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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Philipp Albert Stapfer

Sätze genannt hat. In den Jahren nach 181!Z fließt die Quelle leider schwächer.
Im Oktober des genannten Jahres (das Datum 8. muß wohl ein Schreib-
vder Druckfehler sein, dn bereits der Anschluß Baierns um die Verbündeten
erwähnt wird) empfiehlt Stapfer den Schweizern dringend, ihre Neutralität zu
wahren, verweist auf die ungeheuern Hilfsquellen Frankreichs und die Bereit¬
willigkeit der Nation, jeder Forderung der Regierung zu genügen. "Die
Alliirten rechneten ganz sicher falsch, wenn sie sich mit einem Aufstand in.
Innern oder mit Erschöpfnngsideen schmeichelten." Ende November rühmt er
die Ruhe und das Sicherheitsgefühl in der Beurteilung der Lage bei den
verständigsten beuten in Paris. Man rechne sehr auf die Familienbeziehung
in Wien, und die Besorgnis, die Rußlands wachsender Einfluß ebendort erregen
müsse. Doch kann er nicht umhin, auch das Zunehmen der Mutlosigkeit und
der Friedenssehnsucht zu erwähnen, wofür er das System verantwortlich macht,
den Ideenverkehr und die sittliche Bildung der Reichsangehörigen einer
Art von Regie wie den Tabak zu unterwerfen. Nach Napoleons Abdankung
spiegelt sich die Stimmung der vom Drucke befreiten Franzosen auch in den
Briefen. In der Provence hat ein Bauer dem durchreisenden Exkaiser unter
fürchterlichen Verwünschungen eine Laterne unter die Nase gehalten und den
Umstehenden zugerufen: Seht euch den Elenden gut an, das Blut des Herzogs
von Enghien strömt ihm aus dem Munde! Und im März 1815: "Buonaparte
hat niemand für sich als die plünderungslnstige Meute, die die Länder nur
als Beute zum Ausrauben betrachtet." Sie sei allerdings zu fürchten, und
die Regierung habe Ungeschick genug bewiesen, die Käufer von National¬
gütern und die Freunde einer vernünftigen Freiheit zu beunruhigen und die
Eigenliebe des Heeres zu verletzen.

Das Verhältnis Napoleons als Konsul zu seinem Bruder Lucian als
Minister und ihre angeblichen Zerwürfnisse beurteilt Stapfer so, daß mau
an Napoleon III. und Plonplon erinnert wird. Alles sei Komödie, Lucian
sei gewiß kein Jakobiner, und er diene nur dazu, seinein Bruder die Geheimnisse
der Jakobiner zu hinterbringen- Ein Zank zwischen Fouche', und Lucian
Bonaparte gab dem Konsul Gelegenheit zu einem salomonischen Urteil. Der
Polizeiminister beschwerte sich über einen Brief seines Kollegen, worin es
hieß: Es kann nicht überraschen, daß dn, mit Blut besudelt, glaubst, es seien
noch nicht Verbrechen genug in Frankreich verübt worden! und Napoleon
erklärte, da Lucian ihn duze, sei der Brief vertraulicher Natur und keine
Staatsschrift. Daß Tallehrand bald in Gunst, bald in Ungnade steht, aber
immer verachtet wird, ist nichts neues, aber dieser fortwährende Wechsel in
den Stellungen auf demselben Boden macht den Eindruck eiues politischen
Lustspiels, und es ist bedauerlich, daß sich Seribe dieses Stoffes nicht bemäch¬
tigt hat; natürlich Hütte er ihn in ein andres Land und in eine andre Zeit
verlegen müssen, um nicht gesteinigt zu werden.


Philipp Albert Stapfer

Sätze genannt hat. In den Jahren nach 181!Z fließt die Quelle leider schwächer.
Im Oktober des genannten Jahres (das Datum 8. muß wohl ein Schreib-
vder Druckfehler sein, dn bereits der Anschluß Baierns um die Verbündeten
erwähnt wird) empfiehlt Stapfer den Schweizern dringend, ihre Neutralität zu
wahren, verweist auf die ungeheuern Hilfsquellen Frankreichs und die Bereit¬
willigkeit der Nation, jeder Forderung der Regierung zu genügen. „Die
Alliirten rechneten ganz sicher falsch, wenn sie sich mit einem Aufstand in.
Innern oder mit Erschöpfnngsideen schmeichelten." Ende November rühmt er
die Ruhe und das Sicherheitsgefühl in der Beurteilung der Lage bei den
verständigsten beuten in Paris. Man rechne sehr auf die Familienbeziehung
in Wien, und die Besorgnis, die Rußlands wachsender Einfluß ebendort erregen
müsse. Doch kann er nicht umhin, auch das Zunehmen der Mutlosigkeit und
der Friedenssehnsucht zu erwähnen, wofür er das System verantwortlich macht,
den Ideenverkehr und die sittliche Bildung der Reichsangehörigen einer
Art von Regie wie den Tabak zu unterwerfen. Nach Napoleons Abdankung
spiegelt sich die Stimmung der vom Drucke befreiten Franzosen auch in den
Briefen. In der Provence hat ein Bauer dem durchreisenden Exkaiser unter
fürchterlichen Verwünschungen eine Laterne unter die Nase gehalten und den
Umstehenden zugerufen: Seht euch den Elenden gut an, das Blut des Herzogs
von Enghien strömt ihm aus dem Munde! Und im März 1815: „Buonaparte
hat niemand für sich als die plünderungslnstige Meute, die die Länder nur
als Beute zum Ausrauben betrachtet." Sie sei allerdings zu fürchten, und
die Regierung habe Ungeschick genug bewiesen, die Käufer von National¬
gütern und die Freunde einer vernünftigen Freiheit zu beunruhigen und die
Eigenliebe des Heeres zu verletzen.

Das Verhältnis Napoleons als Konsul zu seinem Bruder Lucian als
Minister und ihre angeblichen Zerwürfnisse beurteilt Stapfer so, daß mau
an Napoleon III. und Plonplon erinnert wird. Alles sei Komödie, Lucian
sei gewiß kein Jakobiner, und er diene nur dazu, seinein Bruder die Geheimnisse
der Jakobiner zu hinterbringen- Ein Zank zwischen Fouche', und Lucian
Bonaparte gab dem Konsul Gelegenheit zu einem salomonischen Urteil. Der
Polizeiminister beschwerte sich über einen Brief seines Kollegen, worin es
hieß: Es kann nicht überraschen, daß dn, mit Blut besudelt, glaubst, es seien
noch nicht Verbrechen genug in Frankreich verübt worden! und Napoleon
erklärte, da Lucian ihn duze, sei der Brief vertraulicher Natur und keine
Staatsschrift. Daß Tallehrand bald in Gunst, bald in Ungnade steht, aber
immer verachtet wird, ist nichts neues, aber dieser fortwährende Wechsel in
den Stellungen auf demselben Boden macht den Eindruck eiues politischen
Lustspiels, und es ist bedauerlich, daß sich Seribe dieses Stoffes nicht bemäch¬
tigt hat; natürlich Hütte er ihn in ein andres Land und in eine andre Zeit
verlegen müssen, um nicht gesteinigt zu werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/549>, abgerufen am 23.07.2024.