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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Baugesellschaften steht. Die gemeinnützigen Baugesellschaften würden in weit
höherm Maße wirken können, wenn ihnen die wohlhabenden Kreise, anstatt
einige Tausende zum Bau von Arbeiterwohnungen zu schenken, gegen eine mäßige
Verzinsung hypothekarisch sicher zu stellende Gelder liehen. Als Bedingung
eines Erfolgs ist natürlich vorauszusetzen, daß alle Bestrebungen, die die gro߬
städtischen Wvhnzustände der arbeitenden Klaffen durch Errichtung von Eigen¬
tumshäusern in den Vororten zu bessern suchen, nicht durch äußere Hindernisse
beeinträchtigt werden. So ist z. B. in einem Berliner Vororte die Entwicklung
einer Kolonie der "Berliner Baugenossenschaft" durch die Haltung der Orts-
behörden sehr gehemmt worden. Der Grund lag darin, daß man an dem Orte
lieber ein Villen- als ein Arbeiterviertel erbaut sehen wollte. Solche Souder-
wünschc müssen freilich zurücktreten, wenn öffentliche Interessen in Frage
kommen. Zweifellos ist das da der Fall, wo es sich darum handelt, einer¬
seits die traurigen Wohnungsverhältnisse einer zahlreichen großstädtischen
Arbeiterbevölkerung mit ihren sozialen und sittlichen Gefahren zu beseitigen,
andrerseits den wenig bemittelten Klassen zu einem geräumigen und gefunden
eignen Heim zu verhelfen.

Einen ganz und gar zu verurteileuden Standpunkt hat man in Magde¬
burg eingenommen. Da die Arbeiterwohnungen an diesem Orte zu teuer sind
und häufig nicht einmal den einfachsten Anforderungen der Gesundheit ent¬
sprechen, so regte man an, zum Bau gesunder und billiger Wohnhäuser Geld¬
mittel zu beschaffen. Die Sache kam in einer Versammlung des "Vereins
für Gesundheitspflege" zur Besprechung, verlief jedoch ergebnislos, weil sich
gerade die finanziell leistungsfähigen Kreise ablehnend verhielten. Nicht nur
die Bedürfnisfrage wurde verneint, sondern die Ablehnung wurde sogar durch
die Bemerkung begründet, ein solches Unternehmen würde eine unerwünschte
Konkurrenz gegen Bauunternehmer und Hausbesitzer zur Folge haben.

In der Reichshauptstadt ist bis heute noch sehr wenig gethan worden,
um die Wohnungsnot der arbeitenden Klassen zu mildern. Die Thätigkeit
der "Berliner gemeinnützigen Baugesellschaft," die schon 1847 begonnen hat,
hat keine irgendwie nennenswerte Erfolge gehabt; auch der seit zwei oder drei
Jahren wirkende Verein zur Verbesserung der kleinen Wohnungen weiß mit
seinen alten Häusern nichts rechtes anzufangen, und selbst die als Genossen¬
schaft mit beschränkter Haftpflicht errichtete Berliner Baugenossenschaft (vom
Jahre 1886) wird ebenso, wie einige kleinere Gesellschaften, deren Zweck
der Bau kleiner Eigentumshäuser ist, trotz ihrer verhältnismäßig günstigen
Entwicklung die Arbeiterwohnungsfrage nur zu einem sehr geringen Teile der
Lösung näher bringen.

Die im Jahre 1889 erbauten Häuser der Berliner Baugeuosseuschaft
wurden von einem königlichen Bauführer, einem Architekten, einem Zeichner,
zwei Kaufleuten, zwei Buchhaltern, einem Schneidermeister, einem Graveur,


Baugesellschaften steht. Die gemeinnützigen Baugesellschaften würden in weit
höherm Maße wirken können, wenn ihnen die wohlhabenden Kreise, anstatt
einige Tausende zum Bau von Arbeiterwohnungen zu schenken, gegen eine mäßige
Verzinsung hypothekarisch sicher zu stellende Gelder liehen. Als Bedingung
eines Erfolgs ist natürlich vorauszusetzen, daß alle Bestrebungen, die die gro߬
städtischen Wvhnzustände der arbeitenden Klaffen durch Errichtung von Eigen¬
tumshäusern in den Vororten zu bessern suchen, nicht durch äußere Hindernisse
beeinträchtigt werden. So ist z. B. in einem Berliner Vororte die Entwicklung
einer Kolonie der „Berliner Baugenossenschaft" durch die Haltung der Orts-
behörden sehr gehemmt worden. Der Grund lag darin, daß man an dem Orte
lieber ein Villen- als ein Arbeiterviertel erbaut sehen wollte. Solche Souder-
wünschc müssen freilich zurücktreten, wenn öffentliche Interessen in Frage
kommen. Zweifellos ist das da der Fall, wo es sich darum handelt, einer¬
seits die traurigen Wohnungsverhältnisse einer zahlreichen großstädtischen
Arbeiterbevölkerung mit ihren sozialen und sittlichen Gefahren zu beseitigen,
andrerseits den wenig bemittelten Klassen zu einem geräumigen und gefunden
eignen Heim zu verhelfen.

