Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Albrecht Vürer

Allerheiligenfest ist in der katholischen Kirche, wie Springer natürlich wußte,
uralt. Allerheiligenaltäre sind besonders während des fünfzehnten Jahrhunderts
in Deutschland in großer Zahl gestiftet und mit Altarbildern verziert worden.
Und sollte selbst die Zusammenstellung der heiligen Dreieinigkeit mit der Ver¬
sammlung aller Heiligen sonst in der vordürerischen Kunst nicht nachweisbar
sein -- was ich ini Augenblick nicht entscheiden kann --, so würde doch darin
noch keine Abweichung von der katholischen Lehre liegen. Denn Dürer wollte
damit doch im wesentlichen nichts andres sagen, als was z. B. die Brüder
van Eyck sagen wollten, als sie ums Jahr 1439 auf ihrem berühmten Genter
Altarbilde das Lamm von allen Heiligen verehrt darstellten.

Nein, man darf den lutherischen Charakter von Dürers Kunst nicht von
den vier Aposteln, für die er ja sicher gilt, auf die vorlutherische Zeit über¬
trage!?. Wir haben nicht den mindesten Grund, sein Verhältnis zur Heiligen¬
verehrung in dieser ersten Periode seines Lebens anders zu beurteilen als
z. B. das seines Gönners, Friedrichs des Weisen, dessen Reliquienverehrung ja
unmittelbar an der Schwelle der Reformation den Höhepunkt eines katholischen
Mißbrauchs darstellt, gegen den erst Luther zu Felde zog. Ja wir können
noch weiter gehen. Es war ohne Zweifel el" Glück für Dürer als Künstler,
daß er in der Zeit seiner künstlerischen Entwicklung den christlichen Olymp
noch bevölkert fand von jenen charaktervoller Gestalten der mittelalterlichen
Mythologie, an deren Ausprägung die Kunst Jahrhunderte lang gearbeitet
hatte und denen er nun -- für die deutsche Kunst wenigstens -- die letzte
künstlerische Weihe zu geben berufen war. Dürers große historische Bedeutung
beruht eben auch hier darin, daß er mit dem einen Fuße in der alten, mit dem
andern in der neuen Zeit steht, daß er den Übergang von der mittelalterlichen
zur modernen Anschauung selber an seiner Person, als wirkender, schaffender,
sich entwickelnder Mensch vollzogen hat.

Endlich Dürers theoretische Forschungen. Über ihre Herkunft habe ich
schon gesprochen. Welches ist ihr Inhalt? Es ist ein Verdienst Springers,
daß er den Theoretiker Dürer mehr, als es Thausing gethan hatte, mit dem
Praktiker in Verbindung setzt, daß er sich bemüht, die Anwendung von Dürers
theoretischen Grundsätzen in seinen Werken aufzusuchen. Ist es ihm gelungen,
das Wesen der Dürerischen Ästhetik klar zu erkennen? Hören wir was er S. 112
darüber sagt: "Gott als das vollkommenste Wesen konnte sich nur vollkommene
Menschen schaffen. Daher besitze" Adam und Eva und die Madonna voll¬
kommene Schönheit, und wer sie malt oder zeichnet, muß sie als Mustermenschen
darstellen. Die Proportivnslehre wurzelt bei ihm in dem religiösen Glauben
an die ursprüngliche Freiheit (?) der menschlichen Natur. Mit Hilfe der
Proportionslehre wird diese wenigstens in der Kunst wieder hergestellt. Dürer
hält an deu mittelalterlichen Überlieferungen so weit fest, daß er ein Sinken
der menschlichen Natur seit der Verjagung aus dem Paradiese annimmt. Neu


Grenzboten 1 13i>^ 5c>
Albrecht Vürer

Allerheiligenfest ist in der katholischen Kirche, wie Springer natürlich wußte,
uralt. Allerheiligenaltäre sind besonders während des fünfzehnten Jahrhunderts
in Deutschland in großer Zahl gestiftet und mit Altarbildern verziert worden.
Und sollte selbst die Zusammenstellung der heiligen Dreieinigkeit mit der Ver¬
sammlung aller Heiligen sonst in der vordürerischen Kunst nicht nachweisbar
sein — was ich ini Augenblick nicht entscheiden kann —, so würde doch darin
noch keine Abweichung von der katholischen Lehre liegen. Denn Dürer wollte
damit doch im wesentlichen nichts andres sagen, als was z. B. die Brüder
van Eyck sagen wollten, als sie ums Jahr 1439 auf ihrem berühmten Genter
Altarbilde das Lamm von allen Heiligen verehrt darstellten.

