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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Philipp Albert Stapfer

An Talleyrand scheint sich denn auch der Witz der Pariser um meisten
gewagt zu haben. Es kommen hier einige artige Anekdoten vor, die er in
seinen Memoiren nicht erwähnt hat. Charles Guillaume Etienne, ein Schrift¬
steller, der in der wechselvollen Zeit vielfach auf- und abgeworfen, in die
^.omlörnis gewählt, ausgestoßen und wiedergewählt wurde, abwechselnd Censor
und liberaler Journalist war und unter Louis Philipp als Pair starb, war
beschuldigt worden, in seinem Lustspiel I^es äeux ZöuclrvL ein älteres Stück
abgeschrieben zu haben, und in den Streit darüber hatte sich Talleyrand ge¬
mischt (1810). Etienne bot ihm darauf einen Tausch an: er wolle Talleyrand
die Handschrift des Originalstückes ausliefern und ihn als Verfasser des Lust¬
spiels anerkennen, dagegen die Schande des Plagiats auf sich nehmen, wenn
ihm Tcilleyrand ein eben damals in Hamburg entdecktes Aktenstück nebst dem
Objekt, von dem es handelte, überlasse: nämlich das Papier, aus dem hervor¬
ging, daß Talleyrand und der französische Geschäftsträger Bonrienne von der
Stadt Hamburg zehn Millionen erhalten hatten, um für die Erhaltung ihrer
Unabhängigkeit zu wirken. Einen andern Witz machte mit ihm, aber unab¬
sichtlich, der Prinz von Cord6 nach der Restauration. Er galt bereits für
schwachsinnig, und als ihm der Fürst von Benevent gemeldet wurde, glaubte er
irgend einen von den vielen kleine,? Herrschern, die damals wieder auftauchten,
zu empfangen. Er begrüßte den Besucher mit den Worten, er werde die
Pariser Gesellschaft jetzt wieder so ziemlich gesäubert finden, nur der vvsMu
Talleyrand sei noch da, leider behaupte man, ihn zu brauchen. "Was sagen
Sie dazu?" Was Talleyrand dazu gesagt haben soll, wird nicht berichtet.
Später heißt er schlechtweg der hinkende Teufel von Autun.

Unter den Bourbonen rührte sich die Spottlust wieder mehr. Weil in dem
ersten Ministerium Ludwig XVIII. zwei Abbvs, Montesquiou und Louis, und
noch mehrere Frömmler saßen, legte man fast allen Mitgliedern der könig¬
lichen Familie ebenfalls die Namen von Abbks bei, und zwar dem gichtbrüchigen
Könige: 1'3,I)do Huillv (1a bvcMlls, die Krücke), dem Grafen von Artois:
Vu(! (Ja dvvus, wegen seiner Mißgriffe vor der Ankunft des Königs),
dem beschränkten und bigotten Herzog von Angvulmne: l'gbbc! ^isv (ig bötiM).
dem Herzog von Berry: l'gM" D-üiuz (ig vsäg-ius, Dickbauch), der stolzen Her¬
zogin von Angoulvme, die Napoleon bekanntlich den einzigen Mann in der
Familie genannt hatte: l'gdvö < !in.>u!>> (lieg'ucmls, Zierpuppe). Derselbe
Brief, dem wir dies entnehmen, beschreibt auch eine Menge Karrikaturen:
aus den Fenstern der Tuilerien fliegen Adler davon, die Treppe hinauf werden
Truthähne gejagt, und zwar mit weißen Taschentüchern, die bekanntlich beim
Einzuge der Verbündeten als improvisirte bourbonische Fahnen gedient hatten
u. tgi. in. Nicht ohne pikanten Reiz ist die Anekdote, daß sich der Herzog
von Orleans, der spätere König, geweigert habe, der Krönung Karls X-
beizuwohnen, bis eine Anzahl Verse aus dem von dem neuen König geltes-


