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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Reformator vor der Reformation. Den Holzschnitten der Apokalypse, die 1498
entstanden sind, hatte er eine entschieden papstfeindliche Deutung untergelegt.
Daß sie später von vielen Lutheranern, vielleicht auch von Dürer selbst, in
reformatorischen Sinne gedeutet worden sind, kann zugegeben werden; daß aber
Dürer bei der Erfindung der Blätter daran nicht gedacht hat, ist schon von
Rade richtig bemerkt worden. Wie Hütte er auch auf seiner Reise nach den
Niederlanden einem Bischof ein Geschenk damit machen können? Der tiefere
Sinn der Folge ergiebt sich vielmehr aus dem allgemeinen Charakter jener
gefahrvollen, unheilschwcmgern Zeit. Das hat auch Springer richtig erkannt,
indem er an die gleichzeitigen Todtentänze und ähnliches erinnerte.

Anders nach dem Auftreten Luthers. Man hätte denken sollen, daß durch
die sorgfältige Abhandlung Zuckers (1886) alle Fragen, die in dieser Beziehung
noch bestanden, ein für allemal entschieden worden wären. Dürers brieflicher
und persönlicher Verkehr mit den Reformatoren (der Springer geradezu ver¬
anlaßt, die letzte Periode Dürers als die melanchthvnische zu bezeichnen),
seine berühmte Klage über Luthers Gefangennehmung im niederländischen
Tagebuch, die Unterschrift seiner vier Apostel (die Springer richtig auf die
Praktika des Kettenbach zurückführt), die brieflichen Äußerungen der Reformatoren
bei seinem Tode, das alles sind so unzweideutige Beweise, daß nnr eine ten¬
denziöse Geschichtschreibung schlimmster Sorte behaupten kann, Dürer sei bis
an seinen Tod ein guter Katholik geblieben oder wenigstens gegen sein Lebens¬
ende wieder (mit Pirkheimer) in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche
zurückgekehrt. Hier können wir Springer nur Recht geben, wenn er den streng
protestantischen Standpunkt vertritt.

Um so mehr hätte er aber betonen müssen, daß was von dem Menschen
Dürer gilt, nicht in gleicher Weise auf den Künstler seine Anwendung findet.
Es genügt nicht, darauf hinzuweisen, daß Dürer fern war von jeder extremen
Parteinahme für die neue Lehre, daß er besonders die Ausschreitungen der Re¬
formation (ebenso wie Luther selber) mißbilligte, daß er als Künstler ein In¬
teresse hatte, zu laviren. Es muß vielmehr betont werden, daß weitaus die
meisten seiner kirchlichen Werke vor dem Auftreten Luthers entstanden sind und
durchaus auf katholischer Grundlage ruhen. Wenn Springer früher (Bilder
aus der neuern Kunstgeschichte II, 123) gesagt hatte: "Als Künstler stand er
zu den Anschauungen des Mittelalters in klaren: Gegensatze," so mochte das
von der formalen Seite der Kunst bis zu einem gewissen Grade gelten. Wenn
er aber jetzt sagt: "Ebenso fremd blieben ihm die mittelalterliche Heiligen¬
legenden. Wenn er Heilige darzustellen hat, so begnügt er sich in der Regel
mit der Wiedergabe ihrer Figuren," so findet dieser Satz in den Thatsachen
keine Stütze. Zahlreiche Holzschnitte und Kupferstiche Dürers und viele seiner
Bilder sind dem katholischen Marien- oder Heiligenkultus gewidmet. In streng
katholischer Gläubigkeit schildert er den heiligen Eustachius, dem auf der Jagd


Reformator vor der Reformation. Den Holzschnitten der Apokalypse, die 1498
entstanden sind, hatte er eine entschieden papstfeindliche Deutung untergelegt.
Daß sie später von vielen Lutheranern, vielleicht auch von Dürer selbst, in
reformatorischen Sinne gedeutet worden sind, kann zugegeben werden; daß aber
Dürer bei der Erfindung der Blätter daran nicht gedacht hat, ist schon von
Rade richtig bemerkt worden. Wie Hütte er auch auf seiner Reise nach den
Niederlanden einem Bischof ein Geschenk damit machen können? Der tiefere
Sinn der Folge ergiebt sich vielmehr aus dem allgemeinen Charakter jener
gefahrvollen, unheilschwcmgern Zeit. Das hat auch Springer richtig erkannt,
indem er an die gleichzeitigen Todtentänze und ähnliches erinnerte.

Anders nach dem Auftreten Luthers. Man hätte denken sollen, daß durch
die sorgfältige Abhandlung Zuckers (1886) alle Fragen, die in dieser Beziehung
noch bestanden, ein für allemal entschieden worden wären. Dürers brieflicher
und persönlicher Verkehr mit den Reformatoren (der Springer geradezu ver¬
anlaßt, die letzte Periode Dürers als die melanchthvnische zu bezeichnen),
seine berühmte Klage über Luthers Gefangennehmung im niederländischen
Tagebuch, die Unterschrift seiner vier Apostel (die Springer richtig auf die
Praktika des Kettenbach zurückführt), die brieflichen Äußerungen der Reformatoren
bei seinem Tode, das alles sind so unzweideutige Beweise, daß nnr eine ten¬
denziöse Geschichtschreibung schlimmster Sorte behaupten kann, Dürer sei bis
an seinen Tod ein guter Katholik geblieben oder wenigstens gegen sein Lebens¬
ende wieder (mit Pirkheimer) in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche
zurückgekehrt. Hier können wir Springer nur Recht geben, wenn er den streng
protestantischen Standpunkt vertritt.

