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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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einen unheimlichen Eindruck aus; ich dachte mit Grauen daran und sah zu
dem Redner, der mit dem Schreckworte tändelte, mit einer gewissen Scheu
empor. Meine Gedanken weilten nicht mehr im Saale, sie flatterten wieder
ängstlich aus einem dunkeln Gebiete der Wissenschaft ins andere, mich überfiel
der bekannte llorror vacui, ich wurde unruhig. Herr des Himmels, was hatte
ich uoch alles zu arbeiten! Und nun saß ich hier inmitten einer lärmenden
Gesellschaft, die, zum Teil aus bloßer Freude am Skandal, sich nicht über die
Wahl des Komitees einigen konnte. Mit solchen närrischen Dingen verbrachte
ich meine kostbare Zeit? Am liebsten hätte ich mich aus der Versammlung
hinausgestohlen; aber ich war wie eingekeilt und konnte mich kaum rühren.

Plötzlich hörte ich aus einer Ecke meinen Namen rufen; ich erkannte Melch-
thals Bärenstimme. Vorstellen! brüllten dreißig oder vierzig. Man stieß mich
an und hob mich. Ich stand mit einemmale auf dem Tisch und schrie mit
der ganzen Kraft meiner Lungen: Mein Name ist Brander! -- Bravo! brüllten
verschiedne. Ich versuchte fortzufahren: Aber ich bitte zu berücksichtigen. --
Wer ist für Brander? rief der Präses. Eine Menge Arme reckten sich in die
Höhe. Brander ist gewählt! Nimmt der Kommilito die Wahl an?

Ich versuchte wieder eine längere Periode zu bauen. -- Ich bitte kurz:
Ja oder Nein? Ja! brüllte eine Stimme hinter mir. Also angenommen!
Damit, Kommilitonen, ist das Komitee gewählt, dem die Aufgabe zufallen
wird, die weitern Verhandlungen zu leiten. Ich löse hiermit die Versamm¬
lung aus.

Alles sprang auf und stürzte krampfhaft zu den Überziehern, denn der
Marder fing damals an, sein Unwesen zu treiben. Mir war zu Mute, als
hätte ich einen wüsten Traum gehabt. Aber nein, da stand mein Name uoch
an der Tasel, und ich sah verschiedne Mime" aus mich zukommen, die mir mit
großer Erregung alle möglichen Vorschläge machten und alle möglichen Ver¬
sprechungen abnehmen wollten.

Thun Sie mir den Gefallen, sagte einer, und stimmen Sie für das Stück
des Prinzen Georg!

Seien Sie selbständig, flüsterte ein andrer mir im Vorbeigehen zu, und
stimmen Sie nicht für Wildenbruch, wir fallen glänzend rein!

Wer ist Wildenbruch, wer keunt Wildenbruch? Sie werden sich natürlich
für ein Shakespearisches Drama entscheiden.

Na, Sie sind ein verständiger Mensch, nehmen Sie Demetrius. Wissen
Sie, wir müssen Rollen haben, viele Rollen, große Rollen! Ich sage Ihnen,
wir müssen Massen entwickeln, mit Massen wirken.

Mir war vorläufig alles gleichgiltig. Ich sagte zu jedem mit ernsthaftem
Gesicht: Sie haben ganz Recht!

Das Komitee blieb zurück. Es waren interessante Leute darunter, ans
alleu Fakultäten, Leute, denen man ansah, daß sie keine einseitigen Stangen-


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einen unheimlichen Eindruck aus; ich dachte mit Grauen daran und sah zu
dem Redner, der mit dem Schreckworte tändelte, mit einer gewissen Scheu
empor. Meine Gedanken weilten nicht mehr im Saale, sie flatterten wieder
ängstlich aus einem dunkeln Gebiete der Wissenschaft ins andere, mich überfiel
der bekannte llorror vacui, ich wurde unruhig. Herr des Himmels, was hatte
ich uoch alles zu arbeiten! Und nun saß ich hier inmitten einer lärmenden
Gesellschaft, die, zum Teil aus bloßer Freude am Skandal, sich nicht über die
Wahl des Komitees einigen konnte. Mit solchen närrischen Dingen verbrachte
ich meine kostbare Zeit? Am liebsten hätte ich mich aus der Versammlung
hinausgestohlen; aber ich war wie eingekeilt und konnte mich kaum rühren.

Plötzlich hörte ich aus einer Ecke meinen Namen rufen; ich erkannte Melch-
thals Bärenstimme. Vorstellen! brüllten dreißig oder vierzig. Man stieß mich
an und hob mich. Ich stand mit einemmale auf dem Tisch und schrie mit
der ganzen Kraft meiner Lungen: Mein Name ist Brander! — Bravo! brüllten
verschiedne. Ich versuchte fortzufahren: Aber ich bitte zu berücksichtigen. —
Wer ist für Brander? rief der Präses. Eine Menge Arme reckten sich in die
Höhe. Brander ist gewählt! Nimmt der Kommilito die Wahl an?