Philipp Albert Stapfer

An Talleyrand scheint sich denn auch der Witz der Pariser um meisten
gewagt zu haben. Es kommen hier einige artige Anekdoten vor, die er in
seinen Memoiren nicht erwähnt hat. Charles Guillaume Etienne, ein Schrift¬
steller, der in der wechselvollen Zeit vielfach auf- und abgeworfen, in die
^.omlörnis gewählt, ausgestoßen und wiedergewählt wurde, abwechselnd Censor
und liberaler Journalist war und unter Louis Philipp als Pair starb, war
beschuldigt worden, in seinem Lustspiel I^es äeux ZöuclrvL ein älteres Stück
abgeschrieben zu haben, und in den Streit darüber hatte sich Talleyrand ge¬
mischt (1810). Etienne bot ihm darauf einen Tausch an: er wolle Talleyrand
die Handschrift des Originalstückes ausliefern und ihn als Verfasser des Lust¬
spiels anerkennen, dagegen die Schande des Plagiats auf sich nehmen, wenn
ihm Tcilleyrand ein eben damals in Hamburg entdecktes Aktenstück nebst dem
Objekt, von dem es handelte, überlasse: nämlich das Papier, aus dem hervor¬
ging, daß Talleyrand und der französische Geschäftsträger Bonrienne von der
Stadt Hamburg zehn Millionen erhalten hatten, um für die Erhaltung ihrer
Unabhängigkeit zu wirken. Einen andern Witz machte mit ihm, aber unab¬
sichtlich, der Prinz von Cord6 nach der Restauration. Er galt bereits für
schwachsinnig, und als ihm der Fürst von Benevent gemeldet wurde, glaubte er
irgend einen von den vielen kleine,? Herrschern, die damals wieder auftauchten,
zu empfangen. Er begrüßte den Besucher mit den Worten, er werde die
Pariser Gesellschaft jetzt wieder so ziemlich gesäubert finden, nur der vvsMu
Talleyrand sei noch da, leider behaupte man, ihn zu brauchen. „Was sagen
Sie dazu?" Was Talleyrand dazu gesagt haben soll, wird nicht berichtet.
Später heißt er schlechtweg der hinkende Teufel von Autun.

Unter den Bourbonen rührte sich die Spottlust wieder mehr. Weil in dem
ersten Ministerium Ludwig XVIII. zwei Abbvs, Montesquiou und Louis, und
noch mehrere Frömmler saßen, legte man fast allen Mitgliedern der könig¬
lichen Familie ebenfalls die Namen von Abbks bei, und zwar dem gichtbrüchigen
Könige: 1'3,I)do Huillv (1a bvcMlls, die Krücke), dem Grafen von Artois:
Vu(! (Ja dvvus, wegen seiner Mißgriffe vor der Ankunft des Königs),
dem beschränkten und bigotten Herzog von Angvulmne: l'gbbc! ^isv (ig bötiM).
dem Herzog von Berry: l'gM» D-üiuz (ig vsäg-ius, Dickbauch), der stolzen Her¬
zogin von Angoulvme, die Napoleon bekanntlich den einzigen Mann in der
Familie genannt hatte: l'gdvö < !in.>u!>> (lieg'ucmls, Zierpuppe). Derselbe
Brief, dem wir dies entnehmen, beschreibt auch eine Menge Karrikaturen:
aus den Fenstern der Tuilerien fliegen Adler davon, die Treppe hinauf werden
Truthähne gejagt, und zwar mit weißen Taschentüchern, die bekanntlich beim
Einzuge der Verbündeten als improvisirte bourbonische Fahnen gedient hatten
u. tgi. in. Nicht ohne pikanten Reiz ist die Anekdote, daß sich der Herzog
von Orleans, der spätere König, geweigert habe, der Krönung Karls X-
beizuwohnen, bis eine Anzahl Verse aus dem von dem neuen König geltes-


