zwange gehorcht. Und diese große Menge
soll nach Scherer umgewandelt, gleichsam neu geboren werden durch Dar¬
bietung eines gleichartigen nationalen Vildungsstvffs; dieser nationale Vildungs-
ftoff soll sie zu religiös-sittlichen Menschen umgestalten. Die kirchlich-dogma¬
tische Schulbildung giebt ja keine feste religiös-sittliche Weltanschauung, wohl
aber die einheitlich nationale Bildung, die thut es.
Wir möchten wohl wissen, was Herr Scherer unter „religiös-sittlich"
versteht. Wahrscheinlich die Liebe zum Vaterlande, die Begeisterung für alles
Wahre, Gute, Schöne und Edle, das andächtige Gefühl, das aus der Be¬
wunderung der Güte Gottes sowie der eignen Güte entsteht, das Bekenntnis
zu der heiligen Dreieinigkeit: Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. Dies giebt
die gepriesene sichere und unerschütterliche Weltanschauung. Man stelle sich
nur die durch solche Mittel gegen alle Versuchnngei, des Lebens gefeite Seele
eines Bauerjungen vor!
Und wenn nun der wirtschaftliche Streit zwischen Parteien entbrennt, die
sich diesseits und jenseits der Landesgrenze befinden, zum Beispiel zwischen
sächsischen Ökonomen und polnischen Arbeiterinnen, wird der national-sittlich
erzogne Herr jenen Fremdlingen gegenüber eine Verpflichtung habe»? Er
^) Gemeine ist doch wohl: Gleichartigkeit, ein Wort, das vor dem oben gebrauchten den
Vorzug hat, daß es deutsch und daß es richtig ist. Man sagt zwar, wenn dnrchnns Fremd¬
wörter gebraucht werden sollen, homogen, aber nicht Homogenität, sondern Homogeneitiit
ltiorooß'>zö.eit!6).
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