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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

nicht mehr. Vom Dunkel begünstigt standen wir jetzt hart vor Hermensteins
weit geöffneter Thür. Wir konnten in den hell erleuchteten Hausflur sehen, wo
viele Mädchen herumhcmtirten, und wo Berge von Butterbrot und Kuchen und
lange Reihen dampfender Punschgläser standen. Ein Mädchen mit leeren
Gläsern kam aus den Zimmern, um gleich wieder gefüllte fortzutragen, und aus
den Fenstern toute Musik und Lachen. Ich sah und horte freilich von alle-
dem nicht viel; meine beiden Arme hielten die bis zum Rande mit Wasser ge¬
füllte Terrine umklammert, und ich hatte Mühe, mich mitten in dem Gedränge
aufrecht zu halten. Und nun -- das Blut stockte mir in den Adern -- kam
Weber wieder. Er fluchte sehr laut und ging sehr langsam. Er wird dich
sehen, dachte ich; dann giebt es lebenslängliches Gefängnis, keine Weihnachten
und einen langen Bart! Aber Weber sah uns nicht. Er stand in der Haus¬
thür, und seine rote Nase bog sich wohlgefällig herunter zu einem Glase mit
rotem Inhalt. Wie in halber Zerstreuung streckte er die Hand aus nach der
Wange eines traiter Mädchens -- da fliegt ihm die Terrine klatschend vor
die Füße, daß er wild in die Luft springt und sein Punschglas fallen läßt.
Ich sehe und höre nichts mehr; ich laufe nur, weiter und immer weiter, bis
Heinrich, der mich an der Hand gefaßt hat, mir zuruft, ich solle doch kein
"Bangbüx" sein. Er war gar nicht stark gelaufen, und jetzt blieb er stehen
und lachte.

Das Wasser sprang ihm bis in seinen Punsch! rief er. Na, und um¬
ziehen muß er sich auch!

Weshalb hat er uns denn nicht gefangen? fragte ich noch halb er-
sah reckt.

Er kann ja nicht laufen! Hast dus denn nicht gesehen, daß er hinkt?
Kein Mensch sollte es wissen, aber sein Junge, der Krischan, sagte heute so
was in der Schule davon, daß sein Vater krank wäre; er wollte aber nicht
verraten, waS ihm sehlte. Heute nachmittag kaufte ich ihm für einen Bank¬
schilling Lakntzeu, da sagte er, sein Vater hätte ein dickes Knie, und als ich
ihm noch mein Butterbrot schenkte, kam die Wahrheit an den Tag. Weber
hat eine Schweinsbeule am Knie und Grützvcrband darauf, da soll ers Wohl
lassen, uns einzufangen. So haben Hermensteins doch einen anständigen
Polterabend bekommen! setzte er stolz hinzu.

Am audern Tage war die große Hochzeit, an der vierundzwanzig Stunden
gegessen und getrunken wurde. "Zufällig" standen wir vor dem Hause und
sahen in die Fenster. Da rief uns der alte Hermenstein herein. Wir bekamen
so viel Gutes aufgetischt, daß wir es gar nicht bewältigen konnten, wir
mußten uns auch noch die Taschen vollstecken. Vor allem aber war Heinrich
der Held des Tags. Keiner sagte weshalb, aber alle klopften ihm auf die
Schulter und meinten, aus ihm würde uoch einmal etwas Ordentliches werden.
Und.der alte Herr Hermenstein konnte sich gar nicht beruhigen, so viel mußte


Grenzboten I 1892 70
Aus dänischer Zeit

nicht mehr. Vom Dunkel begünstigt standen wir jetzt hart vor Hermensteins
weit geöffneter Thür. Wir konnten in den hell erleuchteten Hausflur sehen, wo
viele Mädchen herumhcmtirten, und wo Berge von Butterbrot und Kuchen und
lange Reihen dampfender Punschgläser standen. Ein Mädchen mit leeren
Gläsern kam aus den Zimmern, um gleich wieder gefüllte fortzutragen, und aus
den Fenstern toute Musik und Lachen. Ich sah und horte freilich von alle-
dem nicht viel; meine beiden Arme hielten die bis zum Rande mit Wasser ge¬
füllte Terrine umklammert, und ich hatte Mühe, mich mitten in dem Gedränge
aufrecht zu halten. Und nun — das Blut stockte mir in den Adern — kam
Weber wieder. Er fluchte sehr laut und ging sehr langsam. Er wird dich
sehen, dachte ich; dann giebt es lebenslängliches Gefängnis, keine Weihnachten
und einen langen Bart! Aber Weber sah uns nicht. Er stand in der Haus¬
thür, und seine rote Nase bog sich wohlgefällig herunter zu einem Glase mit
rotem Inhalt. Wie in halber Zerstreuung streckte er die Hand aus nach der
Wange eines traiter Mädchens — da fliegt ihm die Terrine klatschend vor
die Füße, daß er wild in die Luft springt und sein Punschglas fallen läßt.
Ich sehe und höre nichts mehr; ich laufe nur, weiter und immer weiter, bis
Heinrich, der mich an der Hand gefaßt hat, mir zuruft, ich solle doch kein
„Bangbüx" sein. Er war gar nicht stark gelaufen, und jetzt blieb er stehen
und lachte.