Ich versuchte wieder eine längere Periode zu bauen. — Ich bitte kurz:
Ja oder Nein? Ja! brüllte eine Stimme hinter mir. Also angenommen!
Damit, Kommilitonen, ist das Komitee gewählt, dem die Aufgabe zufallen
wird, die weitern Verhandlungen zu leiten. Ich löse hiermit die Versamm¬
lung aus.

Alles sprang auf und stürzte krampfhaft zu den Überziehern, denn der
Marder fing damals an, sein Unwesen zu treiben. Mir war zu Mute, als
hätte ich einen wüsten Traum gehabt. Aber nein, da stand mein Name uoch
an der Tasel, und ich sah verschiedne Mime» aus mich zukommen, die mir mit
großer Erregung alle möglichen Vorschläge machten und alle möglichen Ver¬
sprechungen abnehmen wollten.

Thun Sie mir den Gefallen, sagte einer, und stimmen Sie für das Stück
des Prinzen Georg!

Seien Sie selbständig, flüsterte ein andrer mir im Vorbeigehen zu, und
stimmen Sie nicht für Wildenbruch, wir fallen glänzend rein!

Wer ist Wildenbruch, wer keunt Wildenbruch? Sie werden sich natürlich
für ein Shakespearisches Drama entscheiden.

Na, Sie sind ein verständiger Mensch, nehmen Sie Demetrius. Wissen
Sie, wir müssen Rollen haben, viele Rollen, große Rollen! Ich sage Ihnen,
wir müssen Massen entwickeln, mit Massen wirken.

Mir war vorläufig alles gleichgiltig. Ich sagte zu jedem mit ernsthaftem
Gesicht: Sie haben ganz Recht!

Das Komitee blieb zurück. Es waren interessante Leute darunter, ans
alleu Fakultäten, Leute, denen man ansah, daß sie keine einseitigen Stangen-


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[0042] Bilder ans dein Uuiversitcitslolien einen unheimlichen Eindruck aus; ich dachte mit Grauen daran und sah zu dem Redner, der mit dem Schreckworte tändelte, mit einer gewissen Scheu empor. Meine Gedanken weilten nicht mehr im Saale, sie flatterten wieder ängstlich aus einem dunkeln Gebiete der Wissenschaft ins andere, mich überfiel der bekannte llorror vacui, ich wurde unruhig. Herr des Himmels, was hatte ich uoch alles zu arbeiten! Und nun saß ich hier inmitten einer lärmenden Gesellschaft, die, zum Teil aus bloßer Freude am Skandal, sich nicht über die Wahl des Komitees einigen konnte. Mit solchen närrischen Dingen verbrachte ich meine kostbare Zeit? Am liebsten hätte ich mich aus der Versammlung hinausgestohlen; aber ich war wie eingekeilt und konnte mich kaum rühren. Plötzlich hörte ich aus einer Ecke meinen Namen rufen; ich erkannte Melch- thals Bärenstimme. Vorstellen! brüllten dreißig oder vierzig. Man stieß mich an und hob mich. Ich stand mit einemmale auf dem Tisch und schrie mit der ganzen Kraft meiner Lungen: Mein Name ist Brander! — Bravo! brüllten verschiedne. Ich versuchte fortzufahren: Aber ich bitte zu berücksichtigen. — Wer ist für Brander? rief der Präses. Eine Menge Arme reckten sich in die Höhe. Brander ist gewählt! Nimmt der Kommilito die Wahl an? Ich versuchte wieder eine längere Periode zu bauen. — Ich bitte kurz: Ja oder Nein? Ja! brüllte eine Stimme hinter mir. Also angenommen! Damit, Kommilitonen, ist das Komitee gewählt, dem die Aufgabe zufallen wird, die weitern Verhandlungen zu leiten. Ich löse hiermit die Versamm¬ lung aus. Alles sprang auf und stürzte krampfhaft zu den Überziehern, denn der Marder fing damals an, sein Unwesen zu treiben. Mir war zu Mute, als hätte ich einen wüsten Traum gehabt. Aber nein, da stand mein Name uoch an der Tasel, und ich sah verschiedne Mime» aus mich zukommen, die mir mit großer Erregung alle möglichen Vorschläge machten und alle möglichen Ver¬ sprechungen abnehmen wollten. Thun Sie mir den Gefallen, sagte einer, und stimmen Sie für das Stück des Prinzen Georg! Seien Sie selbständig, flüsterte ein andrer mir im Vorbeigehen zu, und stimmen Sie nicht für Wildenbruch, wir fallen glänzend rein! Wer ist Wildenbruch, wer keunt Wildenbruch? Sie werden sich natürlich für ein Shakespearisches Drama entscheiden. Na, Sie sind ein verständiger Mensch, nehmen Sie Demetrius. Wissen Sie, wir müssen Rollen haben, viele Rollen, große Rollen! Ich sage Ihnen, wir müssen Massen entwickeln, mit Massen wirken. Mir war vorläufig alles gleichgiltig. Ich sagte zu jedem mit ernsthaftem Gesicht: Sie haben ganz Recht! Das Komitee blieb zurück. Es waren interessante Leute darunter, ans alleu Fakultäten, Leute, denen man ansah, daß sie keine einseitigen Stangen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/42>, abgerufen am 23.07.2024.