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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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aus dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts, der zugleich zur Behausung des
oberste" städtischen Beamten, wie zur Aufbewahrung der Fenereimer und Feuer¬
leitern diente. In den obern Rnnmen tagte der Magistrat; unten und auf
einem unheimlichen Boden befand sich eine Reihe von kleinen Gefangncu-
zellen. Die untern waren uns die liebsten, wenn sie sich auch nicht gerade
durch kostbare Einrichtung auszeichnete". Ein mit Stroh angefüllter Kasten
bildete das Lager, und ein großer Haken diente zum Aufhüngen der Klei¬
dungsstücke. Da sich kein Stuhl in der engen Zelle befand, mußte der
Gefangne eigentlich immer auf dem Strohbett liegen, wenn er es nicht
vorzog, zu stehn und aus dem kleinen vergitterten, scheibenlosen Fenster
auf den Marktplatz zu blicken. Wenn wir also mit des Bürgermeisters Söhnen
durch diese geheimnisvollen Raume huschten, dann stellte sich wohl einer von
uns an das kleine Gitterfenster, schrie laut und jämmerlich und zog dadurch eine
Menge kleiner Kinder an die Gefüngnisseite des Rathauses, die, mit starren
Augen zu uns hinaufblickend, sich natürlich dachten, der Bürgermeister mache
sich die besondre Gelmrtstagsfreude, eigenhändig einen Gefangnen abzustechen.
Unsre Gesichter waren durch die winzigen Fenster nicht zu erkennen, zum
Überfluß hingen auch "och die Feuerleitern davor, und wir erreichten es mel>r
als einmal, daß etwa dreißig bis vierzig Menschen vor der einen Zelle standen, die
angstvoll und doch mit dem festen Vorsatz, sich anch das schrecklichste Schauspiel
nicht entgehen zu lassen, unserm Schreien lauschten, bis Lauritzen, der zweite
städtische Polizeidiener, um die Ecke des Rathauses blickte. Dann wurden wir
natürlich still, und da er als Däne die wehleidigem Erklärungen der ver¬
sammelten Frauen und Kinder nicht verstehen konnte, so blieben unsre wilden
Seufzer vielen ein ungelöstes Rätsel. Manchmal war übrigens doch eine der Zellen
besetzt und mit einem großen Vorlegeschloß verschlossen. Nach langer, flüsternder
Beratung fragten wir dann durch die Thür deu Gefangnen nach seinein Namen,
und wie viele Menschen er umgebracht hätte, doch kam, ich mich keiner sehr befrie¬
digenden Antwort entsinnen. Nur einmal -- aber das ist eine Geschichte für sich.
Hin und wieder sahen auch wir vom Marktplatz aus ein Gesicht gegen die
Eisengitter gedrückt; zur Unterhaltung waren die Gefangnen aber selten geneigt,
und weil sie so still und verdrießlich schienen, nahmen wir wohl mit Recht
an, daß der Anfenthalt in der Zelle nicht besonders erfreulich sein könnte.
Und doch polterten wir weiter, und die Bnrgermeisterjungen waren noch
viel unartiger als wir, wie alle Leute sagten, ein Urteil, das uns mit Rührung
über unsre eigue Vortrefflichkeit erfüllte, uns aber, ich muß es leider bekennen,
nicht ans den Pfad der Tugend leitete, sondern uns das Gefühl gab, wir
hätten, wie die katholischen Heiligen, einen Überschuß guter Thaten im Himmel
stehn, von denen wir nach Belieben verbrauchen könnten.

Da erschien plötzlich im Wochenblatt, das jeden Sonnabend herauskam, und
das seinem Titel nach versprach, für Intelligenz und Unterhaltung zu sorgen, ein


aus dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts, der zugleich zur Behausung des
oberste« städtischen Beamten, wie zur Aufbewahrung der Fenereimer und Feuer¬
leitern diente. In den obern Rnnmen tagte der Magistrat; unten und auf
einem unheimlichen Boden befand sich eine Reihe von kleinen Gefangncu-
zellen. Die untern waren uns die liebsten, wenn sie sich auch nicht gerade
durch kostbare Einrichtung auszeichnete». Ein mit Stroh angefüllter Kasten
bildete das Lager, und ein großer Haken diente zum Aufhüngen der Klei¬
dungsstücke. Da sich kein Stuhl in der engen Zelle befand, mußte der
Gefangne eigentlich immer auf dem Strohbett liegen, wenn er es nicht
vorzog, zu stehn und aus dem kleinen vergitterten, scheibenlosen Fenster
auf den Marktplatz zu blicken. Wenn wir also mit des Bürgermeisters Söhnen
durch diese geheimnisvollen Raume huschten, dann stellte sich wohl einer von
uns an das kleine Gitterfenster, schrie laut und jämmerlich und zog dadurch eine
Menge kleiner Kinder an die Gefüngnisseite des Rathauses, die, mit starren
Augen zu uns hinaufblickend, sich natürlich dachten, der Bürgermeister mache
sich die besondre Gelmrtstagsfreude, eigenhändig einen Gefangnen abzustechen.
Unsre Gesichter waren durch die winzigen Fenster nicht zu erkennen, zum
Überfluß hingen auch »och die Feuerleitern davor, und wir erreichten es mel>r
als einmal, daß etwa dreißig bis vierzig Menschen vor der einen Zelle standen, die
angstvoll und doch mit dem festen Vorsatz, sich anch das schrecklichste Schauspiel
nicht entgehen zu lassen, unserm Schreien lauschten, bis Lauritzen, der zweite
städtische Polizeidiener, um die Ecke des Rathauses blickte. Dann wurden wir
natürlich still, und da er als Däne die wehleidigem Erklärungen der ver¬
sammelten Frauen und Kinder nicht verstehen konnte, so blieben unsre wilden
Seufzer vielen ein ungelöstes Rätsel. Manchmal war übrigens doch eine der Zellen
besetzt und mit einem großen Vorlegeschloß verschlossen. Nach langer, flüsternder
Beratung fragten wir dann durch die Thür deu Gefangnen nach seinein Namen,
und wie viele Menschen er umgebracht hätte, doch kam, ich mich keiner sehr befrie¬
digenden Antwort entsinnen. Nur einmal — aber das ist eine Geschichte für sich.
Hin und wieder sahen auch wir vom Marktplatz aus ein Gesicht gegen die
Eisengitter gedrückt; zur Unterhaltung waren die Gefangnen aber selten geneigt,
und weil sie so still und verdrießlich schienen, nahmen wir wohl mit Recht
an, daß der Anfenthalt in der Zelle nicht besonders erfreulich sein könnte.
Und doch polterten wir weiter, und die Bnrgermeisterjungen waren noch
viel unartiger als wir, wie alle Leute sagten, ein Urteil, das uns mit Rührung
über unsre eigue Vortrefflichkeit erfüllte, uns aber, ich muß es leider bekennen,
nicht ans den Pfad der Tugend leitete, sondern uns das Gefühl gab, wir
hätten, wie die katholischen Heiligen, einen Überschuß guter Thaten im Himmel
stehn, von denen wir nach Belieben verbrauchen könnten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/557>, abgerufen am 23.07.2024.