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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

versuchte, seiner Stimme Festigkeit zu gebe", eine Geschichte, die er gerade gelesen,
und die unser Freund, Franz Hoffmann, geschrieben hatte. Der Held war ein
edler, unbeschreiblich edler Knabe, der von seinen Feinden ins Gefängnis geworfen
worden war. Er saß auf einem Strohbttndel und wurde aus einem Knaben
ein Mann, ans dein Mann ein Greis, und niemand kümmerte sich um ihn.
Aber er blieb immer gut und freundlich, und weil er stets auf einem Flecke
saß, wuchs sein Bart auf die Erde und von der Erde, wie Epheu, an der
Wand des Gefängnisses entlang. Und als er über hundert Jahre so gesessen
hatte, und seine holde Freundlichkeit stets dieselbe blieb, da öffnete sich endlich
die Thür seines Kerkers, und die Befreier kamen: er sollte König eines
reichen Landes werden. Er aber sagte -- ja was der edle Greis sagte, habe
ich niemals erfahren. Ich weinte schon längst Ströme von Thränen, und
Jürgen, der mich zuerst verächtlich angelächelt hatte, schluchzte ebenso laut
wie ich.

Am Polterabend Fräulein Hermensteins standen wir rechtzeitig aus unserm
Posten. Nicht weit von dem großen, hell erleuchteten Hause war ein Neubau
mit einem Gerüst. Dahin hatten wir alle unsre "Pottscharben" gebracht, da
war auch eine große Gießkanne mit Wasser, aus der die noch Wasser haltenden
Gläser und Töpfe gefüllt wurden. Zuerst begann eine kleine Plänkelei: Tasten,
Gläser und einige Flaschen wurden gewissermaßen versuchsweise geworfen,
aber es war nichts Ordentliches. Wegen solcher Kleinigkeit setzte sich Polizei-
diener Weber nicht in Bewegung. Einem Gerüchte nach sollte er in einer
dunkeln Ecke des Festhauses stehen, aber wir sahen ihn nicht; und auch Hein¬
rich war noch nicht erschienen, obgleich er uns gebeten hatte, rechtzeitig aus
dem Platze zu sein. Wir warteten noch eine Zeit lang -- endlich stand der
große Bruder vor uns, und nun ging der eigentliche Spaß los. Atemlos
vor Aufregung reichten wir Heinrich Töpfe, Gläser und Krüge, alle mit
Wasser gefüllt: prasselnd fielen sie immer auf denselben Fleck nieder und
machten einen wahrhaft höllischen Lärm. An den hell erleuchteten Fenstern
des Brauthauses zeigten sich Gestalten: man war entschieden erbaut von
dieser Huldigung. Aber auch die rächende Gerechtigkeit nahte sich. Es
hatte sich eine größere Volksmenge angesammelt, und wahrscheinlich fielen
einige spöttische Bemerkungen über Webers Leistungsfähigkeit; denn plötz¬
lich hörte man sein lautes Schelten auf dem Platz, und die blanken
Knöpfe seiner Uniform blinkten so unheimlich nahe bei uns, daß es meiner
ganzen Selbstbeherrschung bedürfte, unser schönstes Polterstück, Großvaters
Terrine, nicht fallen zu lassen. Heinrich hatte sie bis zuletzt verwahrt, und
auch jetzt, wo die Gefahr in nächster Nähe war, schien er sich nicht von ihr
trennen zu können. Er schob mich vor sich her und warf einen Wasserkrug so nahe
an Webers Kopf vorbei, daß dieser zurücktaumelte und erst nach einigen Se¬
kunden mit wilden Flüchen nach dem Neubau stürzte. Aber dort waren wir


Aus dänischer Zeit

versuchte, seiner Stimme Festigkeit zu gebe», eine Geschichte, die er gerade gelesen,
und die unser Freund, Franz Hoffmann, geschrieben hatte. Der Held war ein
edler, unbeschreiblich edler Knabe, der von seinen Feinden ins Gefängnis geworfen
worden war. Er saß auf einem Strohbttndel und wurde aus einem Knaben
ein Mann, ans dein Mann ein Greis, und niemand kümmerte sich um ihn.
Aber er blieb immer gut und freundlich, und weil er stets auf einem Flecke
saß, wuchs sein Bart auf die Erde und von der Erde, wie Epheu, an der
Wand des Gefängnisses entlang. Und als er über hundert Jahre so gesessen
hatte, und seine holde Freundlichkeit stets dieselbe blieb, da öffnete sich endlich
die Thür seines Kerkers, und die Befreier kamen: er sollte König eines
reichen Landes werden. Er aber sagte — ja was der edle Greis sagte, habe
ich niemals erfahren. Ich weinte schon längst Ströme von Thränen, und
Jürgen, der mich zuerst verächtlich angelächelt hatte, schluchzte ebenso laut
wie ich.

