Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Arm Trimksnchtsgoschontwnrs

nannte Dhnamitgesetz, denn wenn anch die darin mit schweren Strafen be¬
drohten Handlungen zum Teil an sich gleichgiltig sind, so ist sich doch jeder
der Gefahr für Leib und Leben und Eigeutmu bewußt, die der uneingeschränkte
Verkehr mit den Stoffen, von denen das Gesetz handelt, mit sich bringt, und er
erkennt daher auch willig die Berechtigung des Gesetzes an. Zum dritten soll
das Strafgesetz wie der Erzieher in Betreff der Handlungen und Unterlassungen,
die er mit Strafen bedroht, einen schlichten, bestimmten, unzweideutigen That¬
bestand Hinstellen, damit die, die sich darnach richten sollen, ohne Schwierig¬
keit die Grenze des Erlaubten und des Unerlaubtem zu erkennen vermögen. Je
mehr das Strafrecht vou den hier angedenkten Regeln abweicht, desto mehr
verflüchtigt sich die Wirkung der Simsen, desto mehr nimmt die Gleichgiltigkeit
gegen Gesetzesverlchungcn zu, desto mehr kriminell bestrafte giebt es, die Moral
und Gewissen nicht verleugnet haben, desto honetter wird die Gesellschaft, die
die Strafanstalten beherbergen, desto mehr verliert die Strafe insbesondre ihren
entehrenden Charakter, desto mehr sinkt das Ansehen der Strafgesetze.

Damit steht die Mitleidenschaft in Wechselwirkung, in die eine allzu pro¬
duktive Strafgesetzgebung die Organe der Rechtspflege zieht. Die Thätigkeit
des Richters sollte mit der des Gesetzgebers in lebendigem Zusammenhange stehen,
wie die Hemd des Meuschen mit seinem Willen. Er sollte sich mit dem Gesetz¬
geber eins fühlen. Er genügt daher seiner Aufgabe nicht, wenn er allein mit
dem Verstände arbeitet und nicht zugleich mit dem Herzen, ich meine nicht so
sehr einem Herzen fiir die Ubelthäter, als einem Herzen für Gesetz und Recht.
Aber dieses Herz stumpft sich ab durch das bunte Vielerlei anch solcher Gesetze,
die durchaus die Sprache des Herzens nicht reden. Die innere Kälte ergreift auch
die Neigung und Fähigkeit, sich in die Vorgänge des Lebens zu versenken, sie
sich im Geiste zu vergegenwärtigen und anschaulich zu erhalten. Diese Fähig¬
keit aber ist das Sicherheitsventil gegell die Gesahr, daß Buchstabe und Geist
des Gesetzes mit einander in Zwiespalt geraten. Lanzette und Messer arbeiten
heutiges Tages mit fieberhafter Behendigkeit an den wuchernden Gebilden des
kriminellen Stoffes. Manche nennen es Schneidigkeit, aber mit Unrecht, denn
das Schwert der Gerechtigkeit rostet ein und verliert seine Schärfe. Daher die
in der Fachlitteratur und in der Tagespresse mit Recht immer aufs neue ge¬
rügten niedrigen Strafmaße der erkennenden Gerichte, daher die Vermeidung
der höchsten gesetzlichen Strafe in der richterlichen Praxis, anch gegenüber dem
gefährlichsten Verbrechers dem geschwornen Feinde von Rechtsordnung und
Gesellschaft, auf deu das Voltairesche vorn"<z/ I'int'üm" Anwendung verdiente,
daher das häufige Vorwiegen des Mitgefühls mit dem im Gewahrsam der An¬
klagebank unschädlich und wehrlos erscheinenden Angeklagten und eine Gleich¬
giltigkeit gegen deu begangnen Frevel, als ob er sich weit hinten in der Türkei
ereignet hätte.

