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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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ich ihm nicht seinen Titel gelassen hatte/'') Daß mich der Herr Professor
darum beneidet, glaube ich gern. Auch den faden Witz, den er darüber macht,
habe ich vorausgesehen. Aber ich wollte es einmal darauf ankommen lassen,
wieviele wohl den Mut haben würden, diesen vor den Füßen liegenden fade"
Witz aufzuheben. Wieviel glaubt wohl der Herr Professor, daß darauf hinein¬
gefallen sind? Mindestens dreißig. Und jeder hat natürlich geglaubt, er wäre
der Einzige. Auch Herr Professor Bechstein.

Daß der Ton meines Buches etwas derb ist, weiß ich auch. Aber es war
die höchste Zeit, einmal kräftig dreinzufahren, und Bechstein hat am aller¬
wenigsten Ursache, mir meinen Ton vorzuwerfen. Wenn er schreibt, ich siehe
"mit groben Kolben wie ein Besessener (!'> um mich herum," oder wenn er es
als Beispiel von "Toben" l!) anführt, daß ich von Jungen rede statt von
Schillern, so wird ja jedermann über solche Übertreibungen lachen. Wenn er
aber weiter schreibt, daß ich "auch deu Entrüsteten spielte," so ist das eine so
grobe Beleidigung, daß es mir dafür an einem parlamentarischen Ausdruck
fehlt. Mein ganzes Buch ist der Aufschrei eines jahrzehntelang gefolterten
Sprachgefühls, und das nennt Bechstein "den Entrüsteten spielen"!

Für einen Mangel an philologischer Genauigkeit erklärt er es, daß
ich bei keinem meiner Beispiele angegeben habe, woher es stammt; für
die Beurteilung einer Form, eines Wortes oder einer Wendung sei es "höchst
nötig, das zu wissen." Nun, die Beispiele stammen fast alle ans Zeitungen,
Zeitschriften und Büchern der letztem Jahre. Das sieht mau ja schon meist
aus ihrem Inhalt. Allen diesen Sprachdummheiten auch uoch das Ursprungs¬
zeugnis beizufügen hätte doch wahrhaftig keinen Sinn gehabt. Es hätte das
Buch nur um einige Bogen stärker und dadurch teurer gemacht. Meint etwa
Bechstein, ich hätte die Beispiele absichtlich aus besonders schlechten Zeitungen
und schlechten Büchern ausgewählt? Wenn er ernstlich so etwas meinen sollte,
dann könnte ich ja in einer zweiten Auflage hundert Beispiele ausmerzen und
dnrch hundert andre ersetzen, die ich dann mit dein Ursprungszeugnis versehen
würde; es würde mich das höchstens acht Tage Arbeit kosten. Der Herr
Professor würde sich aber höchlich wundern, wenn er die Quellennachweise sähe!

Über den Inhalt meines Buches ergeht sich Bechstein nur in dreisten
Redensarten. "Man merkt, schreibt er, daß W. etwas Deutsch getrieben hat,
aber er hat es doch nicht zur eigentlichen Kennerschaft gebracht." Darauf
will ich dem Herrn Professor nur erwidern, daß ich in den letzten fünfzehn
Jahren wahrsclleinlich mehr "Deutsch" des fünfzehnten, sechzehnten, siebzehnten
"ud achtzehnten Jahrhunderts gelesen habe, und zwar in den Originalhmid-



Ein befreundeter Buchhändler beschwor uns noch wenige Tage vor der Ausgabe, den
Titel zu andern alle Welt würde sich daran stoßen, niemand würde das Buch kaufen. Wie
gut, daß wir nicht auf ihn gehört haben!
Grenzboten I 1L92 75

ich ihm nicht seinen Titel gelassen hatte/'') Daß mich der Herr Professor
darum beneidet, glaube ich gern. Auch den faden Witz, den er darüber macht,
habe ich vorausgesehen. Aber ich wollte es einmal darauf ankommen lassen,
wieviele wohl den Mut haben würden, diesen vor den Füßen liegenden fade»
Witz aufzuheben. Wieviel glaubt wohl der Herr Professor, daß darauf hinein¬
gefallen sind? Mindestens dreißig. Und jeder hat natürlich geglaubt, er wäre
der Einzige. Auch Herr Professor Bechstein.

Daß der Ton meines Buches etwas derb ist, weiß ich auch. Aber es war
die höchste Zeit, einmal kräftig dreinzufahren, und Bechstein hat am aller¬
wenigsten Ursache, mir meinen Ton vorzuwerfen. Wenn er schreibt, ich siehe
„mit groben Kolben wie ein Besessener (!'> um mich herum," oder wenn er es
als Beispiel von „Toben" l!) anführt, daß ich von Jungen rede statt von
Schillern, so wird ja jedermann über solche Übertreibungen lachen. Wenn er
aber weiter schreibt, daß ich „auch deu Entrüsteten spielte," so ist das eine so
grobe Beleidigung, daß es mir dafür an einem parlamentarischen Ausdruck
fehlt. Mein ganzes Buch ist der Aufschrei eines jahrzehntelang gefolterten
Sprachgefühls, und das nennt Bechstein „den Entrüsteten spielen"!

