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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Albrecht Dürer

das einmal zugiebt, wird man auch fünftens geneigt sein, die deutliche I hinter
dem Worte Uf1<zric;o1lÄ nicht als Ranmfüllnng, sondern als Numerirung zu
betrachten und in ihr eine Bestätigung dafür zu erkennen, daß Dürer wenigstens
vorübergehend die Absicht gehabt habe, eine Folge von vier Kupferstichen in
dieser oder ähnlicher Weise als Allegorien der Komplexionen zu bezeichnen.
Mehr wird man allerdings nicht sagen können. Denn die Allegorie des chole¬
rischen Temperaments fehlt vollständig, und der Phlegmaticus ist durch kein
äußeres Zeichen als solcher charakterisirt. Aber nur aus diesen Gründen die
erwähnte Hypothese fallen zu lassen. scheint mir unstatthaft. Solange es für
wissenschaftlicher gilt, Thatsachen, die nicht geleugnet werden können, durch
Hypothesen M erklären, als ein einfaches Non klauet, auszusprechen, wird
man auch diese Hypothese gelten lassen.

Dazu kommt nun, daß Dürer selbst an mehrern Stellen seiner Schriften
die Wichtigkeit der Komplexionen für Gestalt und Charakter der Menschen an¬
erkennt und unter anderm auch den Künstlern den Rat giebt, "durch das Maß
von außen allerlei Geschlecht der Menschen anzuzeigen, welche feurig, luftig,
wässerig und irdischer Natur sind, denn die Gewalt der Kunst meistert alle
Werk." Deshalb hat auch meiner Meinung nach Zucker (Dürers Stellung
zur Reformation S. 51) vollkommen Recht gehabt, als er die von Nendörffer
herstammende Nachricht, daß man in Dürers vier Aposteln "eigentlich einen
Sanguinicum Cholericum Phlegmaticum und Melancholienm erkennen mag," als
eine gute, auf die Werkstatt Dürers zurückgehende Überlieferung bezeichnete.
Auf jeden Fall lag Dürern und seiner Zeit eine Anspielung auf die vier Tem¬
peramente sehr nahe, und ebenso gut wie man seinen vier Aposteln neben dem
lutherischen Sinn, den sie ja sicher hatten, auch noch diesen als Nebensinn
unterlegen konnte, ebenso sicher ist es, daß Dürer eine geflügelte Frauengestalt,
die eigentlich eine Repräsentantin des mathematisch-technischen Grübelns war,
als Melencolia bezeichnen konnte. Wer Wert auf Schlagwörter legt, könnte
etwa die drei Kupferstiche der Jahre 1513 und 1514 als Darstellungen des
Glaubens, des Wissens und des Könnens bezeichnen. Es sind die drei großen
geistigen Richtungen seiner Zeit, die uns Dürer hier vor Augen stellt, ihre
humanistische Gelehrsamkeit, ihre naturwissenschaftlich technische Grübelei, ihr
unerschütterlicher Glaube. Das Jahrhundert des Erasmus, des Copernicus
^ und Martin Luthers ist in diesen drei Meisterwerken verewigt worden.

Richtiger als seine Vorgänger beurteilt Springer Dürers Verhältnis zur
Reformation. Ju dieser Beziehung hatten sich die Gegensätze unter den mo¬
dernen Forschern in geradezu unhaltbarer Weise zugespitzt. Katholiken sowohl
wