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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Franenveroin Reform

werden? Und müssen nicht auch Herz und Gemüt, deren Pflege und Aus¬
bildung zu deu schönsten Vorrechten und Vorzüge" der Frciueu gehört, mit
Notwendigkeit verkümmern, wenn immer größerer Nachdruck aus Versta"des-
drilluug und Wissen gelegt werde" soll? Aber Frau Kettler bewegt sich schon
in deu Kreise" eiuer "erleuchteten Zukunft," wo es bei der Frau nur uoch auf
die Masse des im Hirn augehällsten Wissens ankommen wird. Sie gleicht dem
biedern Famulus des Faust, der zwar viel wußte, aber nichts höheres kannte
als alles zu wissen.

Recht bezeichnend ist es, wie sich Frau Kettler wissenschaftliche Bildung
vorstellt, nämlich lediglich als ein gedächtnismäßiges Ureigne" von Wissen,
indem sie vom "Auswendiglernen" eiuer größern und bessern Fibel bei deu
Knaben spricht gegenüber einer geringern bei den Mädchen. Dieser Vergleich
ist "sehr tiefsinnig," denn er zeigt, daß bei weiblicher Leitung die Wissenschaft
gerade uur auf dem durch Männerleistungcu erreichten Standpunkte bleiben
würde, nicht aber auf Fortschritt zu rechnen hätte. Der Verfasserin kauu ans
ihrer Ausicht kein Vorwurf gemacht werdeu, die rezeptive Natur des Weibes
läßt sich eben nicht verleugnen; aber die Wissenschaft ist keineswegs gesonnen,
einer grauen Gleichheitstheorie zuliebe sich in ihrem Entwicklungsgange auf¬
halten zu lassen, und beabsichtigt deshalb nicht, einer Umsetzung ans dem
produktiven Mais nmsenliumn in das tominiinun oder anch nur in das Mims
eommuuo Vorschub zu leisten.

Erkennt mau es als deu natürlichem Berilf der Frauen, Gattinnen und
Mütter zu werdeu, so zeugt es von uicht geringer Kurzsichtigkeit, ihnen trotz¬
dem den Bildungsgang der Männer vorzuschreiben, die doch niemals im Leben
Gattinnen und Mütter werdeu können oder wolle". Da jeder Beruf seiner
besondern Vorbildung bedarf, schließt das Verlangen der Fran Kettler und
ihrer Anhnngerschast entweder den Vorwurf in sich, daß die Männer bisher
ihre Berufsbildung verfehlt hüben, oder es ist ein unrühmlicher Versuch, die
Frauenwelt mit Fleiß zur Verfehlung des natürlichen Berufes heranzuziehen.
Bei der Begeisterung, mit der das Schriftchen von dem Bildungsgange der
Männer spricht, kauu uur das Ablenke" der Fraue" von ihrem natürlichen
Berufe gemeint sein. Das ist aber wahrhaftig kein edles Beginnen und kann
nicht zum Segen ausschlagen, jemanden seiner natürlichen Bestimmung zu ent¬
fremden, um ihn in eine" unpassenden Beruf hineinzudrängen. Die Dinge
liegeu ja bei uus leider so, daß schon dnrch die geringere Zahl der Männer eine
größere Anzahl von Mädchen nicht zur Ehe gelaugen kann, also den natürlichen
Beruf verfehlen muß. Da man nun uicht voraus weiß, welche Mädchen von
diesem Lose betroffen werdeu, so sollte die Erziehung darauf ausgehe", alle
Mädchen derart auszubilden, daß sie nötigenfalls in einer für Frauen geeigneten
Berufsart ihren Unterhalt selbst erwerben können. Das ist aber etwas ganz
andres als das Bestreben des Vereins "Reform." Der Saku "Die Frauen,


Der deutsche Franenveroin Reform

werden? Und müssen nicht auch Herz und Gemüt, deren Pflege und Aus¬
bildung zu deu schönsten Vorrechten und Vorzüge» der Frciueu gehört, mit
Notwendigkeit verkümmern, wenn immer größerer Nachdruck aus Versta»des-
drilluug und Wissen gelegt werde« soll? Aber Frau Kettler bewegt sich schon
in deu Kreise» eiuer „erleuchteten Zukunft," wo es bei der Frau nur uoch auf
die Masse des im Hirn augehällsten Wissens ankommen wird. Sie gleicht dem
biedern Famulus des Faust, der zwar viel wußte, aber nichts höheres kannte
als alles zu wissen.

Recht bezeichnend ist es, wie sich Frau Kettler wissenschaftliche Bildung
vorstellt, nämlich lediglich als ein gedächtnismäßiges Ureigne« von Wissen,
indem sie vom „Auswendiglernen" eiuer größern und bessern Fibel bei deu
Knaben spricht gegenüber einer geringern bei den Mädchen. Dieser Vergleich
ist „sehr tiefsinnig," denn er zeigt, daß bei weiblicher Leitung die Wissenschaft
gerade uur auf dem durch Männerleistungcu erreichten Standpunkte bleiben
würde, nicht aber auf Fortschritt zu rechnen hätte. Der Verfasserin kauu ans
ihrer Ausicht kein Vorwurf gemacht werdeu, die rezeptive Natur des Weibes
läßt sich eben nicht verleugnen; aber die Wissenschaft ist keineswegs gesonnen,
einer grauen Gleichheitstheorie zuliebe sich in ihrem Entwicklungsgange auf¬
halten zu lassen, und beabsichtigt deshalb nicht, einer Umsetzung ans dem
produktiven Mais nmsenliumn in das tominiinun oder anch nur in das Mims
eommuuo Vorschub zu leisten.

