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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das heilige Lachen

Wildenbruch hat sich, dies kann ruhig ausgesprochen werden, diesmal an
eine Aufgabe gewagt, der er trotz seines auch hier unverkennbaren Talentes
nicht gewachsen war. Ihre Lösung kann aber wohl überhaupt nur einer Dichter¬
kraft ersten Ranges gelingen, und auch dann bleibt es noch zweifelhaft, ob die
dramatische Form die richtige sein würde.

Die Leistungen der Schauspieler verdienten in der Mehrzahl alle Aner¬
kennung, die Darsteller waren mit dem besten Willen an ihre Aufgaben ge¬
gangen; aber bei dem ganzen Charakter des Stückes konnten sie unmöglich zu
voller Wirkung kommen. Eine Ausnahme machte nur der Lachegvtt des
Fräulein Conrad; diese eigentümliche Gestalt wurde durch sie in reizvoller
Weise verkörpert. Auf Einzelheiten können wir hier um so weniger eingehn,
da es uns im wesentlichen nur um eine Würdigung des Stückes zu thun ist.

Das "Heilige Lachen" wird ohne Zweifel noch eine Reihe von Aufführungen
erleben; aber es wird wohl immer eine litterarische Kuriosität bleiben und
wird auch ferner seinen etwaigen Erfolg mehr, als dem Dichter recht sein kann,
der glänzenden Ausstattung -- der gegenüber man unwillkürlich fragt, ob man
mit dem darauf verwandten Gelde nicht lieber ernstere Kuustzwecke hätte för¬
dern sollen -- der reizvoll dem Charakter des Werkes sich anschmiegenden
Musik und ähnlichen Nebendingen verdanken.

Wildcnbruchs eigentliche Begabung liegt auf einem andern Felde, als
auf dem der aristophanischen Satire, vor allem ans dem des volkstümlichen
historischen Dramas. Was er da geschaffen hat, wirkt jedenfalls erfreulich,
so mancherlei Bedenken sich auch vom strengen Kunststandpunkt vor allem
gegen seine preußischen Stücke vorbringen lassen.

Im "Heiligen Lachen" sind -- wir wiederholen es -- die märchenhaften
Partien am besten gelungen, und das wird den nicht überraschen, der aus
der reizenden Erzählung "Kinderthränen" weiß, wie sich Wildenbruch in das
Kindergemüt zu versetzen versteht. Seine eigentliche Absicht aber, einen Schlag
gegen den modernen Pessimismus und Naturalismus zu führen, hat er leider
ebenso wenig erreicht, wie verschiedne kurzlebige und innerlich ganz unbe¬
deutende Stücke, die uns die Berliner Bühnen in letzter Zeit vorgeführt haben,
und das bleibt um so bedauerlicher, als sein Angriff jedenfalls weit ernster
zu nehmen ist, als die der Herren Vlumenthal und Lubliner. Aus seinem
Scheitern werden die "Modernen" natürlich weidlich Kapital zu schlagen
suchen.




Das heilige Lachen

Wildenbruch hat sich, dies kann ruhig ausgesprochen werden, diesmal an
eine Aufgabe gewagt, der er trotz seines auch hier unverkennbaren Talentes
nicht gewachsen war. Ihre Lösung kann aber wohl überhaupt nur einer Dichter¬
kraft ersten Ranges gelingen, und auch dann bleibt es noch zweifelhaft, ob die
dramatische Form die richtige sein würde.

Die Leistungen der Schauspieler verdienten in der Mehrzahl alle Aner¬
kennung, die Darsteller waren mit dem besten Willen an ihre Aufgaben ge¬
gangen; aber bei dem ganzen Charakter des Stückes konnten sie unmöglich zu
voller Wirkung kommen. Eine Ausnahme machte nur der Lachegvtt des
Fräulein Conrad; diese eigentümliche Gestalt wurde durch sie in reizvoller
Weise verkörpert. Auf Einzelheiten können wir hier um so weniger eingehn,
da es uns im wesentlichen nur um eine Würdigung des Stückes zu thun ist.

Das „Heilige Lachen" wird ohne Zweifel noch eine Reihe von Aufführungen
erleben; aber es wird wohl immer eine litterarische Kuriosität bleiben und
wird auch ferner seinen etwaigen Erfolg mehr, als dem Dichter recht sein kann,
der glänzenden Ausstattung — der gegenüber man unwillkürlich fragt, ob man
mit dem darauf verwandten Gelde nicht lieber ernstere Kuustzwecke hätte för¬
dern sollen — der reizvoll dem Charakter des Werkes sich anschmiegenden
Musik und ähnlichen Nebendingen verdanken.

