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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche .sranenviN'ein Reform

oder klein ist. Wenn es Fran Kettler durch ihre Anstrengungen dahin bringt,
daß die bestehenden natürlichen Unterschiede von der Natur abgeschafft werden,
dann könnte man den Satz von "willkürlich herbeigeführter Differenz" der beiden
Geschlechter gelten lassen. Vorläufig bleibt er eine potiti" j>on0i>in. eine den
Thatsachen widersprechende Behauptung, und da sich auf dieser haltlosen An¬
nahme alle weitem Folgerungen des Schriftchens aufbauen, wärm wir eigent¬
lich schon am Ende angelangt. Es verlohnt sich aber noch ein paar weitere
Betrachtungen anzuknüpfen.

Wenn Frau Kettlcr von ihrem schiefen Standpunkt aus zu der Forderung
gymnasialer und akademischer Bildung der Frau gelaugt, um die vermeintliche
Gleichheit hervortreten zu lassen, so muß es bei Anerkennung der vorhandnen
Unterschiede statt "allen das gleiche" vielmehr heißen "jedem das seine." Wo
aber das eigentliche Gebiet der Iran liegt, darüber ist selbst die Verfasserin
nicht im unklaren, denn sie erklärt ganz richtig den Beruf der Hausfrau und
Mutter für den natürlichen Beruf des Weibes. Um so ungerechtfertigter ist
aber die Behauptung, daß die Frauen infolge ihrer "mangelhaften Bildung"
heutzutage "ihren Beruf fo unvollkommen wie möglich erfüllen." Wörtlich fo
bei Frau Kelller zu lesen, die natürlich nicht daran denkt, etwas zu sagen,
was sie nicht aus Erfahrung bekräftigen kaum! "Gattinnen, die so schlechte
Gattinnen sind, daß sie dem Manne nicht zu genügen vermögen, Mütter, die
so schlechte Mütter sind, daß sie ihre Söhne und Töchter nicht zu einem ehren¬
haften, nützlichen Lebenswandel zu erziehen, vermögen," das ist nach Frau Kettler
der Typus der heutigen Frauen! Die deutscheu Hausfrauen möge" sich bei
der Verfasserin für dieses Konterfei bedanken, die deutschen Männer erklären
es für ein häßliches Zerrbild. Man sollte nach den Worten der Fran Kettler
wirklich meinen, unsre Jungfrauen würden in Verdummung und Roheit gro߬
gezogen. Es ist uicht der Mühe wert, die deutsche Mädchenerziehung gegen
so ungeheuerliche Verdrehungen in Schutz zu nehmen. Niemand bestreite, daß
es wie bei deu Männern so auch bei den Frauen mehr oder weniger Beispiele
verunglückter Erziehung giebt, aber ebensowenig ist es zu bestreikn, daß trotz
"der Dämmerung unsrer Tage" die deutschen Mädchen sür ihren natürlichen
Beruf im allgemeinen gut vorbereitet werden, und daß nicht sowohl ge¬
ringere Ausbildung als vielmehr geringere Lust und Liebe zu ihrer natürlichen
Thätigkeit manchmal ein Hindernis ihres Lebensglückes bilden. Wenn die
Männer über etwas klagen, so ist es uicht das mangelhafte "Wissen" ihrer
Frauen, sondern vielmehr ein geringeres "Können" im Vergleich zu der Menge
des Wissens. Hier aber die Ausgleichung durch weitere Vermehrung des Wissens¬
stoffes herbeiführe" zu wollen, "das ist -- verzeihen Sie das harte Wort -- das
ist Unsinn." Wie soll es möglich sein, wirtschaftliche Ausbildung, gewerbliches
Geschick und erzieherische Tüchtigkeit bei den Mädchen zu steigern, wenn Zeit
und Kraft immer mehr zur Bewältigung neuer Wissensmassen aufgebraucht


Der deutsche .sranenviN'ein Reform

oder klein ist. Wenn es Fran Kettler durch ihre Anstrengungen dahin bringt,
daß die bestehenden natürlichen Unterschiede von der Natur abgeschafft werden,
dann könnte man den Satz von „willkürlich herbeigeführter Differenz" der beiden
Geschlechter gelten lassen. Vorläufig bleibt er eine potiti« j>on0i>in. eine den
Thatsachen widersprechende Behauptung, und da sich auf dieser haltlosen An¬
nahme alle weitem Folgerungen des Schriftchens aufbauen, wärm wir eigent¬
lich schon am Ende angelangt. Es verlohnt sich aber noch ein paar weitere
Betrachtungen anzuknüpfen.

