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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Bilder ans dem Universitätsleben

reiter, keine geistigen Wiederkäuer und Herdenmenschen waren, sondern frische,
fröhliche Gesellen, die ihre eignen Wege gingen und mit voller Begeisterung
am Theater hingen.

Ich wurde bald warm unter ihnen und konnte ans der vorjährigen
Studentenaufführnug des Tell manche Erfahrungen mitteilen, die unsere Ent¬
scheidung über die Wahl eiues Stückes bestimmte". Wir kamen schließlich zu
der Ansicht, daß es ratsamer sei, statt eines großen klassischen Dramas drei ein¬
aktige Stücke zu wählen. Bald war matt darüber einig, Wallensteins Lager
als das eine Stück festzuhalten. Aber woher die beide" andern nehmen?

Es hieß, ein Mitglied des litterarischen Vereins, ein gewisser Wildellbruch,
eilt Referendar, habe einen kleinen "Einakter" geschriebell, der sich vielleicht zur
Aufführung eignen würde. Der Dichter war zwar schon als Epiker aus dem
litterarischen Verein bekannt, aber von seinen dramatischen Arbeiten wußten die
meisten Mitglieder des Komitees uoch gar nichts.

Ein Mitglied fügte hinzu, Wildenbruch habe sich bereit erklärt, das Stück
dein Komitee selbst vorzulesen, es brauche nur ein bestimmter Abend dasür an¬
gesetzt zu werden. Das geschah denn anch. Schon all einem der nächstell
Tage vereinigten wir uns in dem Sonderzimmer eines Lokals unter den Linden.
Außer dem Komitee waren noch der Hofschauspieler Kahle, der Regisseur Fuchs,
der Historiker Höuiger und der Germanist Litzmann anwesend. Alls einem
Nebenraume tönten die Klänge eines Streichquartetts herüber und versetzten
unsre Seelen in weihevolle Stimmung. Wildenbruch las sein Stück "Die Er¬
oberung von Mairan" vor. War es der feurige Vortrag des Dichters oder
die Gewalt der poetischen Sprache und der genialen Bilder, oder der Zauber
der einfachen, aber spannenden Handlung -- wir wurden mit fortgerissen,
lauschten mit wachsendem Beifall bis zum Schluß und waren sosort darüber
einig, daß sich das Stück vortrefflich für eine Studentenanfführnng eigne.

Die Handlung spielt zur Zeit der römischen Heereszüge nach Germanien.
Die Führer Cethegus, Spnrius und Camillus haben sich der den Germanen
heiligen Insel Mairan bemächtigt, wo der Priester Wodemir mit seiner lieb¬
reizenden Tochter Svanhild den Göttern opsert. Zu dieser herrlichen Jungfrau
entbrennen die drei Römer in Liebe. Es wird um ihren Besitz gewürfelt, es
kommt zum Streit, zum Kampf, zum Verrat. Währenddessen haben die Ger¬
manen, geführt von dem Verlobten der Svanhild, die Insel erstürmt, die
Römer werden niedergemacht, und das heilige Eiland wird wieder befreit. M:t
eiuer Prächtige" Dithyrambe auf Deutschlands mächtige Zukunft schließt das Stück.

Wir "lachten dem Dichter den Vorschlag, dem Drama, um den lokalen
Charakter etwas abzuschwächen, einen allgemeinern Titel zu geben, etwa "Svan¬
hild." Da Wildenbruch derselben Ansicht war, so hatten wir unsrerseits nun
nichts mehr gegen die Ausführung des Stückes einzuwenden.

Allein die Techniker fanden ni der Dichtung manches auszusetzen. Kahle


Bilder ans dem Universitätsleben

reiter, keine geistigen Wiederkäuer und Herdenmenschen waren, sondern frische,
fröhliche Gesellen, die ihre eignen Wege gingen und mit voller Begeisterung
am Theater hingen.

Ich wurde bald warm unter ihnen und konnte ans der vorjährigen
Studentenaufführnug des Tell manche Erfahrungen mitteilen, die unsere Ent¬
scheidung über die Wahl eiues Stückes bestimmte«. Wir kamen schließlich zu
der Ansicht, daß es ratsamer sei, statt eines großen klassischen Dramas drei ein¬
aktige Stücke zu wählen. Bald war matt darüber einig, Wallensteins Lager
als das eine Stück festzuhalten. Aber woher die beide» andern nehmen?

Es hieß, ein Mitglied des litterarischen Vereins, ein gewisser Wildellbruch,
eilt Referendar, habe einen kleinen »Einakter" geschriebell, der sich vielleicht zur
Aufführung eignen würde. Der Dichter war zwar schon als Epiker aus dem
litterarischen Verein bekannt, aber von seinen dramatischen Arbeiten wußten die
meisten Mitglieder des Komitees uoch gar nichts.

Ein Mitglied fügte hinzu, Wildenbruch habe sich bereit erklärt, das Stück
dein Komitee selbst vorzulesen, es brauche nur ein bestimmter Abend dasür an¬
gesetzt zu werden. Das geschah denn anch. Schon all einem der nächstell
Tage vereinigten wir uns in dem Sonderzimmer eines Lokals unter den Linden.
Außer dem Komitee waren noch der Hofschauspieler Kahle, der Regisseur Fuchs,
der Historiker Höuiger und der Germanist Litzmann anwesend. Alls einem
Nebenraume tönten die Klänge eines Streichquartetts herüber und versetzten
unsre Seelen in weihevolle Stimmung. Wildenbruch las sein Stück „Die Er¬
oberung von Mairan" vor. War es der feurige Vortrag des Dichters oder
die Gewalt der poetischen Sprache und der genialen Bilder, oder der Zauber
der einfachen, aber spannenden Handlung — wir wurden mit fortgerissen,
lauschten mit wachsendem Beifall bis zum Schluß und waren sosort darüber
einig, daß sich das Stück vortrefflich für eine Studentenanfführnng eigne.

