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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Vornehm objektiv klingen. Aber wo ist denn dieses Sprachleben? Ist die
Sprache irgend ein unfaßbares Wesen außer uns? Die Sprache ist in uns,
aus der Sprache wird nur das, was wir aus ihr machen. Wenn wir sie
verwildern lassen, so verwildert sie eben. Den deutschen Sprachunterricht so
betreiben, wie manche Germanisten jetzt wollen, das ist, als wenn sich der
Gärtner mit dem Handbuch der Petrefaktenkuude, dem Handbuch der Botanik
und dem Mikroskop in den Garten setzen wollte. Das Mikroskop thuts nicht,
die Schere thuts.

Begründet hat Bechstein sein abfälliges Urteil nicht durch ein einziges
Beispiel. O doch, durch eins: er bekämpft, was ich über das Relativpronomen
welcher gesagt habe. Ich habe behauptet, welcher als Relativpronomen
gehöre ausschließlich der Papiersprache an, der natürlichen, lebendigen Sprache
sei es fremd, in der Dichtersprache sei es ganz undenkbar; wo es sich dort
vereinzelt zeige, sei es nichts als schleppendes Versfüllsel. Diese Behauptung,
meint Bechstein, sei "zum Lachen." "Kennt W. nicht die Homerübersetzung von
Vosz? Für den Hexameter ist welcher gerade höchst willkommen." Nun,
mir die Vossische Homerübersetzung als Muster deutscher Dichtersprache vor¬
zuhalten, das ist in der That "zum Lachen." Wenn mir Bechstein ein deutsches
Volkslied bringen wird, worin ein Relativsatz steht, der mit welcher anfängt,
dann mag er lachen. Er widerspricht sich ja in einem Atem selbst, wenn er
bestreitet, daß welcher bloßes Versfüllsel sei, und in derselben Zeile zugesteht,
es sei "für den Hexameter willkommen." Willkommen -- als was denn? Nun,
eben als Auskunftsmittel, als Stellvertreter für der, also doch als -- Vers¬
füllsel. Welcher wird nicht gesprochen, es ist nicht wahr, weder in Nord-
nvch in Süddeutschland, im Volke ganz gewiß nicht. Nur dem immer wich¬
tigen und feierlichen Gewohnheitsredner, z. B. dem Professor, dem "Abgeord¬
neten," dem "Vorsitzenden," entschlüpft es schließlich auch in der Unterhaltung. Die
reden aber eben schon Pcipiersprache! Sie nehmen die Sprache ihres Hand¬
buchs, ihrer Akten, ihrer Zeitung mit aufs Katheder und auf die Tribüne,
sie nehmen sie sogar mit in Gesellschaft. Warum schreibt denn Bechstein nicht
welcher, wenn er es für so schön hält? Auf den acht Oktavseiten seiner
Kritik zähle ich 22 Relativsätze. Nicht ein einziger davon fängt mit welcher
an! Warum denn nicht? Nun, weil es für jeden ganz unerträglich ist, der
einmal auf die Unnatur dieser Verknüpfung aufmerksam gemacht worden ist.
Oder will Bechstein etwa behaupten, es sei Zufall, daß keiner dieser 22 Sätze
mit welcher anfängt? Er hat sich wohl gehütet, es zu schreiben.") Aber
er redet dagegen. Es ist ja nur, um was zu reden.



Bechstein hat viel aus meinem Buche gelernt, aber alles hat er noch nicht verdaut.
Um die richtige Stellung der persönlichen Fürwörter z. B. weiß er immer noch nicht Be¬
scheid. Er schreibt immer noch: wenn solche sich (statt: wenn sich solche) -- der Titel, den
">an für die Grenzboten sich gefallen ließ (statt: den man sich) -- ein bischen Verdruß

Vornehm objektiv klingen. Aber wo ist denn dieses Sprachleben? Ist die
Sprache irgend ein unfaßbares Wesen außer uns? Die Sprache ist in uns,
aus der Sprache wird nur das, was wir aus ihr machen. Wenn wir sie
verwildern lassen, so verwildert sie eben. Den deutschen Sprachunterricht so
betreiben, wie manche Germanisten jetzt wollen, das ist, als wenn sich der
Gärtner mit dem Handbuch der Petrefaktenkuude, dem Handbuch der Botanik
und dem Mikroskop in den Garten setzen wollte. Das Mikroskop thuts nicht,
die Schere thuts.

Begründet hat Bechstein sein abfälliges Urteil nicht durch ein einziges
Beispiel. O doch, durch eins: er bekämpft, was ich über das Relativpronomen
welcher gesagt habe. Ich habe behauptet, welcher als Relativpronomen
gehöre ausschließlich der Papiersprache an, der natürlichen, lebendigen Sprache
sei es fremd, in der Dichtersprache sei es ganz undenkbar; wo es sich dort
vereinzelt zeige, sei es nichts als schleppendes Versfüllsel. Diese Behauptung,
meint Bechstein, sei „zum Lachen." „Kennt W. nicht die Homerübersetzung von
Vosz? Für den Hexameter ist welcher gerade höchst willkommen." Nun,
mir die Vossische Homerübersetzung als Muster deutscher Dichtersprache vor¬
zuhalten, das ist in der That „zum Lachen." Wenn mir Bechstein ein deutsches
Volkslied bringen wird, worin ein Relativsatz steht, der mit welcher anfängt,
dann mag er lachen. Er widerspricht sich ja in einem Atem selbst, wenn er
bestreitet, daß welcher bloßes Versfüllsel sei, und in derselben Zeile zugesteht,
es sei „für den Hexameter willkommen." Willkommen — als was denn? Nun,
eben als Auskunftsmittel, als Stellvertreter für der, also doch als — Vers¬
füllsel. Welcher wird nicht gesprochen, es ist nicht wahr, weder in Nord-
nvch in Süddeutschland, im Volke ganz gewiß nicht. Nur dem immer wich¬
tigen und feierlichen Gewohnheitsredner, z. B. dem Professor, dem „Abgeord¬
neten," dem „Vorsitzenden," entschlüpft es schließlich auch in der Unterhaltung. Die
reden aber eben schon Pcipiersprache! Sie nehmen die Sprache ihres Hand¬
buchs, ihrer Akten, ihrer Zeitung mit aufs Katheder und auf die Tribüne,
sie nehmen sie sogar mit in Gesellschaft. Warum schreibt denn Bechstein nicht
welcher, wenn er es für so schön hält? Auf den acht Oktavseiten seiner
Kritik zähle ich 22 Relativsätze. Nicht ein einziger davon fängt mit welcher
an! Warum denn nicht? Nun, weil es für jeden ganz unerträglich ist, der
einmal auf die Unnatur dieser Verknüpfung aufmerksam gemacht worden ist.
Oder will Bechstein etwa behaupten, es sei Zufall, daß keiner dieser 22 Sätze
mit welcher anfängt? Er hat sich wohl gehütet, es zu schreiben.") Aber
er redet dagegen. Es ist ja nur, um was zu reden.



Bechstein hat viel aus meinem Buche gelernt, aber alles hat er noch nicht verdaut.
Um die richtige Stellung der persönlichen Fürwörter z. B. weiß er immer noch nicht Be¬
scheid. Er schreibt immer noch: wenn solche sich (statt: wenn sich solche) — der Titel, den
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/603>, abgerufen am 23.07.2024.