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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Zu den Sprachdummheiten

schriften gelesen habe, als er in seinem ganzen Leben gedruckt gesehen hat,
freilich nicht, um statistische Beobachtungen zur Laut- und Formenlehre daran
zu machen. Man kann ein großer Germauist, ein erstaunlicher Kenner des
Gothischen, des Alt- und Mittelhochdeutschen, des Altsächsischen und was weiß
ich sein, und doch dabei ein sehr fehlerhaftes und geschmackloses Deutsch
schreiben. Das hat wenig oder nichts mit einander zu thu". Die ganze sprach¬
geschichtliche Weisheit meines Buches könnte hinfällig sein, deshalb würde es
nicht den zehnten Teil seines Wertes einbüßen. Das Buch behandelt vor allen
Dingen technische und Geschmacksfragen. Deutsch zu schreiben ist eine Kunst;
diese Kunst hat, wie jede Kunst, ihre Technik und erfordert, wie jede Kunst,
Geschmack, und damit vor allem habe ichs zu thun. Daß sich Technik und
Geschmack bisweilen bei der Geschichte Rats erholen können, ist selbstverständlich,
wohlgemerkt, wenn diese selber was weiß, was in der deutschen Satzlehre, bis
jetzt wenigstens, sehr oft nicht der Fall ist. Wenn man ihr aber blindlings
folgen wollte, so wäre das eine Thorheit, und wenn die Germanistik das be¬
anspruchen wollte, so wäre das uoch eine größere Thorheit. Zu den hä߬
lichsten Erscheinungen unsrer Sprache gehört die sogenannte Inversion nach
und; sie hat etwas unsäglich gemeines. Von einem Sprachlehrer, der nnr
eine Spur von Geschmack hat, wird das nie bestritten werden. Wenn aber
die Germanistik, weil sie neuerdings diese häßliche Erscheinung vereinzelt
schon sehr früh in unsrer Sprache aufgestöbert hat, verlangen wollte, daß sie
der Sprachlehrer für schön oder für berechtigt erklären oder auch nur unter
die "s)'ete,/>^et rechnen solle, und wenn sich gar der Lehrer diesem Ansinnen
fügen wollte, so wäre das eine große Thorheit. Bechstein neigt durchaus zu
diesem Standpunkte. Ich habe unter anderm geschrieben: "schmachvoll ist es,
mit welcher Schnelligkeit im Laufe weniger Jahre die falschen Formen frägt
und frug um sich gegriffen haben, auch in Kreisen, die für gebildet gelten
wollen und den Anspruch erheben, ein anständiges Deutsch zu sprechen." Bech-
stein sagt, ich nennte es schmachvoll, wenn ein Verbum in eine andre Flexions¬
art übergehe. Nein, Herr Professor, darin liegt die Schmach nicht, sondern
darin, daß das unser hochgeschvrner deutscher Unterricht nicht hat verhüten
können. Die Sache ist ganz jung und Hütte sich sehr leicht verhüten lassen,
wenn wir in unsern Schulen, Volksschule" wie höhern, einen ordentlichen Unter¬
richt in der deutschen Sprache hätten. Aber es wird ja nirgends deutsche
Grammatik getrieben. Vor dreißig Jahren noch entschuldigte mau im Unter¬
richte die ungewöhnliche Form frug, wenn sie vereinzelt bei einem Schrift¬
steller vorkam; hente ist es schon ein Wunder, wenn im deutsche" Aufsatze
fragte dem Jungen uicht als Fehler angestrichen wird. Und so wie hier,
ist es in hundert andern Fällen. Wenn ein Baum krumm wächst, so ist das
für den Baum keine Schande, aber für den Gärtner. Wo ich von Sprach¬
verwilderung rede, da redet Bechstein von "Sprachleben." Das soll recht


Zu den Sprachdummheiten

schriften gelesen habe, als er in seinem ganzen Leben gedruckt gesehen hat,
freilich nicht, um statistische Beobachtungen zur Laut- und Formenlehre daran
zu machen. Man kann ein großer Germauist, ein erstaunlicher Kenner des
Gothischen, des Alt- und Mittelhochdeutschen, des Altsächsischen und was weiß
ich sein, und doch dabei ein sehr fehlerhaftes und geschmackloses Deutsch
schreiben. Das hat wenig oder nichts mit einander zu thu». Die ganze sprach¬
geschichtliche Weisheit meines Buches könnte hinfällig sein, deshalb würde es
nicht den zehnten Teil seines Wertes einbüßen. Das Buch behandelt vor allen
Dingen technische und Geschmacksfragen. Deutsch zu schreiben ist eine Kunst;
diese Kunst hat, wie jede Kunst, ihre Technik und erfordert, wie jede Kunst,
Geschmack, und damit vor allem habe ichs zu thun. Daß sich Technik und
Geschmack bisweilen bei der Geschichte Rats erholen können, ist selbstverständlich,
wohlgemerkt, wenn diese selber was weiß, was in der deutschen Satzlehre, bis
jetzt wenigstens, sehr oft nicht der Fall ist. Wenn man ihr aber blindlings
folgen wollte, so wäre das eine Thorheit, und wenn die Germanistik das be¬
anspruchen wollte, so wäre das uoch eine größere Thorheit. Zu den hä߬
lichsten Erscheinungen unsrer Sprache gehört die sogenannte Inversion nach
und; sie hat etwas unsäglich gemeines. Von einem Sprachlehrer, der nnr
eine Spur von Geschmack hat, wird das nie bestritten werden. Wenn aber
die Germanistik, weil sie neuerdings diese häßliche Erscheinung vereinzelt
schon sehr früh in unsrer Sprache aufgestöbert hat, verlangen wollte, daß sie
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diesem Standpunkte. Ich habe unter anderm geschrieben: „schmachvoll ist es,
mit welcher Schnelligkeit im Laufe weniger Jahre die falschen Formen frägt
und frug um sich gegriffen haben, auch in Kreisen, die für gebildet gelten
wollen und den Anspruch erheben, ein anständiges Deutsch zu sprechen." Bech-
stein sagt, ich nennte es schmachvoll, wenn ein Verbum in eine andre Flexions¬
art übergehe. Nein, Herr Professor, darin liegt die Schmach nicht, sondern
darin, daß das unser hochgeschvrner deutscher Unterricht nicht hat verhüten
können. Die Sache ist ganz jung und Hütte sich sehr leicht verhüten lassen,
wenn wir in unsern Schulen, Volksschule» wie höhern, einen ordentlichen Unter¬
richt in der deutschen Sprache hätten. Aber es wird ja nirgends deutsche
Grammatik getrieben. Vor dreißig Jahren noch entschuldigte mau im Unter¬
richte die ungewöhnliche Form frug, wenn sie vereinzelt bei einem Schrift¬
steller vorkam; hente ist es schon ein Wunder, wenn im deutsche» Aufsatze
fragte dem Jungen uicht als Fehler angestrichen wird. Und so wie hier,
ist es in hundert andern Fällen. Wenn ein Baum krumm wächst, so ist das
für den Baum keine Schande, aber für den Gärtner. Wo ich von Sprach¬
verwilderung rede, da redet Bechstein von „Sprachleben." Das soll recht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/602>, abgerufen am 23.07.2024.