Für einen Mangel an philologischer Genauigkeit erklärt er es, daß
ich bei keinem meiner Beispiele angegeben habe, woher es stammt; für
die Beurteilung einer Form, eines Wortes oder einer Wendung sei es „höchst
nötig, das zu wissen." Nun, die Beispiele stammen fast alle ans Zeitungen,
Zeitschriften und Büchern der letztem Jahre. Das sieht mau ja schon meist
aus ihrem Inhalt. Allen diesen Sprachdummheiten auch uoch das Ursprungs¬
zeugnis beizufügen hätte doch wahrhaftig keinen Sinn gehabt. Es hätte das
Buch nur um einige Bogen stärker und dadurch teurer gemacht. Meint etwa
Bechstein, ich hätte die Beispiele absichtlich aus besonders schlechten Zeitungen
und schlechten Büchern ausgewählt? Wenn er ernstlich so etwas meinen sollte,
dann könnte ich ja in einer zweiten Auflage hundert Beispiele ausmerzen und
dnrch hundert andre ersetzen, die ich dann mit dein Ursprungszeugnis versehen
würde; es würde mich das höchstens acht Tage Arbeit kosten. Der Herr
Professor würde sich aber höchlich wundern, wenn er die Quellennachweise sähe!

Über den Inhalt meines Buches ergeht sich Bechstein nur in dreisten
Redensarten. „Man merkt, schreibt er, daß W. etwas Deutsch getrieben hat,
aber er hat es doch nicht zur eigentlichen Kennerschaft gebracht." Darauf
will ich dem Herrn Professor nur erwidern, daß ich in den letzten fünfzehn
Jahren wahrsclleinlich mehr „Deutsch" des fünfzehnten, sechzehnten, siebzehnten
"ud achtzehnten Jahrhunderts gelesen habe, und zwar in den Originalhmid-



Ein befreundeter Buchhändler beschwor uns noch wenige Tage vor der Ausgabe, den
Titel zu andern alle Welt würde sich daran stoßen, niemand würde das Buch kaufen. Wie
gut, daß wir nicht auf ihn gehört haben!
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[0601] ich ihm nicht seinen Titel gelassen hatte/'') Daß mich der Herr Professor darum beneidet, glaube ich gern. Auch den faden Witz, den er darüber macht, habe ich vorausgesehen. Aber ich wollte es einmal darauf ankommen lassen, wieviele wohl den Mut haben würden, diesen vor den Füßen liegenden fade» Witz aufzuheben. Wieviel glaubt wohl der Herr Professor, daß darauf hinein¬ gefallen sind? Mindestens dreißig. Und jeder hat natürlich geglaubt, er wäre der Einzige. Auch Herr Professor Bechstein. Daß der Ton meines Buches etwas derb ist, weiß ich auch. Aber es war die höchste Zeit, einmal kräftig dreinzufahren, und Bechstein hat am aller¬ wenigsten Ursache, mir meinen Ton vorzuwerfen. Wenn er schreibt, ich siehe „mit groben Kolben wie ein Besessener (!'> um mich herum," oder wenn er es als Beispiel von „Toben" l!) anführt, daß ich von Jungen rede statt von Schillern, so wird ja jedermann über solche Übertreibungen lachen. Wenn er aber weiter schreibt, daß ich „auch deu Entrüsteten spielte," so ist das eine so grobe Beleidigung, daß es mir dafür an einem parlamentarischen Ausdruck fehlt. Mein ganzes Buch ist der Aufschrei eines jahrzehntelang gefolterten Sprachgefühls, und das nennt Bechstein „den Entrüsteten spielen"! Für einen Mangel an philologischer Genauigkeit erklärt er es, daß ich bei keinem meiner Beispiele angegeben habe, woher es stammt; für die Beurteilung einer Form, eines Wortes oder einer Wendung sei es „höchst nötig, das zu wissen." Nun, die Beispiele stammen fast alle ans Zeitungen, Zeitschriften und Büchern der letztem Jahre. Das sieht mau ja schon meist aus ihrem Inhalt. Allen diesen Sprachdummheiten auch uoch das Ursprungs¬ zeugnis beizufügen hätte doch wahrhaftig keinen Sinn gehabt. Es hätte das Buch nur um einige Bogen stärker und dadurch teurer gemacht. Meint etwa Bechstein, ich hätte die Beispiele absichtlich aus besonders schlechten Zeitungen und schlechten Büchern ausgewählt? Wenn er ernstlich so etwas meinen sollte, dann könnte ich ja in einer zweiten Auflage hundert Beispiele ausmerzen und dnrch hundert andre ersetzen, die ich dann mit dein Ursprungszeugnis versehen würde; es würde mich das höchstens acht Tage Arbeit kosten. Der Herr Professor würde sich aber höchlich wundern, wenn er die Quellennachweise sähe! Über den Inhalt meines Buches ergeht sich Bechstein nur in dreisten Redensarten. „Man merkt, schreibt er, daß W. etwas Deutsch getrieben hat, aber er hat es doch nicht zur eigentlichen Kennerschaft gebracht." Darauf will ich dem Herrn Professor nur erwidern, daß ich in den letzten fünfzehn Jahren wahrsclleinlich mehr „Deutsch" des fünfzehnten, sechzehnten, siebzehnten "ud achtzehnten Jahrhunderts gelesen habe, und zwar in den Originalhmid- Ein befreundeter Buchhändler beschwor uns noch wenige Tage vor der Ausgabe, den Titel zu andern alle Welt würde sich daran stoßen, niemand würde das Buch kaufen. Wie gut, daß wir nicht auf ihn gehört haben! Grenzboten I 1L92 75

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/601>, abgerufen am 23.07.2024.