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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Zum Trnnksuchtsgesotzi'ntwurf

Trinken im Zustande der Erhitzung und andre Handlungen, über deren Frevel-
haftigkeit und Schädlichkeit keine Meinungsverschiedenheit besteht. Es verlohnt
sich nicht, ausdrücklich zu erkläre", daß dies des Guten zuviel wäre. Wohl
aber verlohnt es sich, nach dem Grunde zu fragen, warum in solchen Fällen
der Gesetzgeber dem Vorwurf nicht würde entgehen können, seine Zuständigkeit
überschritten zu haben. Die persönliche oder sittliche Freiheit ist es nicht, um
die uns bangte, wenn wir durch öffentliche Strafen von Ausschreitungen gegen
Moral und eigene Wohlfahrt abgehalten werden würden, wir hätten ja Ursache,
dafür dankbar zu sein; auch bliebe der persönlichen und sittlichen Freiheit immer
noch Spielraum zur Bethätigung genug übrig. Überdies würde man der
Staatsordnung in dem Maße, wie sie es ist, die diesen Spielraum überhaupt
gewährt, die Berechtigung zusprechen dürfen, ihn wiedereinzuschränken. Der
kriminalpolitische Grund, nach dem wir fragen, beruht vielmehr auf einem Ge¬
setz, das uns zunächst in der Natur in der einfachsten Form entgegentritt.
Es ist, um es in einer für unsern Zweck ausreichend bezeichnenden Weise aus-
zusprechen, das Gesetz der Schwächung durch Ausdehnung. Dieses Gesetz gilt
auch in der sittlichen Welt. Wie Wohlthaten durch Übermaß entwertet werden
und nachteilig wirken, so auch die Strafen. Jeder, der Menschen oder Tiere
erzieht, weiß oder erfährt, daß ein allzu ausgedehntes Strafshstem den Zögling
gegen die Strafe gleichgiltig macht und abstumpft. Diese Abstumpfung be-
schränkt sich aber nicht auf die allgemeine Empfindlichkeit gegen das Strafübel,
die die Häufigkeit der Strafen, welche ihr Erleiden zur Gewohnheit macht, bei
dem Zögling entstehen läßt Indem jenes System verhältnismäßig wenige
schwere mit änßerst zahlreichen leichten Gesetzesverletzungen insofern gleichstellt,
als es sie alle bestraft, schwächt es den Accent, mit dem die Strafe das Ge¬
setz betonen soll, hinsichtlich der schwereren in einer auch durch Abstufung von
Strafart und Strafmaß nicht auszugleichenden unheilvollen Weise ab, verwischt
dadurch den Unterschied zwischen schweren und leichten Gesetzesverletzungen und
ruft bei dem Zögling nicht nur eine entsprechende Verringerung der zwischen
schwereren und leichteren Strafen unterscheidenden Empfindlichkeit hervor, son¬
dern, was noch schlimmer ist, sie stumpft seine Empfindung des Unterschiedes
zwischen schweren und leichten Gesetzesverletzungen ab. Somit wirkt das aus¬
gedehnte Strafsystem in der Erziehung unfehlbar. Ganz dasselbe entsittlichende
gilt init-Ms mntMclis im Strafrecht. Das ist der Grund der Beschränkung,
die wir von der Strafgesetzgebung verlangen. Man sollte sich, wie sich ein in der
Praxis ergrauter Jurist schon vor Jahren trivial aber bezeichnend ausdrückte,
davor hüten, das Strafrecht allzusehr zu verwässern. Dieser Satz wird nach
einer Seite hin präzisirt durch den bekannten Ausspruch Montesquieus: II / s,
evtte ÄiWr<Zneo centro Iss lois et leg ep"z les lois röAlvllt plus les
iuztimrs <in cito^co et c>us les avem's rezent plus les aeticms clss Komm"8.
Man soll das Sittengesetz nicht dem Strafkodex einverleiben. Der Knecht, der


