Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Philipp Albert Stapfer

sanken des Geschichtschreibers an, heilt Talent zu schildern und seinen genialen
Blick. Aber der Stil, den sich Müller zurechtgemacht hatte, hat für Stapfer
etwas Peinliches durch das Ansprnchsvvlle und die erkünstelte Würde. "Diese
gezwungenen Inversionen, diese Archaismen, diese altfränkischen Wendungen
Itoui'uni'W L'0ttuautZ8), die majestätisch sein sollen, machen auf mich den Ein¬
druck, als sähe ich einen Richter, der sich durch Aufblähen und durch Ver¬
zerren der Gesichtszüge Ansehen geben möchte."

Dn Stapfer bis in sein hohes Alter den Gedanken- und Nachrichtenaustausch
mit den Freunden in der Heimat pflegte, noch die ersten zehn Jahre des Juli¬
königtums mit erlebte, und an den Ereignissen in Frankreich, wenn auch nur
als Zuschauer, immer den lebhaftesten Anteil nahm, enthalten seine Briefe
allerlei interessanten geschichtlichen Stoff, nicht nnr die Schweizer Zustände
betreffend. Für die erste Zeit steht natürlich Napoleon in erster Reihe, und
es ist bezeichnend, wie in den Briefen, die Stapfer schreibt oder empfängt, der
Name des Beherrschers der Franzosen wechselt: Bonaparte, der General, der
Konsul, der Kaiser, Napoleon, gelegentlich sogar Ku> N^We/i, nach 1814
Buonaparte. Auf die Art der Leitung der öffentlichen Meinung fallen mehrfach
Streiflichter. So wird 1801 erzählt, die eben damals erschienene Schrift
I^t pliilosopttiö als Xemt, von dem Lothringer Villers (der zuerst vor den
Jakobinern, dann vor Napoleon in Lübeck und Göttingen Zuflucht fand) sei in
Paris "ans Furcht vor den Juden nirgends rezensirt worden." Man habe Bona¬
parte weisgemacht, die Kantische Philosophie untergrabe die Throne und Altäre
"jeder Art", und so habe denn der Polizeiprä'fett allen Journalisten verboten,
für oder gegen irgend eine Religion oder Staatsverfassung spekulative Rüsvnne-
meuts zu drucken. Als Roederer im Staatsrate den ersten Konsul darauf an¬
redet, daß Frankreich trotz der Revolution uno rsligioa äovaiiumte zu erhalten
scheine, bekommt er die klassische Antwort: Oui, cloiuiimutv, unus non vies
äonunatrivo. 1806 versichern Ohrenzeugen, es vergehe kein Tag, wo nicht
Napoleon gegen die Metaphysik, d. i. Philosophie, und die Agiotage, d. i.
den Handelsgeist, Sarkasmen loslasse. Im Anschluße hieran bezeichnet es
Stapfer als höchst wahrscheinlich, daß in zwanzig Jahren die französische
Nation nur noch aus Satrapen oder Starosten, kleinen Krämern und Soldaten
bestehen werde. Als 1811 das Verbot ergangen ist, in den Zeitungen von
Büchern zu sprechen, die nicht vorher im offiziellen Buchhandels-Direktioiis-
Journal angezeigt worden sind, die Regierung also abermals ein Mittel mehr
hat, jede ihr unbequeme Erscheinung den Franzosen zu verheimlichet!, thut
Stapfer den Ausspruch: "Kein Fürst hat je mehr oder gar so viel für Wissen¬
schaften gespendet wie Napoleon, und keiner weniger angeregt und aufgerufen
als er." Merkwürdigerweise läßt er sich einige Monate später zu dem Glauben
verleiten, die Bücherzensur gehe in ihrer Strenge über des Kaisers Absicht
hinaus, weil sich dieser im Staatsrate den einzigen Vertreter liberaler Grund-


Philipp Albert Stapfer

sanken des Geschichtschreibers an, heilt Talent zu schildern und seinen genialen
Blick. Aber der Stil, den sich Müller zurechtgemacht hatte, hat für Stapfer
etwas Peinliches durch das Ansprnchsvvlle und die erkünstelte Würde. „Diese
gezwungenen Inversionen, diese Archaismen, diese altfränkischen Wendungen
Itoui'uni'W L'0ttuautZ8), die majestätisch sein sollen, machen auf mich den Ein¬
druck, als sähe ich einen Richter, der sich durch Aufblähen und durch Ver¬
zerren der Gesichtszüge Ansehen geben möchte."

