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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit
^2. Das Erlebnis des Stuhlwagens

rüber hatten wir uns eigentlich nicht allzuviel aus dein Stuhl¬
wagen gemacht, der in Großvaters Scheune auf dem Platze
stand, wo es immer zuerst durchregnete. Das Korbgcstell mit den
drei angeschnallten Stühlen darauf war nämlich recht alt und
schadhaft, und obgleich wir nicht viel auf Äußeres gaben, so
mochten wir doch uicht mit einem Gefährt durch die Straßen fahren, das an
allen Ecken Löcher hatte. Nur eine lobenswerte Eigenschaft hatte der alte
Wagen: seine Stühle waren, wie gesagt, mit losen Gurten an dem Kasten¬
gestell befestigt, und wenn die Pferde etwas anzogen und man sich vielleicht
gerade behaglich anlehnte, dann konnten die Stühle urplötzlich umkippen, der¬
art, daß man mit dem Rücken im Wagenkasten lag und die Beine in die
Luft streckte. Jedermann wird begreifen, daß diese Art der Beförderung ihr
Anziehendes hatte, besonders wenn dieser kleine Unfall nicht gerade uns, son¬
dern jemand anders traf, z. B. einen Besuch, dem wir dann mit alle" Aus¬
drücken aufrichtigen Bedauerns wieder auf die Beine halfen. Im ganzen
aber wurde der Stuhlwagen wenig und dann nur bei schmutzigem Wetter
benutzt: Leute von Rang und Stand und mit den ihrer Würde entsprechenden
steifen Beinen konnten nicht den eisernen Wagentritt, der vier weit auseinander¬
liegende Sprossen hatte, hinaufklettern, und auch Franz und Hermann war
der Wagen nicht angenehm; uns kam es wenigstens immer so vor, als ob
sie ganz besonders langsam trabten, wenn sie ihn ziehen sollten. Franz und
Hermann waren nämlich Großvaters Pferde. Wie alles in der Welt, so
waren auch sie nicht ganz makellos, weder äußerlich noch innerlich. Franz
war ehemals, nach Äußerungen Sachverständiger, ein hübscher Brauner ge¬
wesen; leider hatte man aber versäumt, auf die Ausbildung seines innerlichen
Pferdes acht zu geben: sein Charakter litt an Ungleichheiten, und er biß nach
rechts und nach links, sobald ihm etwas aufstieß, was ihn unangenehm be¬
rührte. Großvater hatte daher viel Verdruß durch Franz, auch in fremden
Ställen betrug er sich unliebenswürdig, und wir hätten alle seinen Verkauf