Erkennt mau es als deu natürlichem Berilf der Frauen, Gattinnen und
Mütter zu werdeu, so zeugt es von uicht geringer Kurzsichtigkeit, ihnen trotz¬
dem den Bildungsgang der Männer vorzuschreiben, die doch niemals im Leben
Gattinnen und Mütter werdeu können oder wolle». Da jeder Beruf seiner
besondern Vorbildung bedarf, schließt das Verlangen der Fran Kettler und
ihrer Anhnngerschast entweder den Vorwurf in sich, daß die Männer bisher
ihre Berufsbildung verfehlt hüben, oder es ist ein unrühmlicher Versuch, die
Frauenwelt mit Fleiß zur Verfehlung des natürlichen Berufes heranzuziehen.
Bei der Begeisterung, mit der das Schriftchen von dem Bildungsgange der
Männer spricht, kauu uur das Ablenke» der Fraue» von ihrem natürlichen
Berufe gemeint sein. Das ist aber wahrhaftig kein edles Beginnen und kann
nicht zum Segen ausschlagen, jemanden seiner natürlichen Bestimmung zu ent¬
fremden, um ihn in eine» unpassenden Beruf hineinzudrängen. Die Dinge
liegeu ja bei uus leider so, daß schon dnrch die geringere Zahl der Männer eine
größere Anzahl von Mädchen nicht zur Ehe gelaugen kann, also den natürlichen
Beruf verfehlen muß. Da man nun uicht voraus weiß, welche Mädchen von
diesem Lose betroffen werdeu, so sollte die Erziehung darauf ausgehe«, alle
Mädchen derart auszubilden, daß sie nötigenfalls in einer für Frauen geeigneten
Berufsart ihren Unterhalt selbst erwerben können. Das ist aber etwas ganz
andres als das Bestreben des Vereins „Reform." Der Saku „Die Frauen,


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[0087] Der deutsche Franenveroin Reform werden? Und müssen nicht auch Herz und Gemüt, deren Pflege und Aus¬ bildung zu deu schönsten Vorrechten und Vorzüge» der Frciueu gehört, mit Notwendigkeit verkümmern, wenn immer größerer Nachdruck aus Versta»des- drilluug und Wissen gelegt werde« soll? Aber Frau Kettler bewegt sich schon in deu Kreise» eiuer „erleuchteten Zukunft," wo es bei der Frau nur uoch auf die Masse des im Hirn augehällsten Wissens ankommen wird. Sie gleicht dem biedern Famulus des Faust, der zwar viel wußte, aber nichts höheres kannte als alles zu wissen. Recht bezeichnend ist es, wie sich Frau Kettler wissenschaftliche Bildung vorstellt, nämlich lediglich als ein gedächtnismäßiges Ureigne« von Wissen, indem sie vom „Auswendiglernen" eiuer größern und bessern Fibel bei deu Knaben spricht gegenüber einer geringern bei den Mädchen. Dieser Vergleich ist „sehr tiefsinnig," denn er zeigt, daß bei weiblicher Leitung die Wissenschaft gerade uur auf dem durch Männerleistungcu erreichten Standpunkte bleiben würde, nicht aber auf Fortschritt zu rechnen hätte. Der Verfasserin kauu ans ihrer Ausicht kein Vorwurf gemacht werdeu, die rezeptive Natur des Weibes läßt sich eben nicht verleugnen; aber die Wissenschaft ist keineswegs gesonnen, einer grauen Gleichheitstheorie zuliebe sich in ihrem Entwicklungsgange auf¬ halten zu lassen, und beabsichtigt deshalb nicht, einer Umsetzung ans dem produktiven Mais nmsenliumn in das tominiinun oder anch nur in das Mims eommuuo Vorschub zu leisten. Erkennt mau es als deu natürlichem Berilf der Frauen, Gattinnen und Mütter zu werdeu, so zeugt es von uicht geringer Kurzsichtigkeit, ihnen trotz¬ dem den Bildungsgang der Männer vorzuschreiben, die doch niemals im Leben Gattinnen und Mütter werdeu können oder wolle». Da jeder Beruf seiner besondern Vorbildung bedarf, schließt das Verlangen der Fran Kettler und ihrer Anhnngerschast entweder den Vorwurf in sich, daß die Männer bisher ihre Berufsbildung verfehlt hüben, oder es ist ein unrühmlicher Versuch, die Frauenwelt mit Fleiß zur Verfehlung des natürlichen Berufes heranzuziehen. Bei der Begeisterung, mit der das Schriftchen von dem Bildungsgange der Männer spricht, kauu uur das Ablenke» der Fraue» von ihrem natürlichen Berufe gemeint sein. Das ist aber wahrhaftig kein edles Beginnen und kann nicht zum Segen ausschlagen, jemanden seiner natürlichen Bestimmung zu ent¬ fremden, um ihn in eine» unpassenden Beruf hineinzudrängen. Die Dinge liegeu ja bei uus leider so, daß schon dnrch die geringere Zahl der Männer eine größere Anzahl von Mädchen nicht zur Ehe gelaugen kann, also den natürlichen Beruf verfehlen muß. Da man nun uicht voraus weiß, welche Mädchen von diesem Lose betroffen werdeu, so sollte die Erziehung darauf ausgehe«, alle Mädchen derart auszubilden, daß sie nötigenfalls in einer für Frauen geeigneten Berufsart ihren Unterhalt selbst erwerben können. Das ist aber etwas ganz andres als das Bestreben des Vereins „Reform." Der Saku „Die Frauen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/87>, abgerufen am 23.07.2024.