Wenn Frau Kettlcr von ihrem schiefen Standpunkt aus zu der Forderung
gymnasialer und akademischer Bildung der Frau gelaugt, um die vermeintliche
Gleichheit hervortreten zu lassen, so muß es bei Anerkennung der vorhandnen
Unterschiede statt „allen das gleiche" vielmehr heißen „jedem das seine." Wo
aber das eigentliche Gebiet der Iran liegt, darüber ist selbst die Verfasserin
nicht im unklaren, denn sie erklärt ganz richtig den Beruf der Hausfrau und
Mutter für den natürlichen Beruf des Weibes. Um so ungerechtfertigter ist
aber die Behauptung, daß die Frauen infolge ihrer „mangelhaften Bildung"
heutzutage „ihren Beruf fo unvollkommen wie möglich erfüllen." Wörtlich fo
bei Frau Kelller zu lesen, die natürlich nicht daran denkt, etwas zu sagen,
was sie nicht aus Erfahrung bekräftigen kaum! „Gattinnen, die so schlechte
Gattinnen sind, daß sie dem Manne nicht zu genügen vermögen, Mütter, die
so schlechte Mütter sind, daß sie ihre Söhne und Töchter nicht zu einem ehren¬
haften, nützlichen Lebenswandel zu erziehen, vermögen," das ist nach Frau Kettler
der Typus der heutigen Frauen! Die deutscheu Hausfrauen möge« sich bei
der Verfasserin für dieses Konterfei bedanken, die deutschen Männer erklären
es für ein häßliches Zerrbild. Man sollte nach den Worten der Fran Kettler
wirklich meinen, unsre Jungfrauen würden in Verdummung und Roheit gro߬
gezogen. Es ist uicht der Mühe wert, die deutsche Mädchenerziehung gegen
so ungeheuerliche Verdrehungen in Schutz zu nehmen. Niemand bestreite, daß
es wie bei deu Männern so auch bei den Frauen mehr oder weniger Beispiele
verunglückter Erziehung giebt, aber ebensowenig ist es zu bestreikn, daß trotz
„der Dämmerung unsrer Tage" die deutschen Mädchen sür ihren natürlichen
Beruf im allgemeinen gut vorbereitet werden, und daß nicht sowohl ge¬
ringere Ausbildung als vielmehr geringere Lust und Liebe zu ihrer natürlichen
Thätigkeit manchmal ein Hindernis ihres Lebensglückes bilden. Wenn die
Männer über etwas klagen, so ist es uicht das mangelhafte „Wissen" ihrer
Frauen, sondern vielmehr ein geringeres „Können" im Vergleich zu der Menge
des Wissens. Hier aber die Ausgleichung durch weitere Vermehrung des Wissens¬
stoffes herbeiführe» zu wollen, „das ist — verzeihen Sie das harte Wort — das
ist Unsinn." Wie soll es möglich sein, wirtschaftliche Ausbildung, gewerbliches
Geschick und erzieherische Tüchtigkeit bei den Mädchen zu steigern, wenn Zeit
und Kraft immer mehr zur Bewältigung neuer Wissensmassen aufgebraucht


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[0086] Der deutsche .sranenviN'ein Reform oder klein ist. Wenn es Fran Kettler durch ihre Anstrengungen dahin bringt, daß die bestehenden natürlichen Unterschiede von der Natur abgeschafft werden, dann könnte man den Satz von „willkürlich herbeigeführter Differenz" der beiden Geschlechter gelten lassen. Vorläufig bleibt er eine potiti« j>on0i>in. eine den Thatsachen widersprechende Behauptung, und da sich auf dieser haltlosen An¬ nahme alle weitem Folgerungen des Schriftchens aufbauen, wärm wir eigent¬ lich schon am Ende angelangt. Es verlohnt sich aber noch ein paar weitere Betrachtungen anzuknüpfen. Wenn Frau Kettlcr von ihrem schiefen Standpunkt aus zu der Forderung gymnasialer und akademischer Bildung der Frau gelaugt, um die vermeintliche Gleichheit hervortreten zu lassen, so muß es bei Anerkennung der vorhandnen Unterschiede statt „allen das gleiche" vielmehr heißen „jedem das seine." Wo aber das eigentliche Gebiet der Iran liegt, darüber ist selbst die Verfasserin nicht im unklaren, denn sie erklärt ganz richtig den Beruf der Hausfrau und Mutter für den natürlichen Beruf des Weibes. Um so ungerechtfertigter ist aber die Behauptung, daß die Frauen infolge ihrer „mangelhaften Bildung" heutzutage „ihren Beruf fo unvollkommen wie möglich erfüllen." Wörtlich fo bei Frau Kelller zu lesen, die natürlich nicht daran denkt, etwas zu sagen, was sie nicht aus Erfahrung bekräftigen kaum! „Gattinnen, die so schlechte Gattinnen sind, daß sie dem Manne nicht zu genügen vermögen, Mütter, die so schlechte Mütter sind, daß sie ihre Söhne und Töchter nicht zu einem ehren¬ haften, nützlichen Lebenswandel zu erziehen, vermögen," das ist nach Frau Kettler der Typus der heutigen Frauen! Die deutscheu Hausfrauen möge« sich bei der Verfasserin für dieses Konterfei bedanken, die deutschen Männer erklären es für ein häßliches Zerrbild. Man sollte nach den Worten der Fran Kettler wirklich meinen, unsre Jungfrauen würden in Verdummung und Roheit gro߬ gezogen. Es ist uicht der Mühe wert, die deutsche Mädchenerziehung gegen so ungeheuerliche Verdrehungen in Schutz zu nehmen. Niemand bestreite, daß es wie bei deu Männern so auch bei den Frauen mehr oder weniger Beispiele verunglückter Erziehung giebt, aber ebensowenig ist es zu bestreikn, daß trotz „der Dämmerung unsrer Tage" die deutschen Mädchen sür ihren natürlichen Beruf im allgemeinen gut vorbereitet werden, und daß nicht sowohl ge¬ ringere Ausbildung als vielmehr geringere Lust und Liebe zu ihrer natürlichen Thätigkeit manchmal ein Hindernis ihres Lebensglückes bilden. Wenn die Männer über etwas klagen, so ist es uicht das mangelhafte „Wissen" ihrer Frauen, sondern vielmehr ein geringeres „Können" im Vergleich zu der Menge des Wissens. Hier aber die Ausgleichung durch weitere Vermehrung des Wissens¬ stoffes herbeiführe» zu wollen, „das ist — verzeihen Sie das harte Wort — das ist Unsinn." Wie soll es möglich sein, wirtschaftliche Ausbildung, gewerbliches Geschick und erzieherische Tüchtigkeit bei den Mädchen zu steigern, wenn Zeit und Kraft immer mehr zur Bewältigung neuer Wissensmassen aufgebraucht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/86>, abgerufen am 23.07.2024.