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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Aus dänischer Zeit

nie der Fall. Im Gegenteil: die Ecke war meistens leer, ja es konnte
sogar vorkommen, daß unsre Mutter nach einem Krug, einem Steintopf suchte,
den sie vor einigen Stunden noch anscheinend lebensfrisch in der Küche gesehen
hatte, und der jetzt wie vom Erdboden verschwunden war.

Er war doch noch ganz heil, seufzte Mutter, und die Köchin zuckte die Achseln.

Heinrich sagte, er hätte einen Riß und ginge allernüchstens doch kaput!
Da hat er ihn lieber zum Poltern mitgenommen.

Poltern! Es gab kein schöneres Vergnügen. Irgend ein Paar wollte sich
morgen in den Stand der heiligen Ehe begeben, da wurde heute abend vor dem
Hanse gepoltert, und zwar in des Wortes verwegenster Vedentnng. Alles,
was von Thon, Porzellan und Glas war, wurde an oder vor die Hausthür
der glückliche" Braut geworfen, und wer die Sache als Kenner betrieb, der
füllte die Flaschen und Töpfe mit Wasser, weil sie dann noch einmal so viel
Spektakel machten. Dazu mußten sie aber noch wasserdicht sein, und deshalb
suchte Mutter in ziemlich erregter Stimmung nach ihrem Kruge, der nach ihrer
Ansicht noch zehn Jahr hatte leben können.

Der Meister im Poltern war Heinrich, einer der altern Brüder. Er
wußte von jedem Polterabend in der ganzen Stadt, und überall beteiligte er
sich mit entsetzlichem Geklirr. Es giebt aber stets Menschen, die ein bißchen
Spektakel nicht vertragen können, und deshalb hatte unser guter Bürger¬
meister nicht allein das Poltern verboten, sondern -- und das war wirklich
häßlich -- auch den Polizeidiener Weber beauftragt, jeden Polterer ein-
zufangen und in den Vürgergewahrsam zu stecken. Ins Loch! nannten wirs,
und mit gemischtem Gefühlen dachten wir darüber nach, ob es wohl angenehm
sein würde, unser junges Leben im Loch zu verbringen. Wir waren nämlich
nicht ganz sicher, wie lange die Strafe der Einschließung dauerte. Einige unsrer
Spielgefährten meinten, mehr als zehn Jahre Gefängnis bekäme man nicht
fürs Poltern. Andre hatten gehört, wer einmal im Loch süße, käme auch so
bald uicht wieder heraus; man könnte vergessen werden im Gefängnis, und
wen man jung hineingeworfen hätte, der käme manchmal erst ans Krücken
wieder ans Tageslicht. Das waren nun eigentlich leine verlockenden Aussichten;
dennoch polterten wir ruhig weiter und stoben wild auseinander, wenn es
hieß: Weber kommt! Aber während wir das Schelten des Polizisten Weber in
der Ferne hörten, wenn wir dann eine dunkle Seitengasse Hinabftogen, dachte"
wir doch auch wieder mit einem Gefühl der Beruhigung daran, daß wir unser
Gefängnis jedenfalls schon kannten, und daß wir uns also nicht in unde
kannte Schrecken begeben würden, wenn uns Weber wirklich einsinge.

An des Bürgermeisters Geburtstag spielten wir nämlich mit seinen Jungen
Bersteckens im Gefängnis. Die Dienstwohnung des städtischen Oberhauptes be¬
fand sich, ebenso wie die Gefangnenzellen, im Rathause, das noch heute mitten auf
demi Marktplatze der kleinen Stadt steht. Es war ein windschiefer großer Kasten


Aus dänischer Zeit

nie der Fall. Im Gegenteil: die Ecke war meistens leer, ja es konnte
sogar vorkommen, daß unsre Mutter nach einem Krug, einem Steintopf suchte,
den sie vor einigen Stunden noch anscheinend lebensfrisch in der Küche gesehen
hatte, und der jetzt wie vom Erdboden verschwunden war.

Er war doch noch ganz heil, seufzte Mutter, und die Köchin zuckte die Achseln.

Heinrich sagte, er hätte einen Riß und ginge allernüchstens doch kaput!
Da hat er ihn lieber zum Poltern mitgenommen.

Poltern! Es gab kein schöneres Vergnügen. Irgend ein Paar wollte sich
morgen in den Stand der heiligen Ehe begeben, da wurde heute abend vor dem
Hanse gepoltert, und zwar in des Wortes verwegenster Vedentnng. Alles,
was von Thon, Porzellan und Glas war, wurde an oder vor die Hausthür
der glückliche» Braut geworfen, und wer die Sache als Kenner betrieb, der
füllte die Flaschen und Töpfe mit Wasser, weil sie dann noch einmal so viel
Spektakel machten. Dazu mußten sie aber noch wasserdicht sein, und deshalb
suchte Mutter in ziemlich erregter Stimmung nach ihrem Kruge, der nach ihrer
Ansicht noch zehn Jahr hatte leben können.

