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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

leichten Herzens ertragen; leider wollte ihn niemand kaufen, und so blieb er
uns erhalten. Hermann war eine viel edler angelegte Natur, deshalb kann
man auch wenig von ihm erzählen. Er hatte leider einen so spitzen Rücken, daß
ohne Sattel auf ihm zu reiten zu einem etwas zweifelhaften Vergnügen wurde.

Hinrich, unser Kutscher, dein zugleich die Pflege von Großvaters Land¬
wirtschaft oblag, liebte seine Pferde sehr, und wenn diese ihr bestes Geschirr
trugen und Hinrich gleichfalls in Livree steckte, sahen die Kutsche und auch
die Halbchaise sehr anständig aus. Nur der Stuhlwagen war rettungslos
unanständig. Aber wir hatten doch Achtung vor ihm bekommen, und wie das
zugegangen war, möchte ich erzählen.

Großvaters Scheune war an schlechten Tagen, deren es viele bei uns
gab, ein sehr behaglicher Tummelplatz. Auf der breiten, mit Lehm gepflasterten
Diele standen Großvaters Wagen; seitwärts davon war ein Raum für die
Kiihe abgetrennt, und ganz hinten standen Franz und Hermann. Wenn es
regnete oder schneite, war es sehr gemütlich, in der Scheune auf den Wagen¬
deichseln zu sitzen und dem beschaulichen Kauen und Schnaufen der Kühe zu
lauschen oder auch in einen der Wagen selbst zu steigen und Ausfahren zu
spielen. Dann kam auch der Stuhlwagen an die Reihe, und eines Tages, als
wir auf ihm saßen und uns auf den Sitzen müde geschaukelt hatten, ver¬
langten wir stürmisch von Hinrich, er sollte uns etwas erzählen. Er saß vor
uns und hatte Sämtliches Pferdegeschirr auf der Scheunendiele um sich herum
ausgebreitet, während ein Blechtopf, mit Fett angefüllt, greulichen Gestank
verbreitete. Wir hatten aber keine empfindlichen Geruchsnerven, sonst hätten
wir auch gar nicht mit Hinrich verkehren können, denn er vereinigte an sich
alle Düfte des Pferde- und Kuhstalls. Sein Besuch im Hause der Gro߬
eltern war deshalb nicht sonderlich erwünscht; doch erschien er meistens ein¬
mal des Abends, um dem Großvater über die Vorkommnisse des landwirt¬
schaftlichen Lebens Bericht zu erstatten, und dann merkte man noch seine
Gegenwart, wenn er schon längst wieder auf den Strümpfen die Treppe hinunter¬
gehuscht war. Unsre Nasen waren aber nichts weniger als anspruchsvoll, und
auch an dem häßlichen Negennachmittag ersuchten wir Hinrich dringend, doch
etwas naher zu uns zu kommen, damit wir uns besser unterhalten könnten.

Du mußt uns heute auch mal was erzählen! setzten wir hinzu, während
er sich brummend nahe an den Stnhlwagen heranschob und uns den Fetttopf
gerade vor die Nase setzte.

Weiß nix! erwiderte er dann. Diese Antwort bekamen wir jedesmal,
wenn wir eine Geschichte von Hinrich verlangten, und meist gaben wir uns
dann zufrieden, heute aber war das Wetter gar zu schlecht.

Hast du denn gar nichts erlebt, Hinrich? Gar nichts Lustiges, gar nichts
Trauriges? fragten wir weiter und sahen den Kutscher erwartungsvoll an,
der bedächtig einen Strohhalm in den Mund steckte und lange schwieg.


Aus dänischer Zeit

leichten Herzens ertragen; leider wollte ihn niemand kaufen, und so blieb er
uns erhalten. Hermann war eine viel edler angelegte Natur, deshalb kann
man auch wenig von ihm erzählen. Er hatte leider einen so spitzen Rücken, daß
ohne Sattel auf ihm zu reiten zu einem etwas zweifelhaften Vergnügen wurde.

Hinrich, unser Kutscher, dein zugleich die Pflege von Großvaters Land¬
wirtschaft oblag, liebte seine Pferde sehr, und wenn diese ihr bestes Geschirr
trugen und Hinrich gleichfalls in Livree steckte, sahen die Kutsche und auch
die Halbchaise sehr anständig aus. Nur der Stuhlwagen war rettungslos
unanständig. Aber wir hatten doch Achtung vor ihm bekommen, und wie das
zugegangen war, möchte ich erzählen.

