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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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die bestimmt sind, allmählich in das Eigentum ihrer Bewohner überzugehn,
hie und da gute Fortschritte gemacht. Insbesondre ist in den Städten Ham¬
burg, Kiel, Archen-Vnrtscheid, Berlin u, s. w. manches lobenswerte geschehen.
In Berlin wirkt einerseits der Umstand fördernd, das; seit dem 1. Oktober v. I,
die Persvuentarife für den Eisenbahnverkehr der Vororte bedeutend billiger ge¬
worden sind, andrerseits scheint man den Bestrebungen, die den Arbeiterfamilien
zu behaglichen, eignen Wohnstätten verhelfen wollen, in den Kreisen der wohl¬
habenden Klassen neuerdings überhaupt mehr Verständnis als früher entgegen¬
zubringen. Vielleicht ist das ans die Anregung zurückzuführen, die das
Kaiserpaar dadurch gegeben hat, daß es vor etwa vier Monaten der Berliner
Baugesellschaft "Eigenhaus" den Ban einiger Arbeiterwohnhäuser übertrug
und sich vorbehielt, sie mit Arbeiterfamilien zu besetzen. Ein Schreibe" aus
dem kaiserlichen Zivilkabinett spricht die Hoffnung aus, daß die wohlhabenden
Klassen dem Beispiele des Monarchen folgen und würdigen, mittellosen Ar¬
beitern in gleicher Weise ein Heim schaffen werde". Mit andern Worten:
es soll versucht werde", eine Lösung der Wohnungsfrage durch Handlungen
der Wohlthätigkeit anzubahnen.

Man kann gern zugeben, daß i" besonder" Fälle" auch diese Form der
Fürsorge berechtigt ist, allein man wird nicht übersehe" dürfen, daß die
Wohnungsfrage mir dann gelöst werden wird, wenn sehr große Mittel, weit
größere, als menschenfreundliche Bestrebungen Einzelner aufzubringen ver¬
mögen, bereit gestellt werden; man wird zu beachten haben, daß die Schen¬
kung oder Nicßbrauchsüberlassung von Einfamilienhäuseru an einzelne Arbeiter
keine Bürgschaft bietet, daß diese Häuser ihrem Zweck erhalten bleiben, und
endlich wird man berücksichtigen müssen, daß die Wohlthätigkeit, die durch
Schenke" geübt wird, niemals große soziale Schäden heilen kann, vielmehr
die Energie und das Selbstbewußtsein der Hilfsbedürftigen schädigt und herab-
drückt. Halte ich es hiernach für ausgeschlossen, daß die Schenkung von Ein¬
familienhäusern an Arbeitende die Wohnungsfrage ihrer Lösung wesentlich näher
bringen werde, so verkenne ich doch keineswegs die Bedeutung der auf Wohl¬
thätigkeit beruhenden Bestrebungen einzelner Menschenfreunde. Freilich mochte
ich diesen Bestrebungen eine andre Richtung geben, entweder eine Richtung,
die durch die bekannte großartige Stiftung Georg Peabodhs in London, durch
eine Stiftung des Geh. Bergrnts Prof. Dr. Gerhard vom Rat in Bonn und
dnrch eine Schöpfung des Vereins für Erbauung billiger Wohnungen in
Leipzig-Lindenau") vorgezeichnet ist, oder eine Richtung, die ihre Aufgabe in
einer Förderung der einerseits zwar auf rein gemeinnützigen Boden, andrer¬
seits aber doch ausschließlich auf dem Boden der Selbsthilfe stehende"



*) Bei diesen Schöpfungen wird zu Gunsten der Entwicklung des Unternehmens ans
Kcipitalverziusung vcrzichiel, die Neltveiunahiue wird zur flortschunst der Bauten verwendet.
!7cuc versuche zur Lösung der Ardeiterwcchnmigsfrage

die bestimmt sind, allmählich in das Eigentum ihrer Bewohner überzugehn,
hie und da gute Fortschritte gemacht. Insbesondre ist in den Städten Ham¬
burg, Kiel, Archen-Vnrtscheid, Berlin u, s. w. manches lobenswerte geschehen.
In Berlin wirkt einerseits der Umstand fördernd, das; seit dem 1. Oktober v. I,
die Persvuentarife für den Eisenbahnverkehr der Vororte bedeutend billiger ge¬
worden sind, andrerseits scheint man den Bestrebungen, die den Arbeiterfamilien
zu behaglichen, eignen Wohnstätten verhelfen wollen, in den Kreisen der wohl¬
habenden Klassen neuerdings überhaupt mehr Verständnis als früher entgegen¬
zubringen. Vielleicht ist das ans die Anregung zurückzuführen, die das
Kaiserpaar dadurch gegeben hat, daß es vor etwa vier Monaten der Berliner
Baugesellschaft „Eigenhaus" den Ban einiger Arbeiterwohnhäuser übertrug
und sich vorbehielt, sie mit Arbeiterfamilien zu besetzen. Ein Schreibe» aus
dem kaiserlichen Zivilkabinett spricht die Hoffnung aus, daß die wohlhabenden
Klassen dem Beispiele des Monarchen folgen und würdigen, mittellosen Ar¬
beitern in gleicher Weise ein Heim schaffen werde». Mit andern Worten:
es soll versucht werde», eine Lösung der Wohnungsfrage durch Handlungen
der Wohlthätigkeit anzubahnen.

Man kann gern zugeben, daß i» besonder» Fälle» auch diese Form der
Fürsorge berechtigt ist, allein man wird nicht übersehe» dürfen, daß die
Wohnungsfrage mir dann gelöst werden wird, wenn sehr große Mittel, weit
größere, als menschenfreundliche Bestrebungen Einzelner aufzubringen ver¬
mögen, bereit gestellt werden; man wird zu beachten haben, daß die Schen¬
kung oder Nicßbrauchsüberlassung von Einfamilienhäuseru an einzelne Arbeiter
keine Bürgschaft bietet, daß diese Häuser ihrem Zweck erhalten bleiben, und
endlich wird man berücksichtigen müssen, daß die Wohlthätigkeit, die durch
Schenke» geübt wird, niemals große soziale Schäden heilen kann, vielmehr
die Energie und das Selbstbewußtsein der Hilfsbedürftigen schädigt und herab-
drückt. Halte ich es hiernach für ausgeschlossen, daß die Schenkung von Ein¬
familienhäusern an Arbeitende die Wohnungsfrage ihrer Lösung wesentlich näher
bringen werde, so verkenne ich doch keineswegs die Bedeutung der auf Wohl¬
thätigkeit beruhenden Bestrebungen einzelner Menschenfreunde. Freilich mochte
ich diesen Bestrebungen eine andre Richtung geben, entweder eine Richtung,
die durch die bekannte großartige Stiftung Georg Peabodhs in London, durch
eine Stiftung des Geh. Bergrnts Prof. Dr. Gerhard vom Rat in Bonn und
dnrch eine Schöpfung des Vereins für Erbauung billiger Wohnungen in
Leipzig-Lindenau") vorgezeichnet ist, oder eine Richtung, die ihre Aufgabe in
einer Förderung der einerseits zwar auf rein gemeinnützigen Boden, andrer¬
seits aber doch ausschließlich auf dem Boden der Selbsthilfe stehende»



*) Bei diesen Schöpfungen wird zu Gunsten der Entwicklung des Unternehmens ans
Kcipitalverziusung vcrzichiel, die Neltveiunahiue wird zur flortschunst der Bauten verwendet.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/570>, abgerufen am 23.07.2024.