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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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im Konkurrenzkampfe nicht die Starken, sondern die Schwachen unten zu
liegen komme", versteht sich von selbst. Man weiß daher im voraus, daß
das Vagabundentum aus deu schwächlichsten Personen besteht, und es ist
gleichartig, ob im einzelnen Falle leibliche oder Geistes- oder Charakterschwäche
die erste Ursache des Untergangs war. Nehmen wir nun an, alle diese Wichte
würden plötzlich durch ein Wunder in Helden verwandelt und eroberten sich
Stellungen im Gewerbe, so wäre das doch nur durch die Verdrängung der
frühern Inhaber dieser Stellen möglich, und nun müßten diese vagabundiren.
Die wunderbarste Steigerung der gewerblichen und sittlichen Leistungskraft
aller Stnatsaugehvrigen könnte an der Thatsache, daß -- sagen wir sünf-
hnnderttnusend, nach fünf Jahren vielleicht fünf Millionen Menschen vaga¬
bundiren müssen, nicht das mindeste ändern, oder vielmehr könnte sie höchstens
verschlimmern, indem ja, je größer die Leistungskraft der einzelnen ist, desto
weniger Arbeiter erforderlich sind, den Bedarf des Marktes zu befriedigen,
und der Bedarf des Marktes desto geringer wird, je enthaltsamer die Arbeiter
leben. Unter den heutigen Umständen die Vagabunden zum Arbeiten zu
zwingen, heißt den Lohn der ordentlichen Arbeiter drücken und die schwächern
von diesen ins Vagabundentnm hinabstoßen. Der protestantische Grundsatz
ist in die Massen eingedrungen. Wer von den Arbeitern noch nicht verlumpt
ist, der verschmäht das Almosen lind fordert lohnende Arbeit als sein Recht.
Der Staat mag nun zusehen, wie er sich mit dieser Forderung abfindet.




Philipp Albert ^tapfer

er Schweizer Stapfer ist bekannt als ein Mann, der sich um
das Schulwesen seines Vaterlandes unvergängliche Verdienste
erworben hat. Seine diplomatische Thätigkeit konnte, da sie in
die Zeit der krausen, einem Fremden nicht leicht verständlichen
Verfassungswirren fällt, nicht so viel Beachtung finden, und
genau die zweite Hälfte seines Lebens, 37 Jahre, blieb er der Öffentlichkeit
fern. Daher werden außerhalb der Schweiz viele mit einiger Verwunderung
vernehmen, daß eine zwei starke Bände von 66 Druckbogen füllende Auswahl
aus seinem Briefwechsel veröffentlicht worden ist. Sie bildet den 11. und
12. Band der Quellen zur Schweizer Geschichte, herausgegeben von der
Allgemeinen Geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz (Basel, A. Geering),
und in der That hat ein großer Teil des Inhalts ausschließlich für die Geschichte
der Schweiz, insbesondre für die Geschichte der Staatsumwälzung um die


im Konkurrenzkampfe nicht die Starken, sondern die Schwachen unten zu
liegen komme», versteht sich von selbst. Man weiß daher im voraus, daß
das Vagabundentum aus deu schwächlichsten Personen besteht, und es ist
gleichartig, ob im einzelnen Falle leibliche oder Geistes- oder Charakterschwäche
die erste Ursache des Untergangs war. Nehmen wir nun an, alle diese Wichte
würden plötzlich durch ein Wunder in Helden verwandelt und eroberten sich
Stellungen im Gewerbe, so wäre das doch nur durch die Verdrängung der
frühern Inhaber dieser Stellen möglich, und nun müßten diese vagabundiren.
Die wunderbarste Steigerung der gewerblichen und sittlichen Leistungskraft
aller Stnatsaugehvrigen könnte an der Thatsache, daß — sagen wir sünf-
hnnderttnusend, nach fünf Jahren vielleicht fünf Millionen Menschen vaga¬
bundiren müssen, nicht das mindeste ändern, oder vielmehr könnte sie höchstens
verschlimmern, indem ja, je größer die Leistungskraft der einzelnen ist, desto
weniger Arbeiter erforderlich sind, den Bedarf des Marktes zu befriedigen,
und der Bedarf des Marktes desto geringer wird, je enthaltsamer die Arbeiter
leben. Unter den heutigen Umständen die Vagabunden zum Arbeiten zu
zwingen, heißt den Lohn der ordentlichen Arbeiter drücken und die schwächern
von diesen ins Vagabundentnm hinabstoßen. Der protestantische Grundsatz
ist in die Massen eingedrungen. Wer von den Arbeitern noch nicht verlumpt
ist, der verschmäht das Almosen lind fordert lohnende Arbeit als sein Recht.
Der Staat mag nun zusehen, wie er sich mit dieser Forderung abfindet.




Philipp Albert ^tapfer

er Schweizer Stapfer ist bekannt als ein Mann, der sich um
das Schulwesen seines Vaterlandes unvergängliche Verdienste
erworben hat. Seine diplomatische Thätigkeit konnte, da sie in
die Zeit der krausen, einem Fremden nicht leicht verständlichen
Verfassungswirren fällt, nicht so viel Beachtung finden, und
genau die zweite Hälfte seines Lebens, 37 Jahre, blieb er der Öffentlichkeit
fern. Daher werden außerhalb der Schweiz viele mit einiger Verwunderung
vernehmen, daß eine zwei starke Bände von 66 Druckbogen füllende Auswahl
aus seinem Briefwechsel veröffentlicht worden ist. Sie bildet den 11. und
12. Band der Quellen zur Schweizer Geschichte, herausgegeben von der
Allgemeinen Geschichtforschenden Gesellschaft der Schweiz (Basel, A. Geering),
und in der That hat ein großer Teil des Inhalts ausschließlich für die Geschichte
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/544>, abgerufen am 23.07.2024.