Zum Trnnksuchtsgesotzi'ntwurf

Trinken im Zustande der Erhitzung und andre Handlungen, über deren Frevel-
haftigkeit und Schädlichkeit keine Meinungsverschiedenheit besteht. Es verlohnt
sich nicht, ausdrücklich zu erkläre», daß dies des Guten zuviel wäre. Wohl
aber verlohnt es sich, nach dem Grunde zu fragen, warum in solchen Fällen
der Gesetzgeber dem Vorwurf nicht würde entgehen können, seine Zuständigkeit
überschritten zu haben. Die persönliche oder sittliche Freiheit ist es nicht, um
die uns bangte, wenn wir durch öffentliche Strafen von Ausschreitungen gegen
Moral und eigene Wohlfahrt abgehalten werden würden, wir hätten ja Ursache,
dafür dankbar zu sein; auch bliebe der persönlichen und sittlichen Freiheit immer
noch Spielraum zur Bethätigung genug übrig. Überdies würde man der
Staatsordnung in dem Maße, wie sie es ist, die diesen Spielraum überhaupt
gewährt, die Berechtigung zusprechen dürfen, ihn wiedereinzuschränken. Der
kriminalpolitische Grund, nach dem wir fragen, beruht vielmehr auf einem Ge¬
setz, das uns zunächst in der Natur in der einfachsten Form entgegentritt.
Es ist, um es in einer für unsern Zweck ausreichend bezeichnenden Weise aus-
zusprechen, das Gesetz der Schwächung durch Ausdehnung. Dieses Gesetz gilt
auch in der sittlichen Welt. Wie Wohlthaten durch Übermaß entwertet werden
und nachteilig wirken, so auch die Strafen. Jeder, der Menschen oder Tiere
erzieht, weiß oder erfährt, daß ein allzu ausgedehntes Strafshstem den Zögling
gegen die Strafe gleichgiltig macht und abstumpft. Diese Abstumpfung be-
schränkt sich aber nicht auf die allgemeine Empfindlichkeit gegen das Strafübel,
die die Häufigkeit der Strafen, welche ihr Erleiden zur Gewohnheit macht, bei
dem Zögling entstehen läßt Indem jenes System verhältnismäßig wenige
schwere mit änßerst zahlreichen leichten Gesetzesverletzungen insofern gleichstellt,
als es sie alle bestraft, schwächt es den Accent, mit dem die Strafe das Ge¬
setz betonen soll, hinsichtlich der schwereren in einer auch durch Abstufung von
Strafart und Strafmaß nicht auszugleichenden unheilvollen Weise ab, verwischt
dadurch den Unterschied zwischen schweren und leichten Gesetzesverletzungen und
ruft bei dem Zögling nicht nur eine entsprechende Verringerung der zwischen
schwereren und leichteren Strafen unterscheidenden Empfindlichkeit hervor, son¬
dern, was noch schlimmer ist, sie stumpft seine Empfindung des Unterschiedes
zwischen schweren und leichten Gesetzesverletzungen ab. Somit wirkt das aus¬
gedehnte Strafsystem in der Erziehung unfehlbar. Ganz dasselbe entsittlichende
gilt init-Ms mntMclis im Strafrecht. Das ist der Grund der Beschränkung,
die wir von der Strafgesetzgebung verlangen. Man sollte sich, wie sich ein in der
Praxis ergrauter Jurist schon vor Jahren trivial aber bezeichnend ausdrückte,
davor hüten, das Strafrecht allzusehr zu verwässern. Dieser Satz wird nach
einer Seite hin präzisirt durch den bekannten Ausspruch Montesquieus: II / s,
evtte ÄiWr<Zneo centro Iss lois et leg ep«z les lois röAlvllt plus les
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[0075] Zum Trnnksuchtsgesotzi'ntwurf Trinken im Zustande der Erhitzung und andre Handlungen, über deren Frevel- haftigkeit und Schädlichkeit keine Meinungsverschiedenheit besteht. Es verlohnt sich nicht, ausdrücklich zu erkläre», daß dies des Guten zuviel wäre. Wohl aber verlohnt es sich, nach dem Grunde zu fragen, warum in solchen Fällen der Gesetzgeber dem Vorwurf nicht würde entgehen können, seine Zuständigkeit überschritten zu haben. Die persönliche oder sittliche Freiheit ist es nicht, um die uns bangte, wenn wir durch öffentliche Strafen von Ausschreitungen gegen Moral und eigene Wohlfahrt abgehalten werden würden, wir hätten ja Ursache, dafür dankbar zu sein; auch bliebe der persönlichen und sittlichen Freiheit immer noch Spielraum zur Bethätigung genug übrig. Überdies würde man der Staatsordnung in dem Maße, wie sie es ist, die diesen Spielraum überhaupt gewährt, die Berechtigung zusprechen dürfen, ihn wiedereinzuschränken. Der kriminalpolitische Grund, nach dem wir fragen, beruht vielmehr auf einem Ge¬ setz, das uns zunächst in der Natur in der einfachsten Form entgegentritt. Es ist, um es in einer für unsern Zweck ausreichend bezeichnenden Weise aus- zusprechen, das Gesetz der Schwächung durch Ausdehnung. Dieses Gesetz gilt auch in der sittlichen Welt. Wie Wohlthaten durch Übermaß entwertet werden und nachteilig wirken, so auch die Strafen. Jeder, der Menschen oder Tiere erzieht, weiß oder erfährt, daß ein allzu ausgedehntes Strafshstem den Zögling gegen die Strafe gleichgiltig macht und abstumpft. Diese Abstumpfung be- schränkt sich aber nicht auf die allgemeine Empfindlichkeit gegen das Strafübel, die die Häufigkeit der Strafen, welche ihr Erleiden zur Gewohnheit macht, bei dem Zögling entstehen läßt Indem jenes System verhältnismäßig wenige schwere mit änßerst zahlreichen leichten Gesetzesverletzungen insofern gleichstellt, als es sie alle bestraft, schwächt es den Accent, mit dem die Strafe das Ge¬ setz betonen soll, hinsichtlich der schwereren in einer auch durch Abstufung von Strafart und Strafmaß nicht auszugleichenden unheilvollen Weise ab, verwischt dadurch den Unterschied zwischen schweren und leichten Gesetzesverletzungen und ruft bei dem Zögling nicht nur eine entsprechende Verringerung der zwischen schwereren und leichteren Strafen unterscheidenden Empfindlichkeit hervor, son¬ dern, was noch schlimmer ist, sie stumpft seine Empfindung des Unterschiedes zwischen schweren und leichten Gesetzesverletzungen ab. Somit wirkt das aus¬ gedehnte Strafsystem in der Erziehung unfehlbar. Ganz dasselbe entsittlichende gilt init-Ms mntMclis im Strafrecht. Das ist der Grund der Beschränkung, die wir von der Strafgesetzgebung verlangen. Man sollte sich, wie sich ein in der Praxis ergrauter Jurist schon vor Jahren trivial aber bezeichnend ausdrückte, davor hüten, das Strafrecht allzusehr zu verwässern. Dieser Satz wird nach einer Seite hin präzisirt durch den bekannten Ausspruch Montesquieus: II / s, evtte ÄiWr<Zneo centro Iss lois et leg ep«z les lois röAlvllt plus les iuztimrs <in cito^co et c>us les avem's rezent plus les aeticms clss Komm«8. Man soll das Sittengesetz nicht dem Strafkodex einverleiben. Der Knecht, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/75>, abgerufen am 23.07.2024.