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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Albrecht Dürer

der Hirsch mit dem Kruzifix im Geweih begegnet, den heiligen Gregorius,
dem bei der Messe auf dem Altar der todte Christus mit den Leidenswerk¬
zeugen erscheint, den heiligen Franziskus, der die Wundenmale empfängt, das
Martyrium der heiligen Katharina. Zweimal hat er die gräßliche Ermordung
der zehntausend Märtyrer, nicht weniger als fünfmal den heiligen Christo-
phorus mit dem Christkinde dargestellt. Durchaus katholisch sind die beiden
Apostelfürsten Petrus und Paulus gedacht, die das Schweißtuch der Veronika
halten, durchaus katholisch der Büßer, der vor dem Altare kniet und sich den
Rücken mit der Geißel schlägt. Was sind alle diese Blätter anders als ein
künstlerischer Ausdruck jener mystischen Frömmigkeit, jener gesteigerten Heiligen-
Verehrung . wie sie gerade kurz vor der Reformation alle Kreise des teuschen
Volkes ergriffen hatte? Und was ist das Nvsenkranzfest, das Dürer in Venedig
malte, anders als eine Verherrlichung jener organisatorischen Ausnutzung der
Vorteile des Mariengebetes, wie sie der Dominikanerorden nicht lange zuvor
durch die Stiftung der Rosenkranzbrüderschaften eingeführt und mit der Ver¬
ehrung der Maria verknüpft hatte? Was will Dürer mit der Gegenüberstellung
von Papst und Kaiser auf diesem Bilde anders sagen, als daß er wie die
besten seiner Nation, Braut, Wimpheling u. f. w., an der mittelalterlichen
Idee des doppelten Schwertes festhält, auf dem Boden der mittelalterlichen
Weltordnung steht?

Darum kann ich auch nicht sür richtig halten, was Springer über das
Allerhciligenbild in Wien sagt, das ebenfalls noch vor der Reformation, in
den Jahren 1508 bis 1511 entstanden ist. Schon früher hatte er gemeint,
Dürer habe die heilige Dreieinigkeit oder, wie er sich ausdrückt, den "Erlösungstod
Christi ganz im Sinne der geklärten Anschauungen seiner Zeitgenossen" in
den Mittelpunkt der Darstellung gesetzt, und jetzt führt er diesen Gedanken
folgendermaßen weiter aus: "Woher hat Dürer den Inhalt des Allerheiligen¬
bildes geholt? Kein einzelner Schrifttext, keine biblische Erzählung, keine Legende
liegt zu Grunde. Aus der Tiefe des religiösen Geistes schwingt er sich zu
einer künstlerischen Vision empor. Er schaut die Heiligung des ganzen Menschen¬
geschlechtes durch den Versöhnungstod Christi, er nimmt dem jüngsten Gericht
seine Schrecken und läßt durch die Liebe Christi einen neuen Bund zwischen
Gottheit und Menschheit erstehen. Man geht wohl nicht irre, wenn man
Dürer das volle Verdienst für diese Gedankenschöpfung zuweist. Dann bedeutet
aber das Allerheiligenbild einen Markstein in seiner religiösen und künstlerischen
Entwicklung."

Wenn Springer hiermit andeuten wollte, daß diese Auffassung nicht mehr
die mittelalterlich-katholische sei, so kann ich ihm darin nicht beistimmen. Der
Erlösertod Christi bildet nicht nur den Mittelpunkt der protestantischen, sondern
auch der katholischen Lehre. Die Darstellung der heiligen Dreieinigkeit mit
dem gekreuzigten Christus ist nicht erst von Dürer erfunden worden. Das


Albrecht Dürer

der Hirsch mit dem Kruzifix im Geweih begegnet, den heiligen Gregorius,
dem bei der Messe auf dem Altar der todte Christus mit den Leidenswerk¬
zeugen erscheint, den heiligen Franziskus, der die Wundenmale empfängt, das
Martyrium der heiligen Katharina. Zweimal hat er die gräßliche Ermordung
der zehntausend Märtyrer, nicht weniger als fünfmal den heiligen Christo-
phorus mit dem Christkinde dargestellt. Durchaus katholisch sind die beiden
Apostelfürsten Petrus und Paulus gedacht, die das Schweißtuch der Veronika
halten, durchaus katholisch der Büßer, der vor dem Altare kniet und sich den
Rücken mit der Geißel schlägt. Was sind alle diese Blätter anders als ein
künstlerischer Ausdruck jener mystischen Frömmigkeit, jener gesteigerten Heiligen-
Verehrung . wie sie gerade kurz vor der Reformation alle Kreise des teuschen
Volkes ergriffen hatte? Und was ist das Nvsenkranzfest, das Dürer in Venedig
malte, anders als eine Verherrlichung jener organisatorischen Ausnutzung der
Vorteile des Mariengebetes, wie sie der Dominikanerorden nicht lange zuvor
durch die Stiftung der Rosenkranzbrüderschaften eingeführt und mit der Ver¬
ehrung der Maria verknüpft hatte? Was will Dürer mit der Gegenüberstellung
von Papst und Kaiser auf diesem Bilde anders sagen, als daß er wie die
besten seiner Nation, Braut, Wimpheling u. f. w., an der mittelalterlichen
Idee des doppelten Schwertes festhält, auf dem Boden der mittelalterlichen
Weltordnung steht?