Dn Stapfer bis in sein hohes Alter den Gedanken- und Nachrichtenaustausch
mit den Freunden in der Heimat pflegte, noch die ersten zehn Jahre des Juli¬
königtums mit erlebte, und an den Ereignissen in Frankreich, wenn auch nur
als Zuschauer, immer den lebhaftesten Anteil nahm, enthalten seine Briefe
allerlei interessanten geschichtlichen Stoff, nicht nnr die Schweizer Zustände
betreffend. Für die erste Zeit steht natürlich Napoleon in erster Reihe, und
es ist bezeichnend, wie in den Briefen, die Stapfer schreibt oder empfängt, der
Name des Beherrschers der Franzosen wechselt: Bonaparte, der General, der
Konsul, der Kaiser, Napoleon, gelegentlich sogar Ku> N^We/i, nach 1814
Buonaparte. Auf die Art der Leitung der öffentlichen Meinung fallen mehrfach
Streiflichter. So wird 1801 erzählt, die eben damals erschienene Schrift
I^t pliilosopttiö als Xemt, von dem Lothringer Villers (der zuerst vor den
Jakobinern, dann vor Napoleon in Lübeck und Göttingen Zuflucht fand) sei in
Paris „ans Furcht vor den Juden nirgends rezensirt worden." Man habe Bona¬
parte weisgemacht, die Kantische Philosophie untergrabe die Throne und Altäre
„jeder Art", und so habe denn der Polizeiprä'fett allen Journalisten verboten,
für oder gegen irgend eine Religion oder Staatsverfassung spekulative Rüsvnne-
meuts zu drucken. Als Roederer im Staatsrate den ersten Konsul darauf an¬
redet, daß Frankreich trotz der Revolution uno rsligioa äovaiiumte zu erhalten
scheine, bekommt er die klassische Antwort: Oui, cloiuiimutv, unus non vies
äonunatrivo. 1806 versichern Ohrenzeugen, es vergehe kein Tag, wo nicht
Napoleon gegen die Metaphysik, d. i. Philosophie, und die Agiotage, d. i.
den Handelsgeist, Sarkasmen loslasse. Im Anschluße hieran bezeichnet es
Stapfer als höchst wahrscheinlich, daß in zwanzig Jahren die französische
Nation nur noch aus Satrapen oder Starosten, kleinen Krämern und Soldaten
bestehen werde. Als 1811 das Verbot ergangen ist, in den Zeitungen von
Büchern zu sprechen, die nicht vorher im offiziellen Buchhandels-Direktioiis-
Journal angezeigt worden sind, die Regierung also abermals ein Mittel mehr
hat, jede ihr unbequeme Erscheinung den Franzosen zu verheimlichet!, thut
Stapfer den Ausspruch: „Kein Fürst hat je mehr oder gar so viel für Wissen¬
schaften gespendet wie Napoleon, und keiner weniger angeregt und aufgerufen
als er." Merkwürdigerweise läßt er sich einige Monate später zu dem Glauben
verleiten, die Bücherzensur gehe in ihrer Strenge über des Kaisers Absicht
hinaus, weil sich dieser im Staatsrate den einzigen Vertreter liberaler Grund-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0548" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211716"/>
          <fw type="header" place="top"> Philipp Albert Stapfer</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1593" prev="#ID_1592"> sanken des Geschichtschreibers an, heilt Talent zu schildern und seinen genialen<lb/>
Blick. Aber der Stil, den sich Müller zurechtgemacht hatte, hat für Stapfer<lb/>
etwas Peinliches durch das Ansprnchsvvlle und die erkünstelte Würde. &#x201E;Diese<lb/>
gezwungenen Inversionen, diese Archaismen, diese altfränkischen Wendungen<lb/>