Wildcnbruchs eigentliche Begabung liegt auf einem andern Felde, als
auf dem der aristophanischen Satire, vor allem ans dem des volkstümlichen
historischen Dramas. Was er da geschaffen hat, wirkt jedenfalls erfreulich,
so mancherlei Bedenken sich auch vom strengen Kunststandpunkt vor allem
gegen seine preußischen Stücke vorbringen lassen.

Im „Heiligen Lachen" sind — wir wiederholen es — die märchenhaften
Partien am besten gelungen, und das wird den nicht überraschen, der aus
der reizenden Erzählung „Kinderthränen" weiß, wie sich Wildenbruch in das
Kindergemüt zu versetzen versteht. Seine eigentliche Absicht aber, einen Schlag
gegen den modernen Pessimismus und Naturalismus zu führen, hat er leider
ebenso wenig erreicht, wie verschiedne kurzlebige und innerlich ganz unbe¬
deutende Stücke, die uns die Berliner Bühnen in letzter Zeit vorgeführt haben,
und das bleibt um so bedauerlicher, als sein Angriff jedenfalls weit ernster
zu nehmen ist, als die der Herren Vlumenthal und Lubliner. Aus seinem
Scheitern werden die „Modernen" natürlich weidlich Kapital zu schlagen
suchen.




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[0506] Das heilige Lachen Wildenbruch hat sich, dies kann ruhig ausgesprochen werden, diesmal an eine Aufgabe gewagt, der er trotz seines auch hier unverkennbaren Talentes nicht gewachsen war. Ihre Lösung kann aber wohl überhaupt nur einer Dichter¬ kraft ersten Ranges gelingen, und auch dann bleibt es noch zweifelhaft, ob die dramatische Form die richtige sein würde. Die Leistungen der Schauspieler verdienten in der Mehrzahl alle Aner¬ kennung, die Darsteller waren mit dem besten Willen an ihre Aufgaben ge¬ gangen; aber bei dem ganzen Charakter des Stückes konnten sie unmöglich zu voller Wirkung kommen. Eine Ausnahme machte nur der Lachegvtt des Fräulein Conrad; diese eigentümliche Gestalt wurde durch sie in reizvoller Weise verkörpert. Auf Einzelheiten können wir hier um so weniger eingehn, da es uns im wesentlichen nur um eine Würdigung des Stückes zu thun ist. Das „Heilige Lachen" wird ohne Zweifel noch eine Reihe von Aufführungen erleben; aber es wird wohl immer eine litterarische Kuriosität bleiben und wird auch ferner seinen etwaigen Erfolg mehr, als dem Dichter recht sein kann, der glänzenden Ausstattung — der gegenüber man unwillkürlich fragt, ob man mit dem darauf verwandten Gelde nicht lieber ernstere Kuustzwecke hätte för¬ dern sollen — der reizvoll dem Charakter des Werkes sich anschmiegenden Musik und ähnlichen Nebendingen verdanken. Wildcnbruchs eigentliche Begabung liegt auf einem andern Felde, als auf dem der aristophanischen Satire, vor allem ans dem des volkstümlichen historischen Dramas. Was er da geschaffen hat, wirkt jedenfalls erfreulich, so mancherlei Bedenken sich auch vom strengen Kunststandpunkt vor allem gegen seine preußischen Stücke vorbringen lassen. Im „Heiligen Lachen" sind — wir wiederholen es — die märchenhaften Partien am besten gelungen, und das wird den nicht überraschen, der aus der reizenden Erzählung „Kinderthränen" weiß, wie sich Wildenbruch in das Kindergemüt zu versetzen versteht. Seine eigentliche Absicht aber, einen Schlag gegen den modernen Pessimismus und Naturalismus zu führen, hat er leider ebenso wenig erreicht, wie verschiedne kurzlebige und innerlich ganz unbe¬ deutende Stücke, die uns die Berliner Bühnen in letzter Zeit vorgeführt haben, und das bleibt um so bedauerlicher, als sein Angriff jedenfalls weit ernster zu nehmen ist, als die der Herren Vlumenthal und Lubliner. Aus seinem Scheitern werden die „Modernen" natürlich weidlich Kapital zu schlagen suchen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/506>, abgerufen am 23.07.2024.