Um so mehr hätte er aber betonen müssen, daß was von dem Menschen
Dürer gilt, nicht in gleicher Weise auf den Künstler seine Anwendung findet.
Es genügt nicht, darauf hinzuweisen, daß Dürer fern war von jeder extremen
Parteinahme für die neue Lehre, daß er besonders die Ausschreitungen der Re¬
formation (ebenso wie Luther selber) mißbilligte, daß er als Künstler ein In¬
teresse hatte, zu laviren. Es muß vielmehr betont werden, daß weitaus die
meisten seiner kirchlichen Werke vor dem Auftreten Luthers entstanden sind und
durchaus auf katholischer Grundlage ruhen. Wenn Springer früher (Bilder
aus der neuern Kunstgeschichte II, 123) gesagt hatte: „Als Künstler stand er
zu den Anschauungen des Mittelalters in klaren: Gegensatze," so mochte das
von der formalen Seite der Kunst bis zu einem gewissen Grade gelten. Wenn
er aber jetzt sagt: „Ebenso fremd blieben ihm die mittelalterliche Heiligen¬
legenden. Wenn er Heilige darzustellen hat, so begnügt er sich in der Regel
mit der Wiedergabe ihrer Figuren," so findet dieser Satz in den Thatsachen
keine Stütze. Zahlreiche Holzschnitte und Kupferstiche Dürers und viele seiner
Bilder sind dem katholischen Marien- oder Heiligenkultus gewidmet. In streng
katholischer Gläubigkeit schildert er den heiligen Eustachius, dem auf der Jagd


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[0399] Reformator vor der Reformation. Den Holzschnitten der Apokalypse, die 1498 entstanden sind, hatte er eine entschieden papstfeindliche Deutung untergelegt. Daß sie später von vielen Lutheranern, vielleicht auch von Dürer selbst, in reformatorischen Sinne gedeutet worden sind, kann zugegeben werden; daß aber Dürer bei der Erfindung der Blätter daran nicht gedacht hat, ist schon von Rade richtig bemerkt worden. Wie Hütte er auch auf seiner Reise nach den Niederlanden einem Bischof ein Geschenk damit machen können? Der tiefere Sinn der Folge ergiebt sich vielmehr aus dem allgemeinen Charakter jener gefahrvollen, unheilschwcmgern Zeit. Das hat auch Springer richtig erkannt, indem er an die gleichzeitigen Todtentänze und ähnliches erinnerte. Anders nach dem Auftreten Luthers. Man hätte denken sollen, daß durch die sorgfältige Abhandlung Zuckers (1886) alle Fragen, die in dieser Beziehung noch bestanden, ein für allemal entschieden worden wären. Dürers brieflicher und persönlicher Verkehr mit den Reformatoren (der Springer geradezu ver¬ anlaßt, die letzte Periode Dürers als die melanchthvnische zu bezeichnen), seine berühmte Klage über Luthers Gefangennehmung im niederländischen Tagebuch, die Unterschrift seiner vier Apostel (die Springer richtig auf die Praktika des Kettenbach zurückführt), die brieflichen Äußerungen der Reformatoren bei seinem Tode, das alles sind so unzweideutige Beweise, daß nnr eine ten¬ denziöse Geschichtschreibung schlimmster Sorte behaupten kann, Dürer sei bis an seinen Tod ein guter Katholik geblieben oder wenigstens gegen sein Lebens¬ ende wieder (mit Pirkheimer) in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche zurückgekehrt. Hier können wir Springer nur Recht geben, wenn er den streng protestantischen Standpunkt vertritt. Um so mehr hätte er aber betonen müssen, daß was von dem Menschen Dürer gilt, nicht in gleicher Weise auf den Künstler seine Anwendung findet. Es genügt nicht, darauf hinzuweisen, daß Dürer fern war von jeder extremen Parteinahme für die neue Lehre, daß er besonders die Ausschreitungen der Re¬ formation (ebenso wie Luther selber) mißbilligte, daß er als Künstler ein In¬ teresse hatte, zu laviren. Es muß vielmehr betont werden, daß weitaus die meisten seiner kirchlichen Werke vor dem Auftreten Luthers entstanden sind und durchaus auf katholischer Grundlage ruhen. Wenn Springer früher (Bilder aus der neuern Kunstgeschichte II, 123) gesagt hatte: „Als Künstler stand er zu den Anschauungen des Mittelalters in klaren: Gegensatze," so mochte das von der formalen Seite der Kunst bis zu einem gewissen Grade gelten. Wenn er aber jetzt sagt: „Ebenso fremd blieben ihm die mittelalterliche Heiligen¬ legenden. Wenn er Heilige darzustellen hat, so begnügt er sich in der Regel mit der Wiedergabe ihrer Figuren," so findet dieser Satz in den Thatsachen keine Stütze. Zahlreiche Holzschnitte und Kupferstiche Dürers und viele seiner Bilder sind dem katholischen Marien- oder Heiligenkultus gewidmet. In streng katholischer Gläubigkeit schildert er den heiligen Eustachius, dem auf der Jagd

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/399>, abgerufen am 23.07.2024.