Einen ganz und gar zu verurteileuden Standpunkt hat man in Magde¬
burg eingenommen. Da die Arbeiterwohnungen an diesem Orte zu teuer sind
und häufig nicht einmal den einfachsten Anforderungen der Gesundheit ent¬
sprechen, so regte man an, zum Bau gesunder und billiger Wohnhäuser Geld¬
mittel zu beschaffen. Die Sache kam in einer Versammlung des „Vereins
für Gesundheitspflege" zur Besprechung, verlief jedoch ergebnislos, weil sich
gerade die finanziell leistungsfähigen Kreise ablehnend verhielten. Nicht nur
die Bedürfnisfrage wurde verneint, sondern die Ablehnung wurde sogar durch
die Bemerkung begründet, ein solches Unternehmen würde eine unerwünschte
Konkurrenz gegen Bauunternehmer und Hausbesitzer zur Folge haben.

In der Reichshauptstadt ist bis heute noch sehr wenig gethan worden,
um die Wohnungsnot der arbeitenden Klassen zu mildern. Die Thätigkeit
der „Berliner gemeinnützigen Baugesellschaft," die schon 1847 begonnen hat,
hat keine irgendwie nennenswerte Erfolge gehabt; auch der seit zwei oder drei
Jahren wirkende Verein zur Verbesserung der kleinen Wohnungen weiß mit
seinen alten Häusern nichts rechtes anzufangen, und selbst die als Genossen¬
schaft mit beschränkter Haftpflicht errichtete Berliner Baugenossenschaft (vom
Jahre 1886) wird ebenso, wie einige kleinere Gesellschaften, deren Zweck
der Bau kleiner Eigentumshäuser ist, trotz ihrer verhältnismäßig günstigen
Entwicklung die Arbeiterwohnungsfrage nur zu einem sehr geringen Teile der
Lösung näher bringen.

Die im Jahre 1889 erbauten Häuser der Berliner Baugeuosseuschaft
wurden von einem königlichen Bauführer, einem Architekten, einem Zeichner,
zwei Kaufleuten, zwei Buchhaltern, einem Schneidermeister, einem Graveur,


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[0571] Baugesellschaften steht. Die gemeinnützigen Baugesellschaften würden in weit höherm Maße wirken können, wenn ihnen die wohlhabenden Kreise, anstatt einige Tausende zum Bau von Arbeiterwohnungen zu schenken, gegen eine mäßige Verzinsung hypothekarisch sicher zu stellende Gelder liehen. Als Bedingung eines Erfolgs ist natürlich vorauszusetzen, daß alle Bestrebungen, die die gro߬ städtischen Wvhnzustände der arbeitenden Klaffen durch Errichtung von Eigen¬ tumshäusern in den Vororten zu bessern suchen, nicht durch äußere Hindernisse beeinträchtigt werden. So ist z. B. in einem Berliner Vororte die Entwicklung einer Kolonie der „Berliner Baugenossenschaft" durch die Haltung der Orts- behörden sehr gehemmt worden. Der Grund lag darin, daß man an dem Orte lieber ein Villen- als ein Arbeiterviertel erbaut sehen wollte. Solche Souder- wünschc müssen freilich zurücktreten, wenn öffentliche Interessen in Frage kommen. Zweifellos ist das da der Fall, wo es sich darum handelt, einer¬ seits die traurigen Wohnungsverhältnisse einer zahlreichen großstädtischen Arbeiterbevölkerung mit ihren sozialen und sittlichen Gefahren zu beseitigen, andrerseits den wenig bemittelten Klassen zu einem geräumigen und gefunden eignen Heim zu verhelfen. Einen ganz und gar zu verurteileuden Standpunkt hat man in Magde¬ burg eingenommen. Da die Arbeiterwohnungen an diesem Orte zu teuer sind und häufig nicht einmal den einfachsten Anforderungen der Gesundheit ent¬ sprechen, so regte man an, zum Bau gesunder und billiger Wohnhäuser Geld¬ mittel zu beschaffen. Die Sache kam in einer Versammlung des „Vereins für Gesundheitspflege" zur Besprechung, verlief jedoch ergebnislos, weil sich gerade die finanziell leistungsfähigen Kreise ablehnend verhielten. Nicht nur die Bedürfnisfrage wurde verneint, sondern die Ablehnung wurde sogar durch die Bemerkung begründet, ein solches Unternehmen würde eine unerwünschte Konkurrenz gegen Bauunternehmer und Hausbesitzer zur Folge haben. In der Reichshauptstadt ist bis heute noch sehr wenig gethan worden, um die Wohnungsnot der arbeitenden Klassen zu mildern. Die Thätigkeit der „Berliner gemeinnützigen Baugesellschaft," die schon 1847 begonnen hat, hat keine irgendwie nennenswerte Erfolge gehabt; auch der seit zwei oder drei Jahren wirkende Verein zur Verbesserung der kleinen Wohnungen weiß mit seinen alten Häusern nichts rechtes anzufangen, und selbst die als Genossen¬ schaft mit beschränkter Haftpflicht errichtete Berliner Baugenossenschaft (vom Jahre 1886) wird ebenso, wie einige kleinere Gesellschaften, deren Zweck der Bau kleiner Eigentumshäuser ist, trotz ihrer verhältnismäßig günstigen Entwicklung die Arbeiterwohnungsfrage nur zu einem sehr geringen Teile der Lösung näher bringen. Die im Jahre 1889 erbauten Häuser der Berliner Baugeuosseuschaft wurden von einem königlichen Bauführer, einem Architekten, einem Zeichner, zwei Kaufleuten, zwei Buchhaltern, einem Schneidermeister, einem Graveur,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/571>, abgerufen am 23.07.2024.