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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Lateinische Volksetymologie und Verwandtes

user Frauenminne Therese ist von dein Namen des alten thebi-
schen Sehers ^sirosm" abzuleiten -- klingt diese Behauptung
nicht wie Spott und Hohn ans alle Etymologie? 'I'vir68M8 hatte
zwar das Schicksal, mag es ein Vergnügen oder eine Strafe ge¬
wesen sein, eine Weite seines Lebens in ein Weib verwandelt zu
sein; aber diese ziemlich abgelegne Sage und die daran anknüpfenden Spott-
geschichtchen der Alten können doch nicht die Übertragung des Mannesnamens
^sirssms auf ein Mädchen erklären. Und doch spricht Otto Keller in seinem
vor kurzem bei B. G. Teubner erschienenen Buche Lateinische Volksety¬
mologie nud Verwandtes alles Ernstes die Ansicht aus, Therese sei aus
l'ÄrsÄÄS entstanden. Die griechische Form 'leirvsLss sei lateinisch zu 'lirssiss
oder ^<zr<Z8M8 geworden, wofür auch 'Iörc;8iii vorkomme; und die älteste, in
Spanien zuerst auftauchende Form des Namens Therese sei gleichfalls 'l'örLÄu.
erst später habe sich anstatt des 'I' das I'it eingestellt. Es sei daher Wohl
denkbar, meint Keller, daß durch Mißverständnis vielleicht von sehr ungebildeten
Leuten die Namensforin 1or<Z8in ^1'öirs8iii.8) für weiblich gehalten und bei der
Taufe einem Mädchen gegeben worden sei, daß sich also der ursprüngliche
Mannesname in einen Frauennamen verwandelt habe.

Alles dus ist richtig oder möglich. Trotzdem ist die Folgerung, die Keller
daraus zieht, irrig. ^öire-8in.8 ist überhaupt kein Mannesname. Der Name
gehört in der ganzen alten Welt nur dem sagenhaften thebischen Seher an.
Er ist niemals zu einem Mannesnamen geworden, weder Inschriften noch
Schriftsteller kennen einen Mann namens 'l6irs8M3. Und der Name Therese
Wucht keineswegs unter ungebildeten Leuten auf, deuen mau ein Mißverständnis
vielleicht zutrauen könnte, sondern er tritt uns zum erstenmal in dem könig¬
lichen Geschlecht von Leon entgegen, im nennten nachchristlichen Jahrhundert.
Ist es denkbar, daß eine christliche Prinzessin nach dem Namen des alten
heidnischen Sehers getauft worden wäre?

Um einen Namen zu deuten, muß man zunächst seine früheste Form fest¬
stellen. Für Therese ist sie nicht L^remis,, sondern lirmÄa,. Keller kennt zwar
diese Form, meint aber, es sei wohl nicht die Urform. Sie ist es aber ganz
entschieden. Die ältern spanischen Chronisten haben den Namen Therese fast




Lateinische Volksetymologie und Verwandtes

user Frauenminne Therese ist von dein Namen des alten thebi-
schen Sehers ^sirosm» abzuleiten — klingt diese Behauptung
nicht wie Spott und Hohn ans alle Etymologie? 'I'vir68M8 hatte
zwar das Schicksal, mag es ein Vergnügen oder eine Strafe ge¬
wesen sein, eine Weite seines Lebens in ein Weib verwandelt zu
sein; aber diese ziemlich abgelegne Sage und die daran anknüpfenden Spott-
geschichtchen der Alten können doch nicht die Übertragung des Mannesnamens
^sirssms auf ein Mädchen erklären. Und doch spricht Otto Keller in seinem
vor kurzem bei B. G. Teubner erschienenen Buche Lateinische Volksety¬
mologie nud Verwandtes alles Ernstes die Ansicht aus, Therese sei aus
l'ÄrsÄÄS entstanden. Die griechische Form 'leirvsLss sei lateinisch zu 'lirssiss
oder ^<zr<Z8M8 geworden, wofür auch 'Iörc;8iii vorkomme; und die älteste, in
Spanien zuerst auftauchende Form des Namens Therese sei gleichfalls 'l'örLÄu.
erst später habe sich anstatt des 'I' das I'it eingestellt. Es sei daher Wohl
denkbar, meint Keller, daß durch Mißverständnis vielleicht von sehr ungebildeten
Leuten die Namensforin 1or<Z8in ^1'öirs8iii.8) für weiblich gehalten und bei der
Taufe einem Mädchen gegeben worden sei, daß sich also der ursprüngliche
Mannesname in einen Frauennamen verwandelt habe.