Aus dänischer Zeit
^2. Das Erlebnis des Stuhlwagens

rüber hatten wir uns eigentlich nicht allzuviel aus dein Stuhl¬
wagen gemacht, der in Großvaters Scheune auf dem Platze
stand, wo es immer zuerst durchregnete. Das Korbgcstell mit den
drei angeschnallten Stühlen darauf war nämlich recht alt und
schadhaft, und obgleich wir nicht viel auf Äußeres gaben, so
mochten wir doch uicht mit einem Gefährt durch die Straßen fahren, das an
allen Ecken Löcher hatte. Nur eine lobenswerte Eigenschaft hatte der alte
Wagen: seine Stühle waren, wie gesagt, mit losen Gurten an dem Kasten¬
gestell befestigt, und wenn die Pferde etwas anzogen und man sich vielleicht
gerade behaglich anlehnte, dann konnten die Stühle urplötzlich umkippen, der¬
art, daß man mit dem Rücken im Wagenkasten lag und die Beine in die
Luft streckte. Jedermann wird begreifen, daß diese Art der Beförderung ihr
Anziehendes hatte, besonders wenn dieser kleine Unfall nicht gerade uns, son¬
dern jemand anders traf, z. B. einen Besuch, dem wir dann mit alle» Aus¬
drücken aufrichtigen Bedauerns wieder auf die Beine halfen. Im ganzen
aber wurde der Stuhlwagen wenig und dann nur bei schmutzigem Wetter
benutzt: Leute von Rang und Stand und mit den ihrer Würde entsprechenden
steifen Beinen konnten nicht den eisernen Wagentritt, der vier weit auseinander¬
liegende Sprossen hatte, hinaufklettern, und auch Franz und Hermann war
der Wagen nicht angenehm; uns kam es wenigstens immer so vor, als ob
sie ganz besonders langsam trabten, wenn sie ihn ziehen sollten. Franz und
Hermann waren nämlich Großvaters Pferde. Wie alles in der Welt, so
waren auch sie nicht ganz makellos, weder äußerlich noch innerlich. Franz
war ehemals, nach Äußerungen Sachverständiger, ein hübscher Brauner ge¬
wesen; leider hatte man aber versäumt, auf die Ausbildung seines innerlichen
Pferdes acht zu geben: sein Charakter litt an Ungleichheiten, und er biß nach
rechts und nach links, sobald ihm etwas aufstieß, was ihn unangenehm be¬
rührte. Großvater hatte daher viel Verdruß durch Franz, auch in fremden
Ställen betrug er sich unliebenswürdig, und wir hätten alle seinen Verkauf


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[0648] [Abbildung] Aus dänischer Zeit ^2. Das Erlebnis des Stuhlwagens rüber hatten wir uns eigentlich nicht allzuviel aus dein Stuhl¬ wagen gemacht, der in Großvaters Scheune auf dem Platze stand, wo es immer zuerst durchregnete. Das Korbgcstell mit den drei angeschnallten Stühlen darauf war nämlich recht alt und schadhaft, und obgleich wir nicht viel auf Äußeres gaben, so mochten wir doch uicht mit einem Gefährt durch die Straßen fahren, das an allen Ecken Löcher hatte. Nur eine lobenswerte Eigenschaft hatte der alte Wagen: seine Stühle waren, wie gesagt, mit losen Gurten an dem Kasten¬ gestell befestigt, und wenn die Pferde etwas anzogen und man sich vielleicht gerade behaglich anlehnte, dann konnten die Stühle urplötzlich umkippen, der¬ art, daß man mit dem Rücken im Wagenkasten lag und die Beine in die Luft streckte. Jedermann wird begreifen, daß diese Art der Beförderung ihr Anziehendes hatte, besonders wenn dieser kleine Unfall nicht gerade uns, son¬ dern jemand anders traf, z. B. einen Besuch, dem wir dann mit alle» Aus¬ drücken aufrichtigen Bedauerns wieder auf die Beine halfen. Im ganzen aber wurde der Stuhlwagen wenig und dann nur bei schmutzigem Wetter benutzt: Leute von Rang und Stand und mit den ihrer Würde entsprechenden steifen Beinen konnten nicht den eisernen Wagentritt, der vier weit auseinander¬ liegende Sprossen hatte, hinaufklettern, und auch Franz und Hermann war der Wagen nicht angenehm; uns kam es wenigstens immer so vor, als ob sie ganz besonders langsam trabten, wenn sie ihn ziehen sollten. Franz und Hermann waren nämlich Großvaters Pferde. Wie alles in der Welt, so waren auch sie nicht ganz makellos, weder äußerlich noch innerlich. Franz war ehemals, nach Äußerungen Sachverständiger, ein hübscher Brauner ge¬ wesen; leider hatte man aber versäumt, auf die Ausbildung seines innerlichen Pferdes acht zu geben: sein Charakter litt an Ungleichheiten, und er biß nach rechts und nach links, sobald ihm etwas aufstieß, was ihn unangenehm be¬ rührte. Großvater hatte daher viel Verdruß durch Franz, auch in fremden Ställen betrug er sich unliebenswürdig, und wir hätten alle seinen Verkauf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/648>, abgerufen am 23.07.2024.