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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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gerichte, dürste überhaupt von einer Verringerung des Ansehens zu sprechen
sein -- Einzelrichter, Als solcher hat er in allen Angelegenheiten allein zu
verfügen und allein zu erkennen, seine Zuständigkeit ist im Zivilprozeß nur
auf eine bestimmte Geldsumme und im Kriminalprozeß nur auf ein bestimmtes
Strafmaß beschränkt, innerhalb seiner Zuständigkeit hat er aber über alle in
seinem Bezirk vorkommenden Rechtsangelegenheiten allein zu befinden, er hat
in diesem Bezirk auch zu wohnen, damit dem Volke das Suchen des Rechts
erleichtert werde. Nur ausnahmsweise in großen Städten und oft auch in
den Kreisstädten sind mehrere Amtsrichter zusammen an demselben Orte, aber
auch sie bilden kein Kollegium, sondern verfügen und erkennen allein, indem,
die Geschäfte entweder "ach Bezirken oder sachlich unter sie verteilt sind. Diese
Grundsätze des deutschen Gerichtsverfasfnngsgesetzes haben volle innere Be¬
rechtigung und haben sich auch durchaus bewährt. Sie setzen aber bei jedem
Richter die gründlichste Rechtskenntnis, unbedingte Pflichttreue und uutndel-
haftes sittliches Verhalten voraus, und wo diese Bedingungen zutreffen, da
stehn die Richter -- wir kennen zahlreiche Fälle -- nicht nur in hohem An¬
sehen, sondern gelten auch in andern als den Rechtsangelegenheiten als treue
Berater ihrer Bezirkseingesessenen lind genießen unbedingtes Vertrauen. Aber
jene drei Eigenschaften finden sich nicht bei allen Richtern vereinigt, und bei
der Nähe, in der die Richter zum Publikum steh", wird jeder geistige Mangel
und jeder sittliche Fehltritt sofort bemerkt und vielfach besprochen. Der Einzel¬
richter findet auch keinen Schutz und keine Hilfe bei einem Kollegen, da er
einen solchen nicht hat; der Einzelrichter ist allein ans seine Persönlichkeit ange¬
wiesen. Die vor der neuen Gerichtsorganisation bestehenden Gerichte erster
Instanz, die Kreisgerichte, hatten als Kollegien und durch ihren Vorsitzenden
vorweg eine hervorragende gesellschaftliche Stellung, und die.Kreisrichter ge¬
wannen selbst in politischer Beziehung in Stadt und ^!aud einen bedeutenden,
weder berechtigten noch wohlthätigen Einfluß. Diese mit der Mitgliedschaft
eines Kollegiums verbundne hervorragende Stellung der Richter erster In¬
stanz ist durch die Gerichtsvrgnnisation zu Grabe getragen worden, mit ihr
auch der politische Einfluß der Richter. Aus dieser Vereinzelung beruht zum
allergrößten Teile das gegen früher verminderte Ansehen des Nichterstandes.

Sollen erst die Mittel zur Wiedererhöhnng dieses Ansehens besprochen
werden, so müssen wir vor allem empfehlen, der weitern Vereinzelung der Richter
nach allen Richtungen hin entgegenzutreten. Man gründe "icht "me kleine
Amtsbezirke, ziehe die ganz kleine" Bezirke, wenn verbesserte Verkehrsverhält-
nisse es gestatte", lieber ein und verwalte in entfernten Kreisteilen die Ge¬
richtsgeschäfte durch Absendung von Kommissionen. Man suche die persönliche
Annäherung der an einem Orte und in einem Kreise angestellten Richter -- die
sich jetzt persönlich oft kaum kennen -- dnrch amtliche Zusammenkünfte zu
erstreben. In solchen amtlichen Zusanunenkünften würden die Wahrnehmungen


gerichte, dürste überhaupt von einer Verringerung des Ansehens zu sprechen
sein — Einzelrichter, Als solcher hat er in allen Angelegenheiten allein zu
verfügen und allein zu erkennen, seine Zuständigkeit ist im Zivilprozeß nur
auf eine bestimmte Geldsumme und im Kriminalprozeß nur auf ein bestimmtes
Strafmaß beschränkt, innerhalb seiner Zuständigkeit hat er aber über alle in
seinem Bezirk vorkommenden Rechtsangelegenheiten allein zu befinden, er hat
in diesem Bezirk auch zu wohnen, damit dem Volke das Suchen des Rechts
erleichtert werde. Nur ausnahmsweise in großen Städten und oft auch in
den Kreisstädten sind mehrere Amtsrichter zusammen an demselben Orte, aber
auch sie bilden kein Kollegium, sondern verfügen und erkennen allein, indem,
die Geschäfte entweder »ach Bezirken oder sachlich unter sie verteilt sind. Diese
Grundsätze des deutschen Gerichtsverfasfnngsgesetzes haben volle innere Be¬
rechtigung und haben sich auch durchaus bewährt. Sie setzen aber bei jedem
Richter die gründlichste Rechtskenntnis, unbedingte Pflichttreue und uutndel-
haftes sittliches Verhalten voraus, und wo diese Bedingungen zutreffen, da
stehn die Richter — wir kennen zahlreiche Fälle — nicht nur in hohem An¬
sehen, sondern gelten auch in andern als den Rechtsangelegenheiten als treue
Berater ihrer Bezirkseingesessenen lind genießen unbedingtes Vertrauen. Aber
jene drei Eigenschaften finden sich nicht bei allen Richtern vereinigt, und bei
der Nähe, in der die Richter zum Publikum steh», wird jeder geistige Mangel
und jeder sittliche Fehltritt sofort bemerkt und vielfach besprochen. Der Einzel¬
richter findet auch keinen Schutz und keine Hilfe bei einem Kollegen, da er
einen solchen nicht hat; der Einzelrichter ist allein ans seine Persönlichkeit ange¬
wiesen. Die vor der neuen Gerichtsorganisation bestehenden Gerichte erster
Instanz, die Kreisgerichte, hatten als Kollegien und durch ihren Vorsitzenden
vorweg eine hervorragende gesellschaftliche Stellung, und die.Kreisrichter ge¬
wannen selbst in politischer Beziehung in Stadt und ^!aud einen bedeutenden,
weder berechtigten noch wohlthätigen Einfluß. Diese mit der Mitgliedschaft
eines Kollegiums verbundne hervorragende Stellung der Richter erster In¬
stanz ist durch die Gerichtsvrgnnisation zu Grabe getragen worden, mit ihr
auch der politische Einfluß der Richter. Aus dieser Vereinzelung beruht zum
allergrößten Teile das gegen früher verminderte Ansehen des Nichterstandes.

Sollen erst die Mittel zur Wiedererhöhnng dieses Ansehens besprochen
werden, so müssen wir vor allem empfehlen, der weitern Vereinzelung der Richter
nach allen Richtungen hin entgegenzutreten. Man gründe »icht »me kleine
Amtsbezirke, ziehe die ganz kleine» Bezirke, wenn verbesserte Verkehrsverhält-
nisse es gestatte», lieber ein und verwalte in entfernten Kreisteilen die Ge¬
richtsgeschäfte durch Absendung von Kommissionen. Man suche die persönliche
Annäherung der an einem Orte und in einem Kreise angestellten Richter — die
sich jetzt persönlich oft kaum kennen — dnrch amtliche Zusammenkünfte zu
erstreben. In solchen amtlichen Zusanunenkünften würden die Wahrnehmungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/528>, abgerufen am 25.08.2024.