Alles dus ist richtig oder möglich. Trotzdem ist die Folgerung, die Keller
daraus zieht, irrig. ^öire-8in.8 ist überhaupt kein Mannesname. Der Name
gehört in der ganzen alten Welt nur dem sagenhaften thebischen Seher an.
Er ist niemals zu einem Mannesnamen geworden, weder Inschriften noch
Schriftsteller kennen einen Mann namens 'l6irs8M3. Und der Name Therese
Wucht keineswegs unter ungebildeten Leuten auf, deuen mau ein Mißverständnis
vielleicht zutrauen könnte, sondern er tritt uns zum erstenmal in dem könig¬
lichen Geschlecht von Leon entgegen, im nennten nachchristlichen Jahrhundert.
Ist es denkbar, daß eine christliche Prinzessin nach dem Namen des alten
heidnischen Sehers getauft worden wäre?

Um einen Namen zu deuten, muß man zunächst seine früheste Form fest¬
stellen. Für Therese ist sie nicht L^remis,, sondern lirmÄa,. Keller kennt zwar
diese Form, meint aber, es sei wohl nicht die Urform. Sie ist es aber ganz
entschieden. Die ältern spanischen Chronisten haben den Namen Therese fast


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[0451] [Abbildung] Lateinische Volksetymologie und Verwandtes user Frauenminne Therese ist von dein Namen des alten thebi- schen Sehers ^sirosm» abzuleiten — klingt diese Behauptung nicht wie Spott und Hohn ans alle Etymologie? 'I'vir68M8 hatte zwar das Schicksal, mag es ein Vergnügen oder eine Strafe ge¬ wesen sein, eine Weite seines Lebens in ein Weib verwandelt zu sein; aber diese ziemlich abgelegne Sage und die daran anknüpfenden Spott- geschichtchen der Alten können doch nicht die Übertragung des Mannesnamens ^sirssms auf ein Mädchen erklären. Und doch spricht Otto Keller in seinem vor kurzem bei B. G. Teubner erschienenen Buche Lateinische Volksety¬ mologie nud Verwandtes alles Ernstes die Ansicht aus, Therese sei aus l'ÄrsÄÄS entstanden. Die griechische Form 'leirvsLss sei lateinisch zu 'lirssiss oder ^<zr<Z8M8 geworden, wofür auch 'Iörc;8iii vorkomme; und die älteste, in Spanien zuerst auftauchende Form des Namens Therese sei gleichfalls 'l'örLÄu. erst später habe sich anstatt des 'I' das I'it eingestellt. Es sei daher Wohl denkbar, meint Keller, daß durch Mißverständnis vielleicht von sehr ungebildeten Leuten die Namensforin 1or<Z8in ^1'öirs8iii.8) für weiblich gehalten und bei der Taufe einem Mädchen gegeben worden sei, daß sich also der ursprüngliche Mannesname in einen Frauennamen verwandelt habe. Alles dus ist richtig oder möglich. Trotzdem ist die Folgerung, die Keller daraus zieht, irrig. ^öire-8in.8 ist überhaupt kein Mannesname. Der Name gehört in der ganzen alten Welt nur dem sagenhaften thebischen Seher an. Er ist niemals zu einem Mannesnamen geworden, weder Inschriften noch Schriftsteller kennen einen Mann namens 'l6irs8M3. Und der Name Therese Wucht keineswegs unter ungebildeten Leuten auf, deuen mau ein Mißverständnis vielleicht zutrauen könnte, sondern er tritt uns zum erstenmal in dem könig¬ lichen Geschlecht von Leon entgegen, im nennten nachchristlichen Jahrhundert. Ist es denkbar, daß eine christliche Prinzessin nach dem Namen des alten heidnischen Sehers getauft worden wäre? Um einen Namen zu deuten, muß man zunächst seine früheste Form fest¬ stellen. Für Therese ist sie nicht L^remis,, sondern lirmÄa,. Keller kennt zwar diese Form, meint aber, es sei wohl nicht die Urform. Sie ist es aber ganz entschieden. Die ältern spanischen Chronisten haben den Namen Therese fast

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/451>, abgerufen am 23.07.2024.