Der Meister im Poltern war Heinrich, einer der altern Brüder. Er
wußte von jedem Polterabend in der ganzen Stadt, und überall beteiligte er
sich mit entsetzlichem Geklirr. Es giebt aber stets Menschen, die ein bißchen
Spektakel nicht vertragen können, und deshalb hatte unser guter Bürger¬
meister nicht allein das Poltern verboten, sondern — und das war wirklich
häßlich — auch den Polizeidiener Weber beauftragt, jeden Polterer ein-
zufangen und in den Vürgergewahrsam zu stecken. Ins Loch! nannten wirs,
und mit gemischtem Gefühlen dachten wir darüber nach, ob es wohl angenehm
sein würde, unser junges Leben im Loch zu verbringen. Wir waren nämlich
nicht ganz sicher, wie lange die Strafe der Einschließung dauerte. Einige unsrer
Spielgefährten meinten, mehr als zehn Jahre Gefängnis bekäme man nicht
fürs Poltern. Andre hatten gehört, wer einmal im Loch süße, käme auch so
bald uicht wieder heraus; man könnte vergessen werden im Gefängnis, und
wen man jung hineingeworfen hätte, der käme manchmal erst ans Krücken
wieder ans Tageslicht. Das waren nun eigentlich leine verlockenden Aussichten;
dennoch polterten wir ruhig weiter und stoben wild auseinander, wenn es
hieß: Weber kommt! Aber während wir das Schelten des Polizisten Weber in
der Ferne hörten, wenn wir dann eine dunkle Seitengasse Hinabftogen, dachte»
wir doch auch wieder mit einem Gefühl der Beruhigung daran, daß wir unser
Gefängnis jedenfalls schon kannten, und daß wir uns also nicht in unde
kannte Schrecken begeben würden, wenn uns Weber wirklich einsinge.

An des Bürgermeisters Geburtstag spielten wir nämlich mit seinen Jungen
Bersteckens im Gefängnis. Die Dienstwohnung des städtischen Oberhauptes be¬
fand sich, ebenso wie die Gefangnenzellen, im Rathause, das noch heute mitten auf
demi Marktplatze der kleinen Stadt steht. Es war ein windschiefer großer Kasten


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[0556] Aus dänischer Zeit nie der Fall. Im Gegenteil: die Ecke war meistens leer, ja es konnte sogar vorkommen, daß unsre Mutter nach einem Krug, einem Steintopf suchte, den sie vor einigen Stunden noch anscheinend lebensfrisch in der Küche gesehen hatte, und der jetzt wie vom Erdboden verschwunden war. Er war doch noch ganz heil, seufzte Mutter, und die Köchin zuckte die Achseln. Heinrich sagte, er hätte einen Riß und ginge allernüchstens doch kaput! Da hat er ihn lieber zum Poltern mitgenommen. Poltern! Es gab kein schöneres Vergnügen. Irgend ein Paar wollte sich morgen in den Stand der heiligen Ehe begeben, da wurde heute abend vor dem Hanse gepoltert, und zwar in des Wortes verwegenster Vedentnng. Alles, was von Thon, Porzellan und Glas war, wurde an oder vor die Hausthür der glückliche» Braut geworfen, und wer die Sache als Kenner betrieb, der füllte die Flaschen und Töpfe mit Wasser, weil sie dann noch einmal so viel Spektakel machten. Dazu mußten sie aber noch wasserdicht sein, und deshalb suchte Mutter in ziemlich erregter Stimmung nach ihrem Kruge, der nach ihrer Ansicht noch zehn Jahr hatte leben können. Der Meister im Poltern war Heinrich, einer der altern Brüder. Er wußte von jedem Polterabend in der ganzen Stadt, und überall beteiligte er sich mit entsetzlichem Geklirr. Es giebt aber stets Menschen, die ein bißchen Spektakel nicht vertragen können, und deshalb hatte unser guter Bürger¬ meister nicht allein das Poltern verboten, sondern — und das war wirklich häßlich — auch den Polizeidiener Weber beauftragt, jeden Polterer ein- zufangen und in den Vürgergewahrsam zu stecken. Ins Loch! nannten wirs, und mit gemischtem Gefühlen dachten wir darüber nach, ob es wohl angenehm sein würde, unser junges Leben im Loch zu verbringen. Wir waren nämlich nicht ganz sicher, wie lange die Strafe der Einschließung dauerte. Einige unsrer Spielgefährten meinten, mehr als zehn Jahre Gefängnis bekäme man nicht fürs Poltern. Andre hatten gehört, wer einmal im Loch süße, käme auch so bald uicht wieder heraus; man könnte vergessen werden im Gefängnis, und wen man jung hineingeworfen hätte, der käme manchmal erst ans Krücken wieder ans Tageslicht. Das waren nun eigentlich leine verlockenden Aussichten; dennoch polterten wir ruhig weiter und stoben wild auseinander, wenn es hieß: Weber kommt! Aber während wir das Schelten des Polizisten Weber in der Ferne hörten, wenn wir dann eine dunkle Seitengasse Hinabftogen, dachte» wir doch auch wieder mit einem Gefühl der Beruhigung daran, daß wir unser Gefängnis jedenfalls schon kannten, und daß wir uns also nicht in unde kannte Schrecken begeben würden, wenn uns Weber wirklich einsinge. An des Bürgermeisters Geburtstag spielten wir nämlich mit seinen Jungen Bersteckens im Gefängnis. Die Dienstwohnung des städtischen Oberhauptes be¬ fand sich, ebenso wie die Gefangnenzellen, im Rathause, das noch heute mitten auf demi Marktplatze der kleinen Stadt steht. Es war ein windschiefer großer Kasten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/556>, abgerufen am 23.07.2024.