Die Handlung spielt zur Zeit der römischen Heereszüge nach Germanien.
Die Führer Cethegus, Spnrius und Camillus haben sich der den Germanen
heiligen Insel Mairan bemächtigt, wo der Priester Wodemir mit seiner lieb¬
reizenden Tochter Svanhild den Göttern opsert. Zu dieser herrlichen Jungfrau
entbrennen die drei Römer in Liebe. Es wird um ihren Besitz gewürfelt, es
kommt zum Streit, zum Kampf, zum Verrat. Währenddessen haben die Ger¬
manen, geführt von dem Verlobten der Svanhild, die Insel erstürmt, die
Römer werden niedergemacht, und das heilige Eiland wird wieder befreit. M:t
eiuer Prächtige» Dithyrambe auf Deutschlands mächtige Zukunft schließt das Stück.

Wir „lachten dem Dichter den Vorschlag, dem Drama, um den lokalen
Charakter etwas abzuschwächen, einen allgemeinern Titel zu geben, etwa „Svan¬
hild." Da Wildenbruch derselben Ansicht war, so hatten wir unsrerseits nun
nichts mehr gegen die Ausführung des Stückes einzuwenden.

Allein die Techniker fanden ni der Dichtung manches auszusetzen. Kahle


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[0043] Bilder ans dem Universitätsleben reiter, keine geistigen Wiederkäuer und Herdenmenschen waren, sondern frische, fröhliche Gesellen, die ihre eignen Wege gingen und mit voller Begeisterung am Theater hingen. Ich wurde bald warm unter ihnen und konnte ans der vorjährigen Studentenaufführnug des Tell manche Erfahrungen mitteilen, die unsere Ent¬ scheidung über die Wahl eiues Stückes bestimmte«. Wir kamen schließlich zu der Ansicht, daß es ratsamer sei, statt eines großen klassischen Dramas drei ein¬ aktige Stücke zu wählen. Bald war matt darüber einig, Wallensteins Lager als das eine Stück festzuhalten. Aber woher die beide» andern nehmen? Es hieß, ein Mitglied des litterarischen Vereins, ein gewisser Wildellbruch, eilt Referendar, habe einen kleinen »Einakter" geschriebell, der sich vielleicht zur Aufführung eignen würde. Der Dichter war zwar schon als Epiker aus dem litterarischen Verein bekannt, aber von seinen dramatischen Arbeiten wußten die meisten Mitglieder des Komitees uoch gar nichts. Ein Mitglied fügte hinzu, Wildenbruch habe sich bereit erklärt, das Stück dein Komitee selbst vorzulesen, es brauche nur ein bestimmter Abend dasür an¬ gesetzt zu werden. Das geschah denn anch. Schon all einem der nächstell Tage vereinigten wir uns in dem Sonderzimmer eines Lokals unter den Linden. Außer dem Komitee waren noch der Hofschauspieler Kahle, der Regisseur Fuchs, der Historiker Höuiger und der Germanist Litzmann anwesend. Alls einem Nebenraume tönten die Klänge eines Streichquartetts herüber und versetzten unsre Seelen in weihevolle Stimmung. Wildenbruch las sein Stück „Die Er¬ oberung von Mairan" vor. War es der feurige Vortrag des Dichters oder die Gewalt der poetischen Sprache und der genialen Bilder, oder der Zauber der einfachen, aber spannenden Handlung — wir wurden mit fortgerissen, lauschten mit wachsendem Beifall bis zum Schluß und waren sosort darüber einig, daß sich das Stück vortrefflich für eine Studentenanfführnng eigne. Die Handlung spielt zur Zeit der römischen Heereszüge nach Germanien. Die Führer Cethegus, Spnrius und Camillus haben sich der den Germanen heiligen Insel Mairan bemächtigt, wo der Priester Wodemir mit seiner lieb¬ reizenden Tochter Svanhild den Göttern opsert. Zu dieser herrlichen Jungfrau entbrennen die drei Römer in Liebe. Es wird um ihren Besitz gewürfelt, es kommt zum Streit, zum Kampf, zum Verrat. Währenddessen haben die Ger¬ manen, geführt von dem Verlobten der Svanhild, die Insel erstürmt, die Römer werden niedergemacht, und das heilige Eiland wird wieder befreit. M:t eiuer Prächtige» Dithyrambe auf Deutschlands mächtige Zukunft schließt das Stück. Wir „lachten dem Dichter den Vorschlag, dem Drama, um den lokalen Charakter etwas abzuschwächen, einen allgemeinern Titel zu geben, etwa „Svan¬ hild." Da Wildenbruch derselben Ansicht war, so hatten wir unsrerseits nun nichts mehr gegen die Ausführung des Stückes einzuwenden. Allein die Techniker fanden ni der Dichtung manches auszusetzen. Kahle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/43>, abgerufen am 23.07.2024.