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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Melodie, und nun schlugen die Wogen des Festes über uns zusammen. Noch
nie hatten wir nach der Stadtmusik getanzt, noch nie war uns von dienstbaren
Geistern Glühwein, Limonade und Butterbrot so freundlich angeboten worden,
noch niemals waren wir uns so glücklich und vergnügt vorgekommen! Es
waren herrliche Stunden, und daß Jürgen in einer Ecke ganz für sich
allein tanzte, wunderte uns keinen Augenblick, obgleich er es heutiges Tags
noch ableugnet. Schon drängte sich manches erwachsene Paar in unsre Reihen,
schon fühlte man eine sonderbare Schwere in den Augen, die man vor be¬
sorgten Angehörigen mit Entschiedenheit ableugnete, da ertönte plötzlich eine
schmetternde Fanfare. Alles hielt mit Tanzen ein und drängte sich aus die
Seite, um alsbald atemlos die Augen so weit wie möglich aufzureißen.

In den Saal flatterte etwas Buntes, Leichtbeschwingtes: Madame Weih¬
kopf in rosenrote Wolken gekleidet, holdselig nach allen Seiten grüßend, wäh¬
rend ihr Gatte, von Atlas und Gold strahlend, ihr in kühnen Sätzen folgte.

Und nun kam etwas Unvergeßliches. Diese beiden, die aussahen, als
wären sie unmittelbar aus einer bessern Welt auf unsre arme Erde geflogen,
sie tanzten uns etwas vor! Tanzen war es eigentlich nicht zu nennen, dieses
Neigen und Beugen, dieses Schweben und Zittern. Wir waren auf die
Stühle geklettert, auf denen eigentlich die Honoratiorendamen sitzen sollten;
ob wir uns auf irgend eine heilige Blvndenhaube setzten, war uns ganz einerlei.
Alle Müdigkeit war wie weggeblasen, und wir hatten nur noch so viel Besin¬
nung, daß wir mit den Erwachsenen in die Hände klatschen und äg, oaxo rufen
konnten, wenn sich Madame Weihkopf minutenlang auf einem Beine langsam
herumgedreht hatte, das andre so weit von sich streckend, daß wir dachten/ es
gehöre ihr gar nicht mehr!

Das Fest war viel zu früh zu Ende, und als wir über das holprige
Straßenpflaster nach Haufe gingen, konnten wir uns gar nicht darein finden,
daß wir wieder in unsrer dunkeln, kleinen Stadt und nicht im Himmel bei
Herrn und Madame Weihkopf waren.

Das war also das Ballet -- o! gab es in der Welt überhaupt etwas
Schönres als das Ballet? Wenn ich groß war, das stand bei mir fest,
wollte ich doch versuchen, ius Ballet vou Sankt Pauli bei Hamburg zu kommen,
und Jürgen meinte auch, daß wir beide das Tanzen wohl noch lernen würden,
wenn wir uns nur ordentliche Mühe gäben. Aber er war meistens etwas
wankelmütig in seinen Entschlüssen. Nach wenigen Wochen kam eine Frau
mit einem dunkeln Vollbart in unsre Stadt, die sich für sechs Bankschillinge
Eintrittsgeld sehen ließ, und von der uns der Junge an der Kasse die ver¬
trauliche Mitteilung machte, dieses Wunder der Natur sei uicht seine Mama,
sondern sein Papa. Da meinte Jürgen, es sei doch gewiß noch leichter, eine
bärtige Fran zu werden als ein Ballettänzer.

Herr und Madame Weihkopf sind nicht wiedergekommen, und das war


Melodie, und nun schlugen die Wogen des Festes über uns zusammen. Noch
nie hatten wir nach der Stadtmusik getanzt, noch nie war uns von dienstbaren
Geistern Glühwein, Limonade und Butterbrot so freundlich angeboten worden,
noch niemals waren wir uns so glücklich und vergnügt vorgekommen! Es
waren herrliche Stunden, und daß Jürgen in einer Ecke ganz für sich
allein tanzte, wunderte uns keinen Augenblick, obgleich er es heutiges Tags
noch ableugnet. Schon drängte sich manches erwachsene Paar in unsre Reihen,
schon fühlte man eine sonderbare Schwere in den Augen, die man vor be¬
sorgten Angehörigen mit Entschiedenheit ableugnete, da ertönte plötzlich eine
schmetternde Fanfare. Alles hielt mit Tanzen ein und drängte sich aus die
Seite, um alsbald atemlos die Augen so weit wie möglich aufzureißen.

In den Saal flatterte etwas Buntes, Leichtbeschwingtes: Madame Weih¬
kopf in rosenrote Wolken gekleidet, holdselig nach allen Seiten grüßend, wäh¬
rend ihr Gatte, von Atlas und Gold strahlend, ihr in kühnen Sätzen folgte.

Und nun kam etwas Unvergeßliches. Diese beiden, die aussahen, als
wären sie unmittelbar aus einer bessern Welt auf unsre arme Erde geflogen,
sie tanzten uns etwas vor! Tanzen war es eigentlich nicht zu nennen, dieses
Neigen und Beugen, dieses Schweben und Zittern. Wir waren auf die
Stühle geklettert, auf denen eigentlich die Honoratiorendamen sitzen sollten;
ob wir uns auf irgend eine heilige Blvndenhaube setzten, war uns ganz einerlei.
Alle Müdigkeit war wie weggeblasen, und wir hatten nur noch so viel Besin¬
nung, daß wir mit den Erwachsenen in die Hände klatschen und äg, oaxo rufen
konnten, wenn sich Madame Weihkopf minutenlang auf einem Beine langsam
herumgedreht hatte, das andre so weit von sich streckend, daß wir dachten/ es
gehöre ihr gar nicht mehr!