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[0550] Philipp Albert Stapfer An Talleyrand scheint sich denn auch der Witz der Pariser um meisten gewagt zu haben. Es kommen hier einige artige Anekdoten vor, die er in seinen Memoiren nicht erwähnt hat. Charles Guillaume Etienne, ein Schrift¬ steller, der in der wechselvollen Zeit vielfach auf- und abgeworfen, in die ^.omlörnis gewählt, ausgestoßen und wiedergewählt wurde, abwechselnd Censor und liberaler Journalist war und unter Louis Philipp als Pair starb, war beschuldigt worden, in seinem Lustspiel I^es äeux ZöuclrvL ein älteres Stück abgeschrieben zu haben, und in den Streit darüber hatte sich Talleyrand ge¬ mischt (1810). Etienne bot ihm darauf einen Tausch an: er wolle Talleyrand die Handschrift des Originalstückes ausliefern und ihn als Verfasser des Lust¬ spiels anerkennen, dagegen die Schande des Plagiats auf sich nehmen, wenn ihm Tcilleyrand ein eben damals in Hamburg entdecktes Aktenstück nebst dem Objekt, von dem es handelte, überlasse: nämlich das Papier, aus dem hervor¬ ging, daß Talleyrand und der französische Geschäftsträger Bonrienne von der Stadt Hamburg zehn Millionen erhalten hatten, um für die Erhaltung ihrer Unabhängigkeit zu wirken. Einen andern Witz machte mit ihm, aber unab¬ sichtlich, der Prinz von Cord6 nach der Restauration. Er galt bereits für schwachsinnig, und als ihm der Fürst von Benevent gemeldet wurde, glaubte er irgend einen von den vielen kleine,? Herrschern, die damals wieder auftauchten, zu empfangen. Er begrüßte den Besucher mit den Worten, er werde die Pariser Gesellschaft jetzt wieder so ziemlich gesäubert finden, nur der vvsMu Talleyrand sei noch da, leider behaupte man, ihn zu brauchen. „Was sagen Sie dazu?" Was Talleyrand dazu gesagt haben soll, wird nicht berichtet. Später heißt er schlechtweg der hinkende Teufel von Autun. Unter den Bourbonen rührte sich die Spottlust wieder mehr. Weil in dem ersten Ministerium Ludwig XVIII. zwei Abbvs, Montesquiou und Louis, und noch mehrere Frömmler saßen, legte man fast allen Mitgliedern der könig¬ lichen Familie ebenfalls die Namen von Abbks bei, und zwar dem gichtbrüchigen Könige: 1'3,I)do Huillv (1a bvcMlls, die Krücke), dem Grafen von Artois: Vu(! (Ja dvvus, wegen seiner Mißgriffe vor der Ankunft des Königs), dem beschränkten und bigotten Herzog von Angvulmne: l'gbbc! ^isv (ig bötiM). dem Herzog von Berry: l'gM» D-üiuz (ig vsäg-ius, Dickbauch), der stolzen Her¬ zogin von Angoulvme, die Napoleon bekanntlich den einzigen Mann in der Familie genannt hatte: l'gdvö < !in.>u!>> (lieg'ucmls, Zierpuppe). Derselbe Brief, dem wir dies entnehmen, beschreibt auch eine Menge Karrikaturen: aus den Fenstern der Tuilerien fliegen Adler davon, die Treppe hinauf werden Truthähne gejagt, und zwar mit weißen Taschentüchern, die bekanntlich beim Einzuge der Verbündeten als improvisirte bourbonische Fahnen gedient hatten u. tgi. in. Nicht ohne pikanten Reiz ist die Anekdote, daß sich der Herzog von Orleans, der spätere König, geweigert habe, der Krönung Karls X- beizuwohnen, bis eine Anzahl Verse aus dem von dem neuen König geltes-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/550>, abgerufen am 23.07.2024.