Nein, man darf den lutherischen Charakter von Dürers Kunst nicht von
den vier Aposteln, für die er ja sicher gilt, auf die vorlutherische Zeit über¬
trage!?. Wir haben nicht den mindesten Grund, sein Verhältnis zur Heiligen¬
verehrung in dieser ersten Periode seines Lebens anders zu beurteilen als
z. B. das seines Gönners, Friedrichs des Weisen, dessen Reliquienverehrung ja
unmittelbar an der Schwelle der Reformation den Höhepunkt eines katholischen
Mißbrauchs darstellt, gegen den erst Luther zu Felde zog. Ja wir können
noch weiter gehen. Es war ohne Zweifel el» Glück für Dürer als Künstler,
daß er in der Zeit seiner künstlerischen Entwicklung den christlichen Olymp
noch bevölkert fand von jenen charaktervoller Gestalten der mittelalterlichen
Mythologie, an deren Ausprägung die Kunst Jahrhunderte lang gearbeitet
hatte und denen er nun — für die deutsche Kunst wenigstens — die letzte
künstlerische Weihe zu geben berufen war. Dürers große historische Bedeutung
beruht eben auch hier darin, daß er mit dem einen Fuße in der alten, mit dem
andern in der neuen Zeit steht, daß er den Übergang von der mittelalterlichen
zur modernen Anschauung selber an seiner Person, als wirkender, schaffender,
sich entwickelnder Mensch vollzogen hat.

Endlich Dürers theoretische Forschungen. Über ihre Herkunft habe ich
schon gesprochen. Welches ist ihr Inhalt? Es ist ein Verdienst Springers,
daß er den Theoretiker Dürer mehr, als es Thausing gethan hatte, mit dem
Praktiker in Verbindung setzt, daß er sich bemüht, die Anwendung von Dürers
theoretischen Grundsätzen in seinen Werken aufzusuchen. Ist es ihm gelungen,
das Wesen der Dürerischen Ästhetik klar zu erkennen? Hören wir was er S. 112
darüber sagt: „Gott als das vollkommenste Wesen konnte sich nur vollkommene
Menschen schaffen. Daher besitze» Adam und Eva und die Madonna voll¬
kommene Schönheit, und wer sie malt oder zeichnet, muß sie als Mustermenschen
darstellen. Die Proportivnslehre wurzelt bei ihm in dem religiösen Glauben
an die ursprüngliche Freiheit (?) der menschlichen Natur. Mit Hilfe der
Proportionslehre wird diese wenigstens in der Kunst wieder hergestellt. Dürer
hält an deu mittelalterlichen Überlieferungen so weit fest, daß er ein Sinken
der menschlichen Natur seit der Verjagung aus dem Paradiese annimmt. Neu