Itoui'uni'W L'0ttuautZ8), die majestätisch sein sollen, machen auf mich den Ein¬<lb/>
druck, als sähe ich einen Richter, der sich durch Aufblähen und durch Ver¬<lb/>
zerren der Gesichtszüge Ansehen geben möchte."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1594" next="#ID_1595"> Dn Stapfer bis in sein hohes Alter den Gedanken- und Nachrichtenaustausch<lb/>
mit den Freunden in der Heimat pflegte, noch die ersten zehn Jahre des Juli¬<lb/>
königtums mit erlebte, und an den Ereignissen in Frankreich, wenn auch nur<lb/>
als Zuschauer, immer den lebhaftesten Anteil nahm, enthalten seine Briefe<lb/>
allerlei interessanten geschichtlichen Stoff, nicht nnr die Schweizer Zustände<lb/>
betreffend. Für die erste Zeit steht natürlich Napoleon in erster Reihe, und<lb/>
es ist bezeichnend, wie in den Briefen, die Stapfer schreibt oder empfängt, der<lb/>
Name des Beherrschers der Franzosen wechselt: Bonaparte, der General, der<lb/>
Konsul, der Kaiser, Napoleon, gelegentlich sogar Ku&gt; N^We/i, nach 1814<lb/>
Buonaparte. Auf die Art der Leitung der öffentlichen Meinung fallen mehrfach<lb/>
Streiflichter. So wird 1801 erzählt, die eben damals erschienene Schrift<lb/>
I^t pliilosopttiö als Xemt, von dem Lothringer Villers (der zuerst vor den<lb/>
Jakobinern, dann vor Napoleon in Lübeck und Göttingen Zuflucht fand) sei in<lb/>
Paris &#x201E;ans Furcht vor den Juden nirgends rezensirt worden." Man habe Bona¬<lb/>
parte weisgemacht, die Kantische Philosophie untergrabe die Throne und Altäre<lb/>
&#x201E;jeder Art", und so habe denn der Polizeiprä'fett allen Journalisten verboten,<lb/>
für oder gegen irgend eine Religion oder Staatsverfassung spekulative Rüsvnne-<lb/>
meuts zu drucken. Als Roederer im Staatsrate den ersten Konsul darauf an¬<lb/>
redet, daß Frankreich trotz der Revolution uno rsligioa äovaiiumte zu erhalten<lb/>
scheine, bekommt er die klassische Antwort: Oui, cloiuiimutv, unus non vies<lb/>
äonunatrivo. 1806 versichern Ohrenzeugen, es vergehe kein Tag, wo nicht<lb/>
Napoleon gegen die Metaphysik, d. i. Philosophie, und die Agiotage, d. i.<lb/>
den Handelsgeist, Sarkasmen loslasse. Im Anschluße hieran bezeichnet es<lb/>
Stapfer als höchst wahrscheinlich, daß in zwanzig Jahren die französische<lb/>
Nation nur noch aus Satrapen oder Starosten, kleinen Krämern und Soldaten<lb/>
bestehen werde. Als 1811 das Verbot ergangen ist, in den Zeitungen von<lb/>
Büchern zu sprechen, die nicht vorher im offiziellen Buchhandels-Direktioiis-<lb/>
Journal angezeigt worden sind, die Regierung also abermals ein Mittel mehr<lb/>
hat, jede ihr unbequeme Erscheinung den Franzosen zu verheimlichet!, thut<lb/>
Stapfer den Ausspruch: &#x201E;Kein Fürst hat je mehr oder gar so viel für Wissen¬<lb/>
schaften gespendet wie Napoleon, und keiner weniger angeregt und aufgerufen<lb/>
als er." Merkwürdigerweise läßt er sich einige Monate später zu dem Glauben<lb/>
verleiten, die Bücherzensur gehe in ihrer Strenge über des Kaisers Absicht<lb/>