Das Fest war viel zu früh zu Ende, und als wir über das holprige
Straßenpflaster nach Haufe gingen, konnten wir uns gar nicht darein finden,
daß wir wieder in unsrer dunkeln, kleinen Stadt und nicht im Himmel bei
Herrn und Madame Weihkopf waren.

Das war also das Ballet — o! gab es in der Welt überhaupt etwas
Schönres als das Ballet? Wenn ich groß war, das stand bei mir fest,
wollte ich doch versuchen, ius Ballet vou Sankt Pauli bei Hamburg zu kommen,
und Jürgen meinte auch, daß wir beide das Tanzen wohl noch lernen würden,
wenn wir uns nur ordentliche Mühe gäben. Aber er war meistens etwas
wankelmütig in seinen Entschlüssen. Nach wenigen Wochen kam eine Frau
mit einem dunkeln Vollbart in unsre Stadt, die sich für sechs Bankschillinge
Eintrittsgeld sehen ließ, und von der uns der Junge an der Kasse die ver¬
trauliche Mitteilung machte, dieses Wunder der Natur sei uicht seine Mama,
sondern sein Papa. Da meinte Jürgen, es sei doch gewiß noch leichter, eine
bärtige Fran zu werden als ein Ballettänzer.

Herr und Madame Weihkopf sind nicht wiedergekommen, und das war


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[0511] Melodie, und nun schlugen die Wogen des Festes über uns zusammen. Noch nie hatten wir nach der Stadtmusik getanzt, noch nie war uns von dienstbaren Geistern Glühwein, Limonade und Butterbrot so freundlich angeboten worden, noch niemals waren wir uns so glücklich und vergnügt vorgekommen! Es waren herrliche Stunden, und daß Jürgen in einer Ecke ganz für sich allein tanzte, wunderte uns keinen Augenblick, obgleich er es heutiges Tags noch ableugnet. Schon drängte sich manches erwachsene Paar in unsre Reihen, schon fühlte man eine sonderbare Schwere in den Augen, die man vor be¬ sorgten Angehörigen mit Entschiedenheit ableugnete, da ertönte plötzlich eine schmetternde Fanfare. Alles hielt mit Tanzen ein und drängte sich aus die Seite, um alsbald atemlos die Augen so weit wie möglich aufzureißen. In den Saal flatterte etwas Buntes, Leichtbeschwingtes: Madame Weih¬ kopf in rosenrote Wolken gekleidet, holdselig nach allen Seiten grüßend, wäh¬ rend ihr Gatte, von Atlas und Gold strahlend, ihr in kühnen Sätzen folgte. Und nun kam etwas Unvergeßliches. Diese beiden, die aussahen, als wären sie unmittelbar aus einer bessern Welt auf unsre arme Erde geflogen, sie tanzten uns etwas vor! Tanzen war es eigentlich nicht zu nennen, dieses Neigen und Beugen, dieses Schweben und Zittern. Wir waren auf die Stühle geklettert, auf denen eigentlich die Honoratiorendamen sitzen sollten; ob wir uns auf irgend eine heilige Blvndenhaube setzten, war uns ganz einerlei. Alle Müdigkeit war wie weggeblasen, und wir hatten nur noch so viel Besin¬ nung, daß wir mit den Erwachsenen in die Hände klatschen und äg, oaxo rufen konnten, wenn sich Madame Weihkopf minutenlang auf einem Beine langsam herumgedreht hatte, das andre so weit von sich streckend, daß wir dachten/ es gehöre ihr gar nicht mehr! Das Fest war viel zu früh zu Ende, und als wir über das holprige Straßenpflaster nach Haufe gingen, konnten wir uns gar nicht darein finden, daß wir wieder in unsrer dunkeln, kleinen Stadt und nicht im Himmel bei Herrn und Madame Weihkopf waren. Das war also das Ballet — o! gab es in der Welt überhaupt etwas Schönres als das Ballet? Wenn ich groß war, das stand bei mir fest, wollte ich doch versuchen, ius Ballet vou Sankt Pauli bei Hamburg zu kommen, und Jürgen meinte auch, daß wir beide das Tanzen wohl noch lernen würden, wenn wir uns nur ordentliche Mühe gäben. Aber er war meistens etwas wankelmütig in seinen Entschlüssen. Nach wenigen Wochen kam eine Frau mit einem dunkeln Vollbart in unsre Stadt, die sich für sechs Bankschillinge Eintrittsgeld sehen ließ, und von der uns der Junge an der Kasse die ver¬ trauliche Mitteilung machte, dieses Wunder der Natur sei uicht seine Mama, sondern sein Papa. Da meinte Jürgen, es sei doch gewiß noch leichter, eine bärtige Fran zu werden als ein Ballettänzer. Herr und Madame Weihkopf sind nicht wiedergekommen, und das war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/511>, abgerufen am 23.07.2024.