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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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und den Schlüssel zur großen Apotheke verloren. Lachegott hat ihn geheilt
und mit neuer Lebensfreudigkeit erfüllt. Jetzt enthüllt er alles, was Pessi-
nus gethan hat, natürlich auch seinen Besuch bei der Schönheit, und die Bürger,
völlig umgestimmt, beschließen, daß Pessinus "baumeln" soll. Da verwandelt
sich die Szene in eine herrliche Frühlingslandschaft, die Schönheit kehrt jubelnd
begrüßt zurück, der wiedergefundne Schlüssel zur großen Apotheke geht an
die Wahrheit über, und Optimus wird ihr Provisor, denn, wie Lachegott
sagt, die Mittel des Optimus waren doch etwas gar zu süß; er hätte etwas
Rhabarber zusetzen müssen. Diesen zu brauen soll künftig die Aufgabe des
Pessinus sein, dem das Leben geschenkt und der nun in einer ungeheuren
Flasche eingesperrt wird. Auf der obersten Terrasse erscheint endlich der große
Prinzipal, von allen mit ehrfurchtsvollem Jubel begrüßt.

Man sieht, das Stück ist ein kecker Angriff auf den Pessimismus in der
modernen Kunst und ans die ganze durch ihn vertretene Lebensanschauung,
eine Verteidigung des durch Wahrheitssinn geläuterten Optimismus, der die
Schönheit für kein Wahngebilde hält und das Recht der Lebensfreudigkeit
entschieden verteidigt. Es bietet nach dieser Richtung einige sehr hübsche Züge,
vor allem die Art, wie Herr Pessimoff seinen Prinzipien untreu wird und
doch die Schönheit wieder einzuschmuggeln beschließt. Die Sprache -- das
Stück ist zum großen Teile in Versen geschrieben -- ist oft sehr schön, und
die Kühnheit der Erfindung sehr anzuerkennen. Aber zunächst krankt das
Werk an deu Nachteilen, die jede Allegorie für die dramatische Wirkung mit
sich bringt. Die meisten Personen wenn man diesen Ausdruck gebrauchen
will -- vertragen gar keine Charakterisirung im gewöhnlichen Sinne. Dann
ist doch eine gewisse Zwiespältigkeit nicht hinwegzuleugnen zwischen dem harm¬
losen Märchenchnrakter einiger Teile, der, wie erwähnt, besonders im ersten Bilde
ausgezeichnet getroffen ist, und dein scharf satirischen Grundzug andrer, und die
Satire selbst bleibt zu sehr an Einzelheiten hasten, sie geht zu wenig in die Tiefe.

Aber auch den einzelnen Gestalten fehlt zum Teil die rechte Einheitlich¬
keit der Durchführung. Dies gilt besonders von Pessinus. Von dem großen
Geschick und der besondern Klugheit, die ihm zugeschrieben werden, merken
wir an manchen Stellen herzlich wenig; die besten seiner Pläne werden ihm
von der Lüge eingegeben, und die Art, wie er sich von Lachegvtt düpiren
läßt, ist doch trotz der versuchten Begründung recht bedenklich. Pessinus soll
wohl eine Art Mephistvrolle. spielen, aber wie unendlich steht er hinter diesem
Vorbilde, um das man doch immer denken muß, zurück! Freilich hat er an
Optimus einen sehr ungefährlichen Gegner, und auch die Bürger der Stadt
Terra machen, schon ehe sie den gefälschten Trank genossen haben, einen sehr
unbedeutenden Eindruck, so daß wir uns nicht weiter wundern, wenn der be¬
sonders einfältige Stadtpoet Lamm unter dem Regiment des Pessinus sich
verpflichtet fühlt, diesen Namen mit Schöps zu vertauschen.


Grenzboten I 1892 63

und den Schlüssel zur großen Apotheke verloren. Lachegott hat ihn geheilt
und mit neuer Lebensfreudigkeit erfüllt. Jetzt enthüllt er alles, was Pessi-
nus gethan hat, natürlich auch seinen Besuch bei der Schönheit, und die Bürger,
völlig umgestimmt, beschließen, daß Pessinus „baumeln" soll. Da verwandelt
sich die Szene in eine herrliche Frühlingslandschaft, die Schönheit kehrt jubelnd
begrüßt zurück, der wiedergefundne Schlüssel zur großen Apotheke geht an
die Wahrheit über, und Optimus wird ihr Provisor, denn, wie Lachegott
sagt, die Mittel des Optimus waren doch etwas gar zu süß; er hätte etwas
Rhabarber zusetzen müssen. Diesen zu brauen soll künftig die Aufgabe des
Pessinus sein, dem das Leben geschenkt und der nun in einer ungeheuren
Flasche eingesperrt wird. Auf der obersten Terrasse erscheint endlich der große
Prinzipal, von allen mit ehrfurchtsvollem Jubel begrüßt.

Man sieht, das Stück ist ein kecker Angriff auf den Pessimismus in der
modernen Kunst und ans die ganze durch ihn vertretene Lebensanschauung,
eine Verteidigung des durch Wahrheitssinn geläuterten Optimismus, der die
Schönheit für kein Wahngebilde hält und das Recht der Lebensfreudigkeit
entschieden verteidigt. Es bietet nach dieser Richtung einige sehr hübsche Züge,
vor allem die Art, wie Herr Pessimoff seinen Prinzipien untreu wird und
doch die Schönheit wieder einzuschmuggeln beschließt. Die Sprache — das
Stück ist zum großen Teile in Versen geschrieben — ist oft sehr schön, und
die Kühnheit der Erfindung sehr anzuerkennen. Aber zunächst krankt das
Werk an deu Nachteilen, die jede Allegorie für die dramatische Wirkung mit
sich bringt. Die meisten Personen wenn man diesen Ausdruck gebrauchen
will — vertragen gar keine Charakterisirung im gewöhnlichen Sinne. Dann
ist doch eine gewisse Zwiespältigkeit nicht hinwegzuleugnen zwischen dem harm¬
losen Märchenchnrakter einiger Teile, der, wie erwähnt, besonders im ersten Bilde
ausgezeichnet getroffen ist, und dein scharf satirischen Grundzug andrer, und die
Satire selbst bleibt zu sehr an Einzelheiten hasten, sie geht zu wenig in die Tiefe.

Aber auch den einzelnen Gestalten fehlt zum Teil die rechte Einheitlich¬
keit der Durchführung. Dies gilt besonders von Pessinus. Von dem großen
Geschick und der besondern Klugheit, die ihm zugeschrieben werden, merken
wir an manchen Stellen herzlich wenig; die besten seiner Pläne werden ihm
von der Lüge eingegeben, und die Art, wie er sich von Lachegvtt düpiren
läßt, ist doch trotz der versuchten Begründung recht bedenklich. Pessinus soll
wohl eine Art Mephistvrolle. spielen, aber wie unendlich steht er hinter diesem
Vorbilde, um das man doch immer denken muß, zurück! Freilich hat er an
Optimus einen sehr ungefährlichen Gegner, und auch die Bürger der Stadt
Terra machen, schon ehe sie den gefälschten Trank genossen haben, einen sehr
unbedeutenden Eindruck, so daß wir uns nicht weiter wundern, wenn der be¬
sonders einfältige Stadtpoet Lamm unter dem Regiment des Pessinus sich
verpflichtet fühlt, diesen Namen mit Schöps zu vertauschen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/505>, abgerufen am 23.07.2024.