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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Söhne des Herrn Denker erzählten von ihren Kaninchen, oder davon, daß ihr
Bater Herrn und Madame Weihkopf in ganz enge", fleischfarbnen Hosen in
Sankt Pauli bei Hamburg habe tanzen sehen. Wir glaubten diese Geschichte
nicht recht, nur auf Jürgen machte sie einigen Eindruck. Noch immer hatte
er keine Lust zum Tanzen, und als er horte, daß man im Ballet meistens in
einem Kostüm tanze, das man in unsrer Stadt nicht auf der Straße zeigen
könne, schwand seine Achtung vor dem Tanzlehrer immer mehr. Als dieser
ihm einmal mit dem Violinbogen über die ungeberdigen Beine fuhr, verschwand
unser Bruder stillschweigend aus dem Saale, um fürs erste uicht wiederzu¬
kommen. An sehr gute Behandlung bei allen Lehrern gewöhnt, konnte er es
uicht begreifen, daß ihn ein Ballettänzer schlagen durfte, und er wußte unserm
Vater seine Abneigung gegen alles Tanzen so begreiflich darzustellen, daß dieser
ihm erlaubte, aus den Stunden wegzubleiben. Wir andern tanzten aber
munter weiter: Walzer, Esmeraldas, Frcmeuisen; immer lustiger wurde es,
und als das Ehepaar Weihkopf lange genug mit uns gehüpft und gesungen
hatte, durften wir unsre Künste der Öffentlichkeit zeigen. Die "verehrungs¬
würdigen Eltern und sonstigen Angehörige!?" wurden eingeladen, unsern "Ab¬
tanzball" mit ihrer Gegenwart zu verherrlichen, und in jedem Hause begann
sich einige Aufregung einzustellen. Ju der Stadt entstand große Nachfrage
nach weißbaumwollnen Glacehandschuhen, wie wir diesen zum erstenmal ge¬
forderten Ballartikel nannten, die besten Stiefel wurden neu besohlt, und der
Bedarf an Makassaröl und Eau de Lavcinde ging ins Großartige. Um vier
Uhr nachmittags sollte das Fest beginnen; aber schon viele Stunden vorher
verlangten wir in unsern Ballstaat gesteckt zu werden und wiesen Speis und
Trank mit Entrüstung zurück. Auch Jürgen ging mit. Er fand es doch an¬
gemessen, sich zu den "verehrungswürdigen Angehörigen" zu rechnen und nahm
mit Selbstgefühl diese Stellung ein, obgleich er behauptete, nicht tanzen zu
wollen.

Als wir den Saal betraten, war er köstlich mit Tannenreisern und
Papierblumen geschmückt, wahrend an den Wänden die vornehmsten Leute aus
Stadt und Land saßen. Alle Beamten waren mit ihren Familien erschienen,
auch die Hofbesitzer, und unsre durch Pracht unverwöhuten Augen wurden
fast geblendet von alle den schwarzseidnen Kleidern und den gelblichweißen
Vlondenhauben.

Herr und Madame Weihkopf standen in der Thür, jeden Gast aufs leut¬
seligste begrüßend. Beide waren im Gesellschaftsanzug und sahen äußerst sein und
würdig aus. Endlich stellte sich der Tanzlehrer feierlich in die Mitte des Saals,
hob den Arm, und nun begann die Stadtmusik ihren Eingangsmarsch zu spielen.
Es war derselbe, mit dem die Honoratioren begraben wurden, und er kam
uns so angenehm bekannt vor, daß die Polonaise sehr schön ging. Auch die
Zuschauer summten ihn leise mit, denn es geht nichts über eine wohlvertraute


Söhne des Herrn Denker erzählten von ihren Kaninchen, oder davon, daß ihr
Bater Herrn und Madame Weihkopf in ganz enge», fleischfarbnen Hosen in
Sankt Pauli bei Hamburg habe tanzen sehen. Wir glaubten diese Geschichte
nicht recht, nur auf Jürgen machte sie einigen Eindruck. Noch immer hatte
er keine Lust zum Tanzen, und als er horte, daß man im Ballet meistens in
einem Kostüm tanze, das man in unsrer Stadt nicht auf der Straße zeigen
könne, schwand seine Achtung vor dem Tanzlehrer immer mehr. Als dieser
ihm einmal mit dem Violinbogen über die ungeberdigen Beine fuhr, verschwand
unser Bruder stillschweigend aus dem Saale, um fürs erste uicht wiederzu¬
kommen. An sehr gute Behandlung bei allen Lehrern gewöhnt, konnte er es
uicht begreifen, daß ihn ein Ballettänzer schlagen durfte, und er wußte unserm
Vater seine Abneigung gegen alles Tanzen so begreiflich darzustellen, daß dieser
ihm erlaubte, aus den Stunden wegzubleiben. Wir andern tanzten aber
munter weiter: Walzer, Esmeraldas, Frcmeuisen; immer lustiger wurde es,
und als das Ehepaar Weihkopf lange genug mit uns gehüpft und gesungen
hatte, durften wir unsre Künste der Öffentlichkeit zeigen. Die „verehrungs¬
würdigen Eltern und sonstigen Angehörige!?" wurden eingeladen, unsern „Ab¬
tanzball" mit ihrer Gegenwart zu verherrlichen, und in jedem Hause begann
sich einige Aufregung einzustellen. Ju der Stadt entstand große Nachfrage
nach weißbaumwollnen Glacehandschuhen, wie wir diesen zum erstenmal ge¬
forderten Ballartikel nannten, die besten Stiefel wurden neu besohlt, und der
Bedarf an Makassaröl und Eau de Lavcinde ging ins Großartige. Um vier
Uhr nachmittags sollte das Fest beginnen; aber schon viele Stunden vorher
verlangten wir in unsern Ballstaat gesteckt zu werden und wiesen Speis und
Trank mit Entrüstung zurück. Auch Jürgen ging mit. Er fand es doch an¬
gemessen, sich zu den „verehrungswürdigen Angehörigen" zu rechnen und nahm
mit Selbstgefühl diese Stellung ein, obgleich er behauptete, nicht tanzen zu
wollen.

Als wir den Saal betraten, war er köstlich mit Tannenreisern und
Papierblumen geschmückt, wahrend an den Wänden die vornehmsten Leute aus
Stadt und Land saßen. Alle Beamten waren mit ihren Familien erschienen,
auch die Hofbesitzer, und unsre durch Pracht unverwöhuten Augen wurden
fast geblendet von alle den schwarzseidnen Kleidern und den gelblichweißen
Vlondenhauben.

Herr und Madame Weihkopf standen in der Thür, jeden Gast aufs leut¬
seligste begrüßend. Beide waren im Gesellschaftsanzug und sahen äußerst sein und
würdig aus. Endlich stellte sich der Tanzlehrer feierlich in die Mitte des Saals,
hob den Arm, und nun begann die Stadtmusik ihren Eingangsmarsch zu spielen.
Es war derselbe, mit dem die Honoratioren begraben wurden, und er kam
uns so angenehm bekannt vor, daß die Polonaise sehr schön ging. Auch die
Zuschauer summten ihn leise mit, denn es geht nichts über eine wohlvertraute


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/510>, abgerufen am 23.07.2024.