Darum kann ich auch nicht sür richtig halten, was Springer über das
Allerhciligenbild in Wien sagt, das ebenfalls noch vor der Reformation, in
den Jahren 1508 bis 1511 entstanden ist. Schon früher hatte er gemeint,
Dürer habe die heilige Dreieinigkeit oder, wie er sich ausdrückt, den „Erlösungstod
Christi ganz im Sinne der geklärten Anschauungen seiner Zeitgenossen" in
den Mittelpunkt der Darstellung gesetzt, und jetzt führt er diesen Gedanken
folgendermaßen weiter aus: „Woher hat Dürer den Inhalt des Allerheiligen¬
bildes geholt? Kein einzelner Schrifttext, keine biblische Erzählung, keine Legende
liegt zu Grunde. Aus der Tiefe des religiösen Geistes schwingt er sich zu
einer künstlerischen Vision empor. Er schaut die Heiligung des ganzen Menschen¬
geschlechtes durch den Versöhnungstod Christi, er nimmt dem jüngsten Gericht
seine Schrecken und läßt durch die Liebe Christi einen neuen Bund zwischen
Gottheit und Menschheit erstehen. Man geht wohl nicht irre, wenn man
Dürer das volle Verdienst für diese Gedankenschöpfung zuweist. Dann bedeutet
aber das Allerheiligenbild einen Markstein in seiner religiösen und künstlerischen
Entwicklung."

Wenn Springer hiermit andeuten wollte, daß diese Auffassung nicht mehr
die mittelalterlich-katholische sei, so kann ich ihm darin nicht beistimmen. Der
Erlösertod Christi bildet nicht nur den Mittelpunkt der protestantischen, sondern
auch der katholischen Lehre. Die Darstellung der heiligen Dreieinigkeit mit
dem gekreuzigten Christus ist nicht erst von Dürer erfunden worden. Das


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[0400] Albrecht Dürer der Hirsch mit dem Kruzifix im Geweih begegnet, den heiligen Gregorius, dem bei der Messe auf dem Altar der todte Christus mit den Leidenswerk¬ zeugen erscheint, den heiligen Franziskus, der die Wundenmale empfängt, das Martyrium der heiligen Katharina. Zweimal hat er die gräßliche Ermordung der zehntausend Märtyrer, nicht weniger als fünfmal den heiligen Christo- phorus mit dem Christkinde dargestellt. Durchaus katholisch sind die beiden Apostelfürsten Petrus und Paulus gedacht, die das Schweißtuch der Veronika halten, durchaus katholisch der Büßer, der vor dem Altare kniet und sich den Rücken mit der Geißel schlägt. Was sind alle diese Blätter anders als ein künstlerischer Ausdruck jener mystischen Frömmigkeit, jener gesteigerten Heiligen- Verehrung . wie sie gerade kurz vor der Reformation alle Kreise des teuschen Volkes ergriffen hatte? Und was ist das Nvsenkranzfest, das Dürer in Venedig malte, anders als eine Verherrlichung jener organisatorischen Ausnutzung der Vorteile des Mariengebetes, wie sie der Dominikanerorden nicht lange zuvor durch die Stiftung der Rosenkranzbrüderschaften eingeführt und mit der Ver¬ ehrung der Maria verknüpft hatte? Was will Dürer mit der Gegenüberstellung von Papst und Kaiser auf diesem Bilde anders sagen, als daß er wie die besten seiner Nation, Braut, Wimpheling u. f. w., an der mittelalterlichen Idee des doppelten Schwertes festhält, auf dem Boden der mittelalterlichen Weltordnung steht? Darum kann ich auch nicht sür richtig halten, was Springer über das Allerhciligenbild in Wien sagt, das ebenfalls noch vor der Reformation, in den Jahren 1508 bis 1511 entstanden ist. Schon früher hatte er gemeint, Dürer habe die heilige Dreieinigkeit oder, wie er sich ausdrückt, den „Erlösungstod Christi ganz im Sinne der geklärten Anschauungen seiner Zeitgenossen" in den Mittelpunkt der Darstellung gesetzt, und jetzt führt er diesen Gedanken folgendermaßen weiter aus: „Woher hat Dürer den Inhalt des Allerheiligen¬ bildes geholt? Kein einzelner Schrifttext, keine biblische Erzählung, keine Legende liegt zu Grunde. Aus der Tiefe des religiösen Geistes schwingt er sich zu einer künstlerischen Vision empor. Er schaut die Heiligung des ganzen Menschen¬ geschlechtes durch den Versöhnungstod Christi, er nimmt dem jüngsten Gericht seine Schrecken und läßt durch die Liebe Christi einen neuen Bund zwischen Gottheit und Menschheit erstehen. Man geht wohl nicht irre, wenn man Dürer das volle Verdienst für diese Gedankenschöpfung zuweist. Dann bedeutet aber das Allerheiligenbild einen Markstein in seiner religiösen und künstlerischen Entwicklung." Wenn Springer hiermit andeuten wollte, daß diese Auffassung nicht mehr die mittelalterlich-katholische sei, so kann ich ihm darin nicht beistimmen. Der Erlösertod Christi bildet nicht nur den Mittelpunkt der protestantischen, sondern auch der katholischen Lehre. Die Darstellung der heiligen Dreieinigkeit mit dem gekreuzigten Christus ist nicht erst von Dürer erfunden worden. Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/400>, abgerufen am 23.07.2024.