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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Philipp Albert Stapfer

würden, zentralistischen System ohne Rücksicht nicht nur aus den bekannten
Kantönligeist, sondern aus das berechtigte Unabhängigkeitsgefühl und die
Eigenartigkeit vorgegangen sei, hat er später selbst als einen Fehler anerkannt.
Nur die "Schulinspektoren-Creation" hat, wie er in jenein Briefe sagt, alle
andern Nevolutionsschöpfungen überlebt.

Im Sommer 1800 wurde er von der Negierung abermals nach Paris
geschickt, weil man hoffte, er würde in nichtoffizieller Stellung die Interessen
der Schweiz wirksamer vertreten können; doch bald erhielt er den Posten eines
Gesandten. Er bemühte sich nach Kräften, der Arbeit der Franzosen, die, wie
der damalige französische Staatsrat P. L. Roederer rückhaltlos zugesteht, in
die Schweiz gekommen waren, um sie zu zerstören und zu verderben, Halt zu
gebieten, aber mit geringen Erfolgen, wie uns scheint, wenn auch der Biograph
sie bedeutend findet. Freilich lag die Schuld zum guten Teil an der Unent-
schlossenheit und den Parteizwisten in der Schweiz selbst. Um so wichtiger
sind seine Urteile. Schon am 27. September 1800 schreibt er an Astern
"Bis zur Evidenz ist es mir nun klar und erwiesen, daß die französische Ne¬
gierung die Einführung einer die wahre Freiheit begünstigenden Verfassung
nicht nur nicht befördern will, sondern auf alle mit ihrem Interesse und ihren
nun einmal öffentlich angekündigten Grundsätzen unvereinbare Art zu hindern
entschlossen ist. Der Zweck Bonapartes ist gewiß kein andrer als der, Frank¬
reich nnter republikanischen Formen und Namen unumschränkt und ^ 1a,
Louis XIV. zu regieren." Jede Mitwirkung der Nation ("ich sage mit Fleiß
der Nation und nicht des Volkes") bei der Bestellung "ihrer Geschäftsträger"
werde verschrieen, lächerlich, verabscheuungswürdig, jede wahre Volksvertretung
unmöglich gemacht, jede freimütige republikanische Äußerung unterdrückt oder
bestraft, dagegen Jakobiner und Royalisten begünstigt. "Es wird planmüßig
daran gearbeitet, die ganze Nation wieder monarchisch zu stimmen, versteht
sich, nicht um einem Bourbon wieder den Weg zum Throne anzubahnen, sondern
um den neuen Octavian, <mi xlobsnr äisovrclü" civilibus tcZ88g,w, sibi, spovis
ikipnolicAö Lor8vrvÄw, 8uH<ze,i1, das Herrschen leicht zu machen. Nicht nur
hat dieser Jüngling bei seinen großen Talenten keine Seele und keinen Funken
von Moralität, sondern er verfolgt recht systematisch den Plan, den so viele
Könige gleichsam instinktmäßig befolgt haben." Diese Charakteristik um diese
Zeit bezeugt allein schon den staatsmännischen Scharfblick Stapfers, und seine
weitern Erfahrungen im Verkehr mit Bonaparte bewiesen ihm selbst, daß er
ihn nicht ungerecht beurteilt hatte.

Im Jahre 1803 entsagte Stapfer der politischen Thätigkeit, schlug die
wiederholten Anerbieten von Ämtern in der Heimat aus und blieb in Frank¬
reich. Der Gedanke, wieder in die kleinen und kleinlichen Verhältnisse der
Schweiz zurückzukehren, konnte wohl nichts verlockendes für ihn haben, um
so weniger, als er über seine Landsleute im allgemeinen ziemlich ungünstig


Philipp Albert Stapfer

würden, zentralistischen System ohne Rücksicht nicht nur aus den bekannten
Kantönligeist, sondern aus das berechtigte Unabhängigkeitsgefühl und die
Eigenartigkeit vorgegangen sei, hat er später selbst als einen Fehler anerkannt.
Nur die „Schulinspektoren-Creation" hat, wie er in jenein Briefe sagt, alle
andern Nevolutionsschöpfungen überlebt.