Am Polterabend Fräulein Hermensteins standen wir rechtzeitig aus unserm
Posten. Nicht weit von dem großen, hell erleuchteten Hause war ein Neubau
mit einem Gerüst. Dahin hatten wir alle unsre „Pottscharben" gebracht, da
war auch eine große Gießkanne mit Wasser, aus der die noch Wasser haltenden
Gläser und Töpfe gefüllt wurden. Zuerst begann eine kleine Plänkelei: Tasten,
Gläser und einige Flaschen wurden gewissermaßen versuchsweise geworfen,
aber es war nichts Ordentliches. Wegen solcher Kleinigkeit setzte sich Polizei-
diener Weber nicht in Bewegung. Einem Gerüchte nach sollte er in einer
dunkeln Ecke des Festhauses stehen, aber wir sahen ihn nicht; und auch Hein¬
rich war noch nicht erschienen, obgleich er uns gebeten hatte, rechtzeitig aus
dem Platze zu sein. Wir warteten noch eine Zeit lang — endlich stand der
große Bruder vor uns, und nun ging der eigentliche Spaß los. Atemlos
vor Aufregung reichten wir Heinrich Töpfe, Gläser und Krüge, alle mit
Wasser gefüllt: prasselnd fielen sie immer auf denselben Fleck nieder und
machten einen wahrhaft höllischen Lärm. An den hell erleuchteten Fenstern
des Brauthauses zeigten sich Gestalten: man war entschieden erbaut von
dieser Huldigung. Aber auch die rächende Gerechtigkeit nahte sich. Es
hatte sich eine größere Volksmenge angesammelt, und wahrscheinlich fielen
einige spöttische Bemerkungen über Webers Leistungsfähigkeit; denn plötz¬
lich hörte man sein lautes Schelten auf dem Platz, und die blanken
Knöpfe seiner Uniform blinkten so unheimlich nahe bei uns, daß es meiner
ganzen Selbstbeherrschung bedürfte, unser schönstes Polterstück, Großvaters
Terrine, nicht fallen zu lassen. Heinrich hatte sie bis zuletzt verwahrt, und
auch jetzt, wo die Gefahr in nächster Nähe war, schien er sich nicht von ihr
trennen zu können. Er schob mich vor sich her und warf einen Wasserkrug so nahe
an Webers Kopf vorbei, daß dieser zurücktaumelte und erst nach einigen Se¬
kunden mit wilden Flüchen nach dem Neubau stürzte. Aber dort waren wir


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[0560] Aus dänischer Zeit versuchte, seiner Stimme Festigkeit zu gebe», eine Geschichte, die er gerade gelesen, und die unser Freund, Franz Hoffmann, geschrieben hatte. Der Held war ein edler, unbeschreiblich edler Knabe, der von seinen Feinden ins Gefängnis geworfen worden war. Er saß auf einem Strohbttndel und wurde aus einem Knaben ein Mann, ans dein Mann ein Greis, und niemand kümmerte sich um ihn. Aber er blieb immer gut und freundlich, und weil er stets auf einem Flecke saß, wuchs sein Bart auf die Erde und von der Erde, wie Epheu, an der Wand des Gefängnisses entlang. Und als er über hundert Jahre so gesessen hatte, und seine holde Freundlichkeit stets dieselbe blieb, da öffnete sich endlich die Thür seines Kerkers, und die Befreier kamen: er sollte König eines reichen Landes werden. Er aber sagte — ja was der edle Greis sagte, habe ich niemals erfahren. Ich weinte schon längst Ströme von Thränen, und Jürgen, der mich zuerst verächtlich angelächelt hatte, schluchzte ebenso laut wie ich. Am Polterabend Fräulein Hermensteins standen wir rechtzeitig aus unserm Posten. Nicht weit von dem großen, hell erleuchteten Hause war ein Neubau mit einem Gerüst. Dahin hatten wir alle unsre „Pottscharben" gebracht, da war auch eine große Gießkanne mit Wasser, aus der die noch Wasser haltenden Gläser und Töpfe gefüllt wurden. Zuerst begann eine kleine Plänkelei: Tasten, Gläser und einige Flaschen wurden gewissermaßen versuchsweise geworfen, aber es war nichts Ordentliches. Wegen solcher Kleinigkeit setzte sich Polizei- diener Weber nicht in Bewegung. Einem Gerüchte nach sollte er in einer dunkeln Ecke des Festhauses stehen, aber wir sahen ihn nicht; und auch Hein¬ rich war noch nicht erschienen, obgleich er uns gebeten hatte, rechtzeitig aus dem Platze zu sein. Wir warteten noch eine Zeit lang — endlich stand der große Bruder vor uns, und nun ging der eigentliche Spaß los. Atemlos vor Aufregung reichten wir Heinrich Töpfe, Gläser und Krüge, alle mit Wasser gefüllt: prasselnd fielen sie immer auf denselben Fleck nieder und machten einen wahrhaft höllischen Lärm. An den hell erleuchteten Fenstern des Brauthauses zeigten sich Gestalten: man war entschieden erbaut von dieser Huldigung. Aber auch die rächende Gerechtigkeit nahte sich. Es hatte sich eine größere Volksmenge angesammelt, und wahrscheinlich fielen einige spöttische Bemerkungen über Webers Leistungsfähigkeit; denn plötz¬ lich hörte man sein lautes Schelten auf dem Platz, und die blanken Knöpfe seiner Uniform blinkten so unheimlich nahe bei uns, daß es meiner ganzen Selbstbeherrschung bedürfte, unser schönstes Polterstück, Großvaters Terrine, nicht fallen zu lassen. Heinrich hatte sie bis zuletzt verwahrt, und auch jetzt, wo die Gefahr in nächster Nähe war, schien er sich nicht von ihr trennen zu können. Er schob mich vor sich her und warf einen Wasserkrug so nahe an Webers Kopf vorbei, daß dieser zurücktaumelte und erst nach einigen Se¬ kunden mit wilden Flüchen nach dem Neubau stürzte. Aber dort waren wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/560>, abgerufen am 23.07.2024.