Großvaters Scheune war an schlechten Tagen, deren es viele bei uns
gab, ein sehr behaglicher Tummelplatz. Auf der breiten, mit Lehm gepflasterten
Diele standen Großvaters Wagen; seitwärts davon war ein Raum für die
Kiihe abgetrennt, und ganz hinten standen Franz und Hermann. Wenn es
regnete oder schneite, war es sehr gemütlich, in der Scheune auf den Wagen¬
deichseln zu sitzen und dem beschaulichen Kauen und Schnaufen der Kühe zu
lauschen oder auch in einen der Wagen selbst zu steigen und Ausfahren zu
spielen. Dann kam auch der Stuhlwagen an die Reihe, und eines Tages, als
wir auf ihm saßen und uns auf den Sitzen müde geschaukelt hatten, ver¬
langten wir stürmisch von Hinrich, er sollte uns etwas erzählen. Er saß vor
uns und hatte Sämtliches Pferdegeschirr auf der Scheunendiele um sich herum
ausgebreitet, während ein Blechtopf, mit Fett angefüllt, greulichen Gestank
verbreitete. Wir hatten aber keine empfindlichen Geruchsnerven, sonst hätten
wir auch gar nicht mit Hinrich verkehren können, denn er vereinigte an sich
alle Düfte des Pferde- und Kuhstalls. Sein Besuch im Hause der Gro߬
eltern war deshalb nicht sonderlich erwünscht; doch erschien er meistens ein¬
mal des Abends, um dem Großvater über die Vorkommnisse des landwirt¬
schaftlichen Lebens Bericht zu erstatten, und dann merkte man noch seine
Gegenwart, wenn er schon längst wieder auf den Strümpfen die Treppe hinunter¬
gehuscht war. Unsre Nasen waren aber nichts weniger als anspruchsvoll, und
auch an dem häßlichen Negennachmittag ersuchten wir Hinrich dringend, doch
etwas naher zu uns zu kommen, damit wir uns besser unterhalten könnten.

Du mußt uns heute auch mal was erzählen! setzten wir hinzu, während
er sich brummend nahe an den Stnhlwagen heranschob und uns den Fetttopf
gerade vor die Nase setzte.

Weiß nix! erwiderte er dann. Diese Antwort bekamen wir jedesmal,
wenn wir eine Geschichte von Hinrich verlangten, und meist gaben wir uns
dann zufrieden, heute aber war das Wetter gar zu schlecht.

Hast du denn gar nichts erlebt, Hinrich? Gar nichts Lustiges, gar nichts
Trauriges? fragten wir weiter und sahen den Kutscher erwartungsvoll an,
der bedächtig einen Strohhalm in den Mund steckte und lange schwieg.


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[0649] Aus dänischer Zeit leichten Herzens ertragen; leider wollte ihn niemand kaufen, und so blieb er uns erhalten. Hermann war eine viel edler angelegte Natur, deshalb kann man auch wenig von ihm erzählen. Er hatte leider einen so spitzen Rücken, daß ohne Sattel auf ihm zu reiten zu einem etwas zweifelhaften Vergnügen wurde. Hinrich, unser Kutscher, dein zugleich die Pflege von Großvaters Land¬ wirtschaft oblag, liebte seine Pferde sehr, und wenn diese ihr bestes Geschirr trugen und Hinrich gleichfalls in Livree steckte, sahen die Kutsche und auch die Halbchaise sehr anständig aus. Nur der Stuhlwagen war rettungslos unanständig. Aber wir hatten doch Achtung vor ihm bekommen, und wie das zugegangen war, möchte ich erzählen. Großvaters Scheune war an schlechten Tagen, deren es viele bei uns gab, ein sehr behaglicher Tummelplatz. Auf der breiten, mit Lehm gepflasterten Diele standen Großvaters Wagen; seitwärts davon war ein Raum für die Kiihe abgetrennt, und ganz hinten standen Franz und Hermann. Wenn es regnete oder schneite, war es sehr gemütlich, in der Scheune auf den Wagen¬ deichseln zu sitzen und dem beschaulichen Kauen und Schnaufen der Kühe zu lauschen oder auch in einen der Wagen selbst zu steigen und Ausfahren zu spielen. Dann kam auch der Stuhlwagen an die Reihe, und eines Tages, als wir auf ihm saßen und uns auf den Sitzen müde geschaukelt hatten, ver¬ langten wir stürmisch von Hinrich, er sollte uns etwas erzählen. Er saß vor uns und hatte Sämtliches Pferdegeschirr auf der Scheunendiele um sich herum ausgebreitet, während ein Blechtopf, mit Fett angefüllt, greulichen Gestank verbreitete. Wir hatten aber keine empfindlichen Geruchsnerven, sonst hätten wir auch gar nicht mit Hinrich verkehren können, denn er vereinigte an sich alle Düfte des Pferde- und Kuhstalls. Sein Besuch im Hause der Gro߬ eltern war deshalb nicht sonderlich erwünscht; doch erschien er meistens ein¬ mal des Abends, um dem Großvater über die Vorkommnisse des landwirt¬ schaftlichen Lebens Bericht zu erstatten, und dann merkte man noch seine Gegenwart, wenn er schon längst wieder auf den Strümpfen die Treppe hinunter¬ gehuscht war. Unsre Nasen waren aber nichts weniger als anspruchsvoll, und auch an dem häßlichen Negennachmittag ersuchten wir Hinrich dringend, doch etwas naher zu uns zu kommen, damit wir uns besser unterhalten könnten. Du mußt uns heute auch mal was erzählen! setzten wir hinzu, während er sich brummend nahe an den Stnhlwagen heranschob und uns den Fetttopf gerade vor die Nase setzte. Weiß nix! erwiderte er dann. Diese Antwort bekamen wir jedesmal, wenn wir eine Geschichte von Hinrich verlangten, und meist gaben wir uns dann zufrieden, heute aber war das Wetter gar zu schlecht. Hast du denn gar nichts erlebt, Hinrich? Gar nichts Lustiges, gar nichts Trauriges? fragten wir weiter und sahen den Kutscher erwartungsvoll an, der bedächtig einen Strohhalm in den Mund steckte und lange schwieg.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/649>, abgerufen am 23.07.2024.