Das Wasser sprang ihm bis in seinen Punsch! rief er. Na, und um¬
ziehen muß er sich auch!

Weshalb hat er uns denn nicht gefangen? fragte ich noch halb er-
sah reckt.

Er kann ja nicht laufen! Hast dus denn nicht gesehen, daß er hinkt?
Kein Mensch sollte es wissen, aber sein Junge, der Krischan, sagte heute so
was in der Schule davon, daß sein Vater krank wäre; er wollte aber nicht
verraten, waS ihm sehlte. Heute nachmittag kaufte ich ihm für einen Bank¬
schilling Lakntzeu, da sagte er, sein Vater hätte ein dickes Knie, und als ich
ihm noch mein Butterbrot schenkte, kam die Wahrheit an den Tag. Weber
hat eine Schweinsbeule am Knie und Grützvcrband darauf, da soll ers Wohl
lassen, uns einzufangen. So haben Hermensteins doch einen anständigen
Polterabend bekommen! setzte er stolz hinzu.

Am audern Tage war die große Hochzeit, an der vierundzwanzig Stunden
gegessen und getrunken wurde. „Zufällig" standen wir vor dem Hause und
sahen in die Fenster. Da rief uns der alte Hermenstein herein. Wir bekamen
so viel Gutes aufgetischt, daß wir es gar nicht bewältigen konnten, wir
mußten uns auch noch die Taschen vollstecken. Vor allem aber war Heinrich
der Held des Tags. Keiner sagte weshalb, aber alle klopften ihm auf die
Schulter und meinten, aus ihm würde uoch einmal etwas Ordentliches werden.
Und.der alte Herr Hermenstein konnte sich gar nicht beruhigen, so viel mußte


Grenzboten I 1892 70
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[0561] Aus dänischer Zeit nicht mehr. Vom Dunkel begünstigt standen wir jetzt hart vor Hermensteins weit geöffneter Thür. Wir konnten in den hell erleuchteten Hausflur sehen, wo viele Mädchen herumhcmtirten, und wo Berge von Butterbrot und Kuchen und lange Reihen dampfender Punschgläser standen. Ein Mädchen mit leeren Gläsern kam aus den Zimmern, um gleich wieder gefüllte fortzutragen, und aus den Fenstern toute Musik und Lachen. Ich sah und horte freilich von alle- dem nicht viel; meine beiden Arme hielten die bis zum Rande mit Wasser ge¬ füllte Terrine umklammert, und ich hatte Mühe, mich mitten in dem Gedränge aufrecht zu halten. Und nun — das Blut stockte mir in den Adern — kam Weber wieder. Er fluchte sehr laut und ging sehr langsam. Er wird dich sehen, dachte ich; dann giebt es lebenslängliches Gefängnis, keine Weihnachten und einen langen Bart! Aber Weber sah uns nicht. Er stand in der Haus¬ thür, und seine rote Nase bog sich wohlgefällig herunter zu einem Glase mit rotem Inhalt. Wie in halber Zerstreuung streckte er die Hand aus nach der Wange eines traiter Mädchens — da fliegt ihm die Terrine klatschend vor die Füße, daß er wild in die Luft springt und sein Punschglas fallen läßt. Ich sehe und höre nichts mehr; ich laufe nur, weiter und immer weiter, bis Heinrich, der mich an der Hand gefaßt hat, mir zuruft, ich solle doch kein „Bangbüx" sein. Er war gar nicht stark gelaufen, und jetzt blieb er stehen und lachte. Das Wasser sprang ihm bis in seinen Punsch! rief er. Na, und um¬ ziehen muß er sich auch! Weshalb hat er uns denn nicht gefangen? fragte ich noch halb er- sah reckt. Er kann ja nicht laufen! Hast dus denn nicht gesehen, daß er hinkt? Kein Mensch sollte es wissen, aber sein Junge, der Krischan, sagte heute so was in der Schule davon, daß sein Vater krank wäre; er wollte aber nicht verraten, waS ihm sehlte. Heute nachmittag kaufte ich ihm für einen Bank¬ schilling Lakntzeu, da sagte er, sein Vater hätte ein dickes Knie, und als ich ihm noch mein Butterbrot schenkte, kam die Wahrheit an den Tag. Weber hat eine Schweinsbeule am Knie und Grützvcrband darauf, da soll ers Wohl lassen, uns einzufangen. So haben Hermensteins doch einen anständigen Polterabend bekommen! setzte er stolz hinzu. Am audern Tage war die große Hochzeit, an der vierundzwanzig Stunden gegessen und getrunken wurde. „Zufällig" standen wir vor dem Hause und sahen in die Fenster. Da rief uns der alte Hermenstein herein. Wir bekamen so viel Gutes aufgetischt, daß wir es gar nicht bewältigen konnten, wir mußten uns auch noch die Taschen vollstecken. Vor allem aber war Heinrich der Held des Tags. Keiner sagte weshalb, aber alle klopften ihm auf die Schulter und meinten, aus ihm würde uoch einmal etwas Ordentliches werden. Und.der alte Herr Hermenstein konnte sich gar nicht beruhigen, so viel mußte Grenzboten I 1892 70

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/561>, abgerufen am 23.07.2024.