Wir haben bereits im Eingange unsre Ansicht dahin ausgesprochen, daß


Arm Trimksnchtsgoschontwnrs

nannte Dhnamitgesetz, denn wenn anch die darin mit schweren Strafen be¬
drohten Handlungen zum Teil an sich gleichgiltig sind, so ist sich doch jeder
der Gefahr für Leib und Leben und Eigeutmu bewußt, die der uneingeschränkte
Verkehr mit den Stoffen, von denen das Gesetz handelt, mit sich bringt, und er
erkennt daher auch willig die Berechtigung des Gesetzes an. Zum dritten soll
das Strafgesetz wie der Erzieher in Betreff der Handlungen und Unterlassungen,
die er mit Strafen bedroht, einen schlichten, bestimmten, unzweideutigen That¬
bestand Hinstellen, damit die, die sich darnach richten sollen, ohne Schwierig¬
keit die Grenze des Erlaubten und des Unerlaubtem zu erkennen vermögen. Je
mehr das Strafrecht vou den hier angedenkten Regeln abweicht, desto mehr
verflüchtigt sich die Wirkung der Simsen, desto mehr nimmt die Gleichgiltigkeit
gegen Gesetzesverlchungcn zu, desto mehr kriminell bestrafte giebt es, die Moral
und Gewissen nicht verleugnet haben, desto honetter wird die Gesellschaft, die
die Strafanstalten beherbergen, desto mehr verliert die Strafe insbesondre ihren
entehrenden Charakter, desto mehr sinkt das Ansehen der Strafgesetze.

Damit steht die Mitleidenschaft in Wechselwirkung, in die eine allzu pro¬
duktive Strafgesetzgebung die Organe der Rechtspflege zieht. Die Thätigkeit
des Richters sollte mit der des Gesetzgebers in lebendigem Zusammenhange stehen,
wie die Hemd des Meuschen mit seinem Willen. Er sollte sich mit dem Gesetz¬
geber eins fühlen. Er genügt daher seiner Aufgabe nicht, wenn er allein mit
dem Verstände arbeitet und nicht zugleich mit dem Herzen, ich meine nicht so
sehr einem Herzen fiir die Ubelthäter, als einem Herzen für Gesetz und Recht.
Aber dieses Herz stumpft sich ab durch das bunte Vielerlei anch solcher Gesetze,
die durchaus die Sprache des Herzens nicht reden. Die innere Kälte ergreift auch
die Neigung und Fähigkeit, sich in die Vorgänge des Lebens zu versenken, sie
sich im Geiste zu vergegenwärtigen und anschaulich zu erhalten. Diese Fähig¬
keit aber ist das Sicherheitsventil gegell die Gesahr, daß Buchstabe und Geist
des Gesetzes mit einander in Zwiespalt geraten. Lanzette und Messer arbeiten
heutiges Tages mit fieberhafter Behendigkeit an den wuchernden Gebilden des
kriminellen Stoffes. Manche nennen es Schneidigkeit, aber mit Unrecht, denn
das Schwert der Gerechtigkeit rostet ein und verliert seine Schärfe. Daher die
in der Fachlitteratur und in der Tagespresse mit Recht immer aufs neue ge¬
rügten niedrigen Strafmaße der erkennenden Gerichte, daher die Vermeidung
der höchsten gesetzlichen Strafe in der richterlichen Praxis, anch gegenüber dem
gefährlichsten Verbrechers dem geschwornen Feinde von Rechtsordnung und
Gesellschaft, auf deu das Voltairesche vorn»<z/ I'int'üm« Anwendung verdiente,
daher das häufige Vorwiegen des Mitgefühls mit dem im Gewahrsam der An¬
klagebank unschädlich und wehrlos erscheinenden Angeklagten und eine Gleich¬
giltigkeit gegen deu begangnen Frevel, als ob er sich weit hinten in der Türkei
ereignet hätte.