Im Sommer 1800 wurde er von der Negierung abermals nach Paris
geschickt, weil man hoffte, er würde in nichtoffizieller Stellung die Interessen
der Schweiz wirksamer vertreten können; doch bald erhielt er den Posten eines
Gesandten. Er bemühte sich nach Kräften, der Arbeit der Franzosen, die, wie
der damalige französische Staatsrat P. L. Roederer rückhaltlos zugesteht, in
die Schweiz gekommen waren, um sie zu zerstören und zu verderben, Halt zu
gebieten, aber mit geringen Erfolgen, wie uns scheint, wenn auch der Biograph
sie bedeutend findet. Freilich lag die Schuld zum guten Teil an der Unent-
schlossenheit und den Parteizwisten in der Schweiz selbst. Um so wichtiger
sind seine Urteile. Schon am 27. September 1800 schreibt er an Astern
„Bis zur Evidenz ist es mir nun klar und erwiesen, daß die französische Ne¬
gierung die Einführung einer die wahre Freiheit begünstigenden Verfassung
nicht nur nicht befördern will, sondern auf alle mit ihrem Interesse und ihren
nun einmal öffentlich angekündigten Grundsätzen unvereinbare Art zu hindern
entschlossen ist. Der Zweck Bonapartes ist gewiß kein andrer als der, Frank¬
reich nnter republikanischen Formen und Namen unumschränkt und ^ 1a,
Louis XIV. zu regieren." Jede Mitwirkung der Nation („ich sage mit Fleiß
der Nation und nicht des Volkes") bei der Bestellung „ihrer Geschäftsträger"
werde verschrieen, lächerlich, verabscheuungswürdig, jede wahre Volksvertretung
unmöglich gemacht, jede freimütige republikanische Äußerung unterdrückt oder
bestraft, dagegen Jakobiner und Royalisten begünstigt. „Es wird planmüßig
daran gearbeitet, die ganze Nation wieder monarchisch zu stimmen, versteht
sich, nicht um einem Bourbon wieder den Weg zum Throne anzubahnen, sondern
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hat dieser Jüngling bei seinen großen Talenten keine Seele und keinen Funken
von Moralität, sondern er verfolgt recht systematisch den Plan, den so viele
Könige gleichsam instinktmäßig befolgt haben." Diese Charakteristik um diese
Zeit bezeugt allein schon den staatsmännischen Scharfblick Stapfers, und seine
weitern Erfahrungen im Verkehr mit Bonaparte bewiesen ihm selbst, daß er
ihn nicht ungerecht beurteilt hatte.

Im Jahre 1803 entsagte Stapfer der politischen Thätigkeit, schlug die
wiederholten Anerbieten von Ämtern in der Heimat aus und blieb in Frank¬
reich. Der Gedanke, wieder in die kleinen und kleinlichen Verhältnisse der
Schweiz zurückzukehren, konnte wohl nichts verlockendes für ihn haben, um
so weniger, als er über seine Landsleute im allgemeinen ziemlich ungünstig


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[0546] Philipp Albert Stapfer würden, zentralistischen System ohne Rücksicht nicht nur aus den bekannten Kantönligeist, sondern aus das berechtigte Unabhängigkeitsgefühl und die Eigenartigkeit vorgegangen sei, hat er später selbst als einen Fehler anerkannt. Nur die „Schulinspektoren-Creation" hat, wie er in jenein Briefe sagt, alle andern Nevolutionsschöpfungen überlebt. Im Sommer 1800 wurde er von der Negierung abermals nach Paris geschickt, weil man hoffte, er würde in nichtoffizieller Stellung die Interessen der Schweiz wirksamer vertreten können; doch bald erhielt er den Posten eines Gesandten. Er bemühte sich nach Kräften, der Arbeit der Franzosen, die, wie der damalige französische Staatsrat P. L. Roederer rückhaltlos zugesteht, in die Schweiz gekommen waren, um sie zu zerstören und zu verderben, Halt zu gebieten, aber mit geringen Erfolgen, wie uns scheint, wenn auch der Biograph sie bedeutend findet. Freilich lag die Schuld zum guten Teil an der Unent- schlossenheit und den Parteizwisten in der Schweiz selbst. Um so wichtiger sind seine Urteile. Schon am 27. September 1800 schreibt er an Astern „Bis zur Evidenz ist es mir nun klar und erwiesen, daß die französische Ne¬ gierung die Einführung einer die wahre Freiheit begünstigenden Verfassung nicht nur nicht befördern will, sondern auf alle mit ihrem Interesse und ihren nun einmal öffentlich angekündigten Grundsätzen unvereinbare Art zu hindern entschlossen ist. Der Zweck Bonapartes ist gewiß kein andrer als der, Frank¬ reich nnter republikanischen Formen und Namen unumschränkt und ^ 1a, Louis XIV. zu regieren." Jede Mitwirkung der Nation („ich sage mit Fleiß der Nation und nicht des Volkes") bei der Bestellung „ihrer Geschäftsträger" werde verschrieen, lächerlich, verabscheuungswürdig, jede wahre Volksvertretung unmöglich gemacht, jede freimütige republikanische Äußerung unterdrückt oder bestraft, dagegen Jakobiner und Royalisten begünstigt. „Es wird planmüßig daran gearbeitet, die ganze Nation wieder monarchisch zu stimmen, versteht sich, nicht um einem Bourbon wieder den Weg zum Throne anzubahnen, sondern um den neuen Octavian, <mi xlobsnr äisovrclü» civilibus tcZ88g,w, sibi, spovis ikipnolicAö Lor8vrvÄw, 8uH<ze,i1, das Herrschen leicht zu machen. Nicht nur hat dieser Jüngling bei seinen großen Talenten keine Seele und keinen Funken von Moralität, sondern er verfolgt recht systematisch den Plan, den so viele Könige gleichsam instinktmäßig befolgt haben." Diese Charakteristik um diese Zeit bezeugt allein schon den staatsmännischen Scharfblick Stapfers, und seine weitern Erfahrungen im Verkehr mit Bonaparte bewiesen ihm selbst, daß er ihn nicht ungerecht beurteilt hatte. Im Jahre 1803 entsagte Stapfer der politischen Thätigkeit, schlug die wiederholten Anerbieten von Ämtern in der Heimat aus und blieb in Frank¬ reich. Der Gedanke, wieder in die kleinen und kleinlichen Verhältnisse der Schweiz zurückzukehren, konnte wohl nichts verlockendes für ihn haben, um so weniger, als er über seine Landsleute im allgemeinen ziemlich ungünstig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/546>, abgerufen am 23.07.2024.