hinaus, weil sich dieser im Staatsrate den einzigen Vertreter liberaler Grund-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0548] Philipp Albert Stapfer sanken des Geschichtschreibers an, heilt Talent zu schildern und seinen genialen Blick. Aber der Stil, den sich Müller zurechtgemacht hatte, hat für Stapfer etwas Peinliches durch das Ansprnchsvvlle und die erkünstelte Würde. „Diese gezwungenen Inversionen, diese Archaismen, diese altfränkischen Wendungen Itoui'uni'W L'0ttuautZ8), die majestätisch sein sollen, machen auf mich den Ein¬ druck, als sähe ich einen Richter, der sich durch Aufblähen und durch Ver¬ zerren der Gesichtszüge Ansehen geben möchte." Dn Stapfer bis in sein hohes Alter den Gedanken- und Nachrichtenaustausch mit den Freunden in der Heimat pflegte, noch die ersten zehn Jahre des Juli¬ königtums mit erlebte, und an den Ereignissen in Frankreich, wenn auch nur als Zuschauer, immer den lebhaftesten Anteil nahm, enthalten seine Briefe allerlei interessanten geschichtlichen Stoff, nicht nnr die Schweizer Zustände betreffend. Für die erste Zeit steht natürlich Napoleon in erster Reihe, und es ist bezeichnend, wie in den Briefen, die Stapfer schreibt oder empfängt, der Name des Beherrschers der Franzosen wechselt: Bonaparte, der General, der Konsul, der Kaiser, Napoleon, gelegentlich sogar Ku> N^We/i, nach 1814 Buonaparte. Auf die Art der Leitung der öffentlichen Meinung fallen mehrfach Streiflichter. So wird 1801 erzählt, die eben damals erschienene Schrift I^t pliilosopttiö als Xemt, von dem Lothringer Villers (der zuerst vor den Jakobinern, dann vor Napoleon in Lübeck und Göttingen Zuflucht fand) sei in Paris „ans Furcht vor den Juden nirgends rezensirt worden." Man habe Bona¬ parte weisgemacht, die Kantische Philosophie untergrabe die Throne und Altäre „jeder Art", und so habe denn der Polizeiprä'fett allen Journalisten verboten, für oder gegen irgend eine Religion oder Staatsverfassung spekulative Rüsvnne- meuts zu drucken. Als Roederer im Staatsrate den ersten Konsul darauf an¬ redet, daß Frankreich trotz der Revolution uno rsligioa äovaiiumte zu erhalten scheine, bekommt er die klassische Antwort: Oui, cloiuiimutv, unus non vies äonunatrivo. 1806 versichern Ohrenzeugen, es vergehe kein Tag, wo nicht Napoleon gegen die Metaphysik, d. i. Philosophie, und die Agiotage, d. i. den Handelsgeist, Sarkasmen loslasse. Im Anschluße hieran bezeichnet es Stapfer als höchst wahrscheinlich, daß in zwanzig Jahren die französische Nation nur noch aus Satrapen oder Starosten, kleinen Krämern und Soldaten bestehen werde. Als 1811 das Verbot ergangen ist, in den Zeitungen von Büchern zu sprechen, die nicht vorher im offiziellen Buchhandels-Direktioiis- Journal angezeigt worden sind, die Regierung also abermals ein Mittel mehr hat, jede ihr unbequeme Erscheinung den Franzosen zu verheimlichet!, thut Stapfer den Ausspruch: „Kein Fürst hat je mehr oder gar so viel für Wissen¬ schaften gespendet wie Napoleon, und keiner weniger angeregt und aufgerufen als er." Merkwürdigerweise läßt er sich einige Monate später zu dem Glauben verleiten, die Bücherzensur gehe in ihrer Strenge über des Kaisers Absicht hinaus, weil sich dieser im Staatsrate den einzigen Vertreter liberaler Grund-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/548
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/548>, abgerufen am 23.07.2024.