Wir haben bereits im Eingange unsre Ansicht dahin ausgesprochen, daß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0077" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211245"/>
          <fw type="header" place="top"> Arm Trimksnchtsgoschontwnrs</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_224" prev="#ID_223"> nannte Dhnamitgesetz, denn wenn anch die darin mit schweren Strafen be¬<lb/>
drohten Handlungen zum Teil an sich gleichgiltig sind, so ist sich doch jeder<lb/>
der Gefahr für Leib und Leben und Eigeutmu bewußt, die der uneingeschränkte<lb/>
Verkehr mit den Stoffen, von denen das Gesetz handelt, mit sich bringt, und er<lb/>
erkennt daher auch willig die Berechtigung des Gesetzes an. Zum dritten soll<lb/>
das Strafgesetz wie der Erzieher in Betreff der Handlungen und Unterlassungen,<lb/>
die er mit Strafen bedroht, einen schlichten, bestimmten, unzweideutigen That¬<lb/>
bestand Hinstellen, damit die, die sich darnach richten sollen, ohne Schwierig¬<lb/>
keit die Grenze des Erlaubten und des Unerlaubtem zu erkennen vermögen. Je<lb/>
mehr das Strafrecht vou den hier angedenkten Regeln abweicht, desto mehr<lb/>
verflüchtigt sich die Wirkung der Simsen, desto mehr nimmt die Gleichgiltigkeit<lb/>
gegen Gesetzesverlchungcn zu, desto mehr kriminell bestrafte giebt es, die Moral<lb/>
und Gewissen nicht verleugnet haben, desto honetter wird die Gesellschaft, die<lb/>
die Strafanstalten beherbergen, desto mehr verliert die Strafe insbesondre ihren<lb/>
entehrenden Charakter, desto mehr sinkt das Ansehen der Strafgesetze.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_225"> Damit steht die Mitleidenschaft in Wechselwirkung, in die eine allzu pro¬<lb/>
duktive Strafgesetzgebung die Organe der Rechtspflege zieht. Die Thätigkeit<lb/>
des Richters sollte mit der des Gesetzgebers in lebendigem Zusammenhange stehen,<lb/>
wie die Hemd des Meuschen mit seinem Willen. Er sollte sich mit dem Gesetz¬<lb/>
geber eins fühlen. Er genügt daher seiner Aufgabe nicht, wenn er allein mit<lb/>
dem Verstände arbeitet und nicht zugleich mit dem Herzen, ich meine nicht so<lb/>
sehr einem Herzen fiir die Ubelthäter, als einem Herzen für Gesetz und Recht.<lb/>
Aber dieses Herz stumpft sich ab durch das bunte Vielerlei anch solcher Gesetze,<lb/>
die durchaus die Sprache des Herzens nicht reden. Die innere Kälte ergreift auch<lb/>
die Neigung und Fähigkeit, sich in die Vorgänge des Lebens zu versenken, sie<lb/>
sich im Geiste zu vergegenwärtigen und anschaulich zu erhalten. Diese Fähig¬<lb/>
keit aber ist das Sicherheitsventil gegell die Gesahr, daß Buchstabe und Geist<lb/>
des Gesetzes mit einander in Zwiespalt geraten. Lanzette und Messer arbeiten<lb/>
heutiges Tages mit fieberhafter Behendigkeit an den wuchernden Gebilden des<lb/>
kriminellen Stoffes. Manche nennen es Schneidigkeit, aber mit Unrecht, denn<lb/>
das Schwert der Gerechtigkeit rostet ein und verliert seine Schärfe. Daher die<lb/>
in der Fachlitteratur und in der Tagespresse mit Recht immer aufs neue ge¬<lb/>
rügten niedrigen Strafmaße der erkennenden Gerichte, daher die Vermeidung<lb/>
der höchsten gesetzlichen Strafe in der richterlichen Praxis, anch gegenüber dem<lb/>
gefährlichsten Verbrechers dem geschwornen Feinde von Rechtsordnung und<lb/>
Gesellschaft, auf deu das Voltairesche vorn»&lt;z/ I'int'üm« Anwendung verdiente,<lb/>
daher das häufige Vorwiegen des Mitgefühls mit dem im Gewahrsam der An¬<lb/>
klagebank unschädlich und wehrlos erscheinenden Angeklagten und eine Gleich¬<lb/>
