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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

Edikt des Bürgermeisters. Ob es sich an die Intelligenz der Bürger wandte, weiß
ich nicht; es schädigte aber unsre Unterhaltung, da es das Poltern mit strengen
Worten ein für allemal verbot. Wahrscheinlich war etwas Gesetzwidriges an
irgend einem Polterabend geschehen, etwas, woran wir nicht beteiligt waren,
und wofür wir nun büßen mußten. Und wieder drohte der Bürgermeister mit
dem Gefängnis allen denen, die beim Poltern vom Polizeidiener Weber er¬
griffen werden würden, mit dem Zusätze, daß diese Gefängnisstrafe verschärft
sei. Verschärft! Es gruselte uns doch leise, und wir dachten voller Ab¬
neigung an den holsteinischen Kollegen Lauritzens, an den Polizeidiener Weber.
Der war sehr viel unfreundlicher als der Däne, er war groß und stark, konnte
schnell laufen und hatte so große rote Hände, daß der Gedanke, von ihnen
gepackt zu werden, selbst den größern Brüdern nicht erfreulich erschien. Wir
hatten schon öfter gesehen, wie er ein paar arme Sünder vor sich hergestoßen
und in seiner derben holsteinischen Sprache ausgescholten hatte; vielleicht
schleppte er uns nun auch bald davon! Und dabei war die Gartenecke herrlich
voll, nicht bloß von Scherben, sondern auch von unversehrtem Geschirr. Im
Hinblick auf ein bevorstehendes großes Hochzeitsfest hatte Heinrich schon lange
gesammelt und sich vou verschiednen Freunden und Freundinnen leere Wein¬
flaschen, Buttertöpfe und andre Herrlichkeiten schenken lassen. Besonders stolz
war er auf eine Suppenterrine. Er hatte sie auf einem gelegentlich unter¬
nommenen Raubzuge im Hause der Großeltern mitgenommen und lächelte
vergnügt, als wir schließlich keinen Schaden an ihr entdecken konnte". Der
Deckel hatte einen Riß, erklärte er, und Großvater mag nichts Kaputtes
leiden! Obgleich wir diese Abneigung unsers kurzsichtigen Großvaters noch nie¬
mals bemerkt hatten, war uns Heinrichs Grund doch sehr einleuchtend. Was
aber nützten uns alle Suppenterrinen der ganzen Stadt, wenn uns Polizei¬
diener Weber als strafender Engel der Gerechtigkeit das Vergnügen verdarb,
den Brautleuten unsre Teilnahme zu bezeugen? Denn man glaube nnr nicht
etwa, daß das Poltern im Publikum unbeliebt gewesen wäre: im Gegenteil, die
meisten Bräute faßten es als eine UnHöflichkeit auf, wenn an ihrem Potter
abend kein Lärm vor dem Hanse entstand, und die Aufforderung: Nicht wahr,
ihr poltert doch bei mir? war so oft an uns gerichtet worden, daß wir uns
einer Nachlässigkeit schuldig zu machen glaubten, wenn wir einem Polterabend
fern blieben. Besonders die wohlhabenden Leute, denen eine zerschlagene
Hausthür keinen Kummer bereitete, luden uns geradezu zum Poltern ein, wenn
sie auch der Obrigkeit gegenüber diese Einladung nicht eingestehen wollten.
Bei dieser großen Hochzeit nun, die in der Stadt bei dem wohlhabenden
Landwirt Hermenstein stattfand, mußte unbedingt gepoltert werden, trotz des
Verbots und trotz des Polizeidieners. Heinrich war Hausfreund bei Hermensteins.
Zu jedem Schweineschlachten wurde er feierlich eingeladen; neulich hatte er sogar
den Schwanz eines der Schlachtopfer halten dürfen, ein Vertraueusnrnt. um