Grenzboten 1 13i>^ 5c>
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0401" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/211569"/>
          <fw type="header" place="top"> Albrecht Vürer</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1199" prev="#ID_1198"> Allerheiligenfest ist in der katholischen Kirche, wie Springer natürlich wußte,<lb/>
uralt. Allerheiligenaltäre sind besonders während des fünfzehnten Jahrhunderts<lb/>
in Deutschland in großer Zahl gestiftet und mit Altarbildern verziert worden.<lb/>
Und sollte selbst die Zusammenstellung der heiligen Dreieinigkeit mit der Ver¬<lb/>
sammlung aller Heiligen sonst in der vordürerischen Kunst nicht nachweisbar<lb/>
sein &#x2014; was ich ini Augenblick nicht entscheiden kann &#x2014;, so würde doch darin<lb/>
noch keine Abweichung von der katholischen Lehre liegen. Denn Dürer wollte<lb/>
damit doch im wesentlichen nichts andres sagen, als was z. B. die Brüder<lb/>
van Eyck sagen wollten, als sie ums Jahr 1439 auf ihrem berühmten Genter<lb/>
Altarbilde das Lamm von allen Heiligen verehrt darstellten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1200"> Nein, man darf den lutherischen Charakter von Dürers Kunst nicht von<lb/>
den vier Aposteln, für die er ja sicher gilt, auf die vorlutherische Zeit über¬<lb/>
trage!?. Wir haben nicht den mindesten Grund, sein Verhältnis zur Heiligen¬<lb/>
verehrung in dieser ersten Periode seines Lebens anders zu beurteilen als<lb/>
z. B. das seines Gönners, Friedrichs des Weisen, dessen Reliquienverehrung ja<lb/>
unmittelbar an der Schwelle der Reformation den Höhepunkt eines katholischen<lb/>
Mißbrauchs darstellt, gegen den erst Luther zu Felde zog. Ja wir können<lb/>
noch weiter gehen. Es war ohne Zweifel el» Glück für Dürer als Künstler,<lb/>
daß er in der Zeit seiner künstlerischen Entwicklung den christlichen Olymp<lb/>
noch bevölkert fand von jenen charaktervoller Gestalten der mittelalterlichen<lb/>
Mythologie, an deren Ausprägung die Kunst Jahrhunderte lang gearbeitet<lb/>
hatte und denen er nun &#x2014; für die deutsche Kunst wenigstens &#x2014; die letzte<lb/>
künstlerische Weihe zu geben berufen war. Dürers große historische Bedeutung<lb/>
beruht eben auch hier darin, daß er mit dem einen Fuße in der alten, mit dem<lb/>
andern in der neuen Zeit steht, daß er den Übergang von der mittelalterlichen<lb/>
zur modernen Anschauung selber an seiner Person, als wirkender, schaffender,<lb/>
sich entwickelnder Mensch vollzogen hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1201" next="#ID_1202"> Endlich Dürers theoretische Forschungen. Über ihre Herkunft habe ich<lb/>
schon gesprochen. Welches ist ihr Inhalt? Es ist ein Verdienst Springers,<lb/>
daß er den Theoretiker Dürer mehr, als es Thausing gethan hatte, mit dem<lb/>
Praktiker in Verbindung setzt, daß er sich bemüht, die Anwendung von Dürers<lb/>
theoretischen Grundsätzen in seinen Werken aufzusuchen. Ist es ihm gelungen,<lb/>
das Wesen der Dürerischen Ästhetik klar zu erkennen? Hören wir was er S. 112<lb/>
darüber sagt: &#x201E;Gott als das vollkommenste Wesen konnte sich nur vollkommene<lb/>
Menschen schaffen. Daher besitze» Adam und Eva und die Madonna voll¬<lb/>
kommene Schönheit, und wer sie malt oder zeichnet, muß sie als Mustermenschen<lb/>
darstellen. Die Proportivnslehre wurzelt bei ihm in dem religiösen Glauben<lb/>
an die ursprüngliche Freiheit (?) der menschlichen Natur. Mit Hilfe der<lb/>
Proportionslehre wird diese wenigstens in der Kunst wieder hergestellt. Dürer<lb/>
hält an deu mittelalterlichen Überlieferungen so weit fest, daß er ein Sinken<lb/>
der menschlichen Natur seit der Verjagung aus dem Paradiese annimmt. Neu</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 1 13i&gt;^ 5c&gt;</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0401] Albrecht Vürer Allerheiligenfest ist in der katholischen Kirche, wie Springer natürlich wußte, uralt. Allerheiligenaltäre sind besonders während des fünfzehnten Jahrhunderts in Deutschland in großer Zahl gestiftet und mit Altarbildern verziert worden. Und sollte selbst die Zusammenstellung der heiligen Dreieinigkeit mit der Ver¬ sammlung aller Heiligen sonst in der vordürerischen Kunst nicht nachweisbar sein — was ich ini Augenblick nicht entscheiden kann —, so würde doch darin noch keine Abweichung von der katholischen Lehre liegen. Denn Dürer wollte damit doch im wesentlichen nichts andres sagen, als was z. B. die Brüder van Eyck sagen wollten, als sie ums Jahr 1439 auf ihrem berühmten Genter Altarbilde das Lamm von allen Heiligen verehrt darstellten. Nein, man darf den lutherischen Charakter von Dürers Kunst nicht von den vier Aposteln, für die er ja sicher gilt, auf die vorlutherische Zeit über¬ trage!?. Wir haben nicht den mindesten Grund, sein Verhältnis zur Heiligen¬ verehrung in dieser ersten Periode seines Lebens anders zu beurteilen als z. B. das seines Gönners, Friedrichs des Weisen, dessen Reliquienverehrung ja unmittelbar an der Schwelle der Reformation den Höhepunkt eines katholischen Mißbrauchs darstellt, gegen den erst Luther zu Felde zog. Ja wir können noch weiter gehen. Es war ohne Zweifel el» Glück für Dürer als Künstler, daß er in der Zeit seiner künstlerischen Entwicklung den christlichen Olymp noch bevölkert fand von jenen charaktervoller Gestalten der mittelalterlichen Mythologie, an deren Ausprägung die Kunst Jahrhunderte lang gearbeitet hatte und denen er nun — für die deutsche Kunst wenigstens — die letzte künstlerische Weihe zu geben berufen war. Dürers große historische Bedeutung beruht eben auch hier darin, daß er mit dem einen Fuße in der alten, mit dem andern in der neuen Zeit steht, daß er den Übergang von der mittelalterlichen zur modernen Anschauung selber an seiner Person, als wirkender, schaffender, sich entwickelnder Mensch vollzogen hat. Endlich Dürers theoretische Forschungen. Über ihre Herkunft habe ich schon gesprochen. Welches ist ihr Inhalt? Es ist ein Verdienst Springers, daß er den Theoretiker Dürer mehr, als es Thausing gethan hatte, mit dem Praktiker in Verbindung setzt, daß er sich bemüht, die Anwendung von Dürers theoretischen Grundsätzen in seinen Werken aufzusuchen. Ist es ihm gelungen, das Wesen der Dürerischen Ästhetik klar zu erkennen? Hören wir was er S. 112 darüber sagt: „Gott als das vollkommenste Wesen konnte sich nur vollkommene Menschen schaffen. Daher besitze» Adam und Eva und die Madonna voll¬ kommene Schönheit, und wer sie malt oder zeichnet, muß sie als Mustermenschen darstellen. Die Proportivnslehre wurzelt bei ihm in dem religiösen Glauben an die ursprüngliche Freiheit (?) der menschlichen Natur. Mit Hilfe der Proportionslehre wird diese wenigstens in der Kunst wieder hergestellt. Dürer hält an deu mittelalterlichen Überlieferungen so weit fest, daß er ein Sinken der menschlichen Natur seit der Verjagung aus dem Paradiese annimmt. Neu Grenzboten 1 13i>^ 5c>

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/401
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/401>, abgerufen am 23.07.2024.