giltigkeit gegen deu begangnen Frevel, als ob er sich weit hinten in der Türkei<lb/>
ereignet hätte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_226" next="#ID_227"> Wir haben bereits im Eingange unsre Ansicht dahin ausgesprochen, daß</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0077] Arm Trimksnchtsgoschontwnrs nannte Dhnamitgesetz, denn wenn anch die darin mit schweren Strafen be¬ drohten Handlungen zum Teil an sich gleichgiltig sind, so ist sich doch jeder der Gefahr für Leib und Leben und Eigeutmu bewußt, die der uneingeschränkte Verkehr mit den Stoffen, von denen das Gesetz handelt, mit sich bringt, und er erkennt daher auch willig die Berechtigung des Gesetzes an. Zum dritten soll das Strafgesetz wie der Erzieher in Betreff der Handlungen und Unterlassungen, die er mit Strafen bedroht, einen schlichten, bestimmten, unzweideutigen That¬ bestand Hinstellen, damit die, die sich darnach richten sollen, ohne Schwierig¬ keit die Grenze des Erlaubten und des Unerlaubtem zu erkennen vermögen. Je mehr das Strafrecht vou den hier angedenkten Regeln abweicht, desto mehr verflüchtigt sich die Wirkung der Simsen, desto mehr nimmt die Gleichgiltigkeit gegen Gesetzesverlchungcn zu, desto mehr kriminell bestrafte giebt es, die Moral und Gewissen nicht verleugnet haben, desto honetter wird die Gesellschaft, die die Strafanstalten beherbergen, desto mehr verliert die Strafe insbesondre ihren entehrenden Charakter, desto mehr sinkt das Ansehen der Strafgesetze. Damit steht die Mitleidenschaft in Wechselwirkung, in die eine allzu pro¬ duktive Strafgesetzgebung die Organe der Rechtspflege zieht. Die Thätigkeit des Richters sollte mit der des Gesetzgebers in lebendigem Zusammenhange stehen, wie die Hemd des Meuschen mit seinem Willen. Er sollte sich mit dem Gesetz¬ geber eins fühlen. Er genügt daher seiner Aufgabe nicht, wenn er allein mit dem Verstände arbeitet und nicht zugleich mit dem Herzen, ich meine nicht so sehr einem Herzen fiir die Ubelthäter, als einem Herzen für Gesetz und Recht. Aber dieses Herz stumpft sich ab durch das bunte Vielerlei anch solcher Gesetze, die durchaus die Sprache des Herzens nicht reden. Die innere Kälte ergreift auch die Neigung und Fähigkeit, sich in die Vorgänge des Lebens zu versenken, sie sich im Geiste zu vergegenwärtigen und anschaulich zu erhalten. Diese Fähig¬ keit aber ist das Sicherheitsventil gegell die Gesahr, daß Buchstabe und Geist des Gesetzes mit einander in Zwiespalt geraten. Lanzette und Messer arbeiten heutiges Tages mit fieberhafter Behendigkeit an den wuchernden Gebilden des kriminellen Stoffes. Manche nennen es Schneidigkeit, aber mit Unrecht, denn das Schwert der Gerechtigkeit rostet ein und verliert seine Schärfe. Daher die in der Fachlitteratur und in der Tagespresse mit Recht immer aufs neue ge¬ rügten niedrigen Strafmaße der erkennenden Gerichte, daher die Vermeidung der höchsten gesetzlichen Strafe in der richterlichen Praxis, anch gegenüber dem gefährlichsten Verbrechers dem geschwornen Feinde von Rechtsordnung und Gesellschaft, auf deu das Voltairesche vorn»<z/ I'int'üm« Anwendung verdiente, daher das häufige Vorwiegen des Mitgefühls mit dem im Gewahrsam der An¬ klagebank unschädlich und wehrlos erscheinenden Angeklagten und eine Gleich¬ giltigkeit gegen deu begangnen Frevel, als ob er sich weit hinten in der Türkei ereignet hätte. Wir haben bereits im Eingange unsre Ansicht dahin ausgesprochen, daß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/77
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/77>, abgerufen am 01.07.2024.