Aus dänischer Zeit

Edikt des Bürgermeisters. Ob es sich an die Intelligenz der Bürger wandte, weiß
ich nicht; es schädigte aber unsre Unterhaltung, da es das Poltern mit strengen
Worten ein für allemal verbot. Wahrscheinlich war etwas Gesetzwidriges an
irgend einem Polterabend geschehen, etwas, woran wir nicht beteiligt waren,
und wofür wir nun büßen mußten. Und wieder drohte der Bürgermeister mit
dem Gefängnis allen denen, die beim Poltern vom Polizeidiener Weber er¬
griffen werden würden, mit dem Zusätze, daß diese Gefängnisstrafe verschärft
sei. Verschärft! Es gruselte uns doch leise, und wir dachten voller Ab¬
neigung an den holsteinischen Kollegen Lauritzens, an den Polizeidiener Weber.
Der war sehr viel unfreundlicher als der Däne, er war groß und stark, konnte
schnell laufen und hatte so große rote Hände, daß der Gedanke, von ihnen
gepackt zu werden, selbst den größern Brüdern nicht erfreulich erschien. Wir
hatten schon öfter gesehen, wie er ein paar arme Sünder vor sich hergestoßen
und in seiner derben holsteinischen Sprache ausgescholten hatte; vielleicht
schleppte er uns nun auch bald davon! Und dabei war die Gartenecke herrlich
voll, nicht bloß von Scherben, sondern auch von unversehrtem Geschirr. Im
Hinblick auf ein bevorstehendes großes Hochzeitsfest hatte Heinrich schon lange
gesammelt und sich vou verschiednen Freunden und Freundinnen leere Wein¬
flaschen, Buttertöpfe und andre Herrlichkeiten schenken lassen. Besonders stolz
war er auf eine Suppenterrine. Er hatte sie auf einem gelegentlich unter¬
nommenen Raubzuge im Hause der Großeltern mitgenommen und lächelte
vergnügt, als wir schließlich keinen Schaden an ihr entdecken konnte». Der
Deckel hatte einen Riß, erklärte er, und Großvater mag nichts Kaputtes
leiden! Obgleich wir diese Abneigung unsers kurzsichtigen Großvaters noch nie¬
mals bemerkt hatten, war uns Heinrichs Grund doch sehr einleuchtend. Was
aber nützten uns alle Suppenterrinen der ganzen Stadt, wenn uns Polizei¬
diener Weber als strafender Engel der Gerechtigkeit das Vergnügen verdarb,
den Brautleuten unsre Teilnahme zu bezeugen? Denn man glaube nnr nicht
etwa, daß das Poltern im Publikum unbeliebt gewesen wäre: im Gegenteil, die
meisten Bräute faßten es als eine UnHöflichkeit auf, wenn an ihrem Potter
abend kein Lärm vor dem Hanse entstand, und die Aufforderung: Nicht wahr,
ihr poltert doch bei mir? war so oft an uns gerichtet worden, daß wir uns
einer Nachlässigkeit schuldig zu machen glaubten, wenn wir einem Polterabend
fern blieben. Besonders die wohlhabenden Leute, denen eine zerschlagene
Hausthür keinen Kummer bereitete, luden uns geradezu zum Poltern ein, wenn
sie auch der Obrigkeit gegenüber diese Einladung nicht eingestehen wollten.
Bei dieser großen Hochzeit nun, die in der Stadt bei dem wohlhabenden
Landwirt Hermenstein stattfand, mußte unbedingt gepoltert werden, trotz des
Verbots und trotz des Polizeidieners. Heinrich war Hausfreund bei Hermensteins.
Zu jedem Schweineschlachten wurde er feierlich eingeladen; neulich hatte er sogar
den Schwanz eines der Schlachtopfer halten dürfen, ein Vertraueusnrnt. um


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[0558] Aus dänischer Zeit Edikt des Bürgermeisters. Ob es sich an die Intelligenz der Bürger wandte, weiß ich nicht; es schädigte aber unsre Unterhaltung, da es das Poltern mit strengen Worten ein für allemal verbot. Wahrscheinlich war etwas Gesetzwidriges an irgend einem Polterabend geschehen, etwas, woran wir nicht beteiligt waren, und wofür wir nun büßen mußten. Und wieder drohte der Bürgermeister mit dem Gefängnis allen denen, die beim Poltern vom Polizeidiener Weber er¬ griffen werden würden, mit dem Zusätze, daß diese Gefängnisstrafe verschärft sei. Verschärft! Es gruselte uns doch leise, und wir dachten voller Ab¬ neigung an den holsteinischen Kollegen Lauritzens, an den Polizeidiener Weber. Der war sehr viel unfreundlicher als der Däne, er war groß und stark, konnte schnell laufen und hatte so große rote Hände, daß der Gedanke, von ihnen gepackt zu werden, selbst den größern Brüdern nicht erfreulich erschien. Wir hatten schon öfter gesehen, wie er ein paar arme Sünder vor sich hergestoßen und in seiner derben holsteinischen Sprache ausgescholten hatte; vielleicht schleppte er uns nun auch bald davon! Und dabei war die Gartenecke herrlich voll, nicht bloß von Scherben, sondern auch von unversehrtem Geschirr. Im Hinblick auf ein bevorstehendes großes Hochzeitsfest hatte Heinrich schon lange gesammelt und sich vou verschiednen Freunden und Freundinnen leere Wein¬ flaschen, Buttertöpfe und andre Herrlichkeiten schenken lassen. Besonders stolz war er auf eine Suppenterrine. Er hatte sie auf einem gelegentlich unter¬ nommenen Raubzuge im Hause der Großeltern mitgenommen und lächelte vergnügt, als wir schließlich keinen Schaden an ihr entdecken konnte». Der Deckel hatte einen Riß, erklärte er, und Großvater mag nichts Kaputtes leiden! Obgleich wir diese Abneigung unsers kurzsichtigen Großvaters noch nie¬ mals bemerkt hatten, war uns Heinrichs Grund doch sehr einleuchtend. Was aber nützten uns alle Suppenterrinen der ganzen Stadt, wenn uns Polizei¬ diener Weber als strafender Engel der Gerechtigkeit das Vergnügen verdarb, den Brautleuten unsre Teilnahme zu bezeugen? Denn man glaube nnr nicht etwa, daß das Poltern im Publikum unbeliebt gewesen wäre: im Gegenteil, die meisten Bräute faßten es als eine UnHöflichkeit auf, wenn an ihrem Potter abend kein Lärm vor dem Hanse entstand, und die Aufforderung: Nicht wahr, ihr poltert doch bei mir? war so oft an uns gerichtet worden, daß wir uns einer Nachlässigkeit schuldig zu machen glaubten, wenn wir einem Polterabend fern blieben. Besonders die wohlhabenden Leute, denen eine zerschlagene Hausthür keinen Kummer bereitete, luden uns geradezu zum Poltern ein, wenn sie auch der Obrigkeit gegenüber diese Einladung nicht eingestehen wollten. Bei dieser großen Hochzeit nun, die in der Stadt bei dem wohlhabenden Landwirt Hermenstein stattfand, mußte unbedingt gepoltert werden, trotz des Verbots und trotz des Polizeidieners. Heinrich war Hausfreund bei Hermensteins. Zu jedem Schweineschlachten wurde er feierlich eingeladen; neulich hatte er sogar den Schwanz eines der Schlachtopfer halten dürfen, ein Vertraueusnrnt. um

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/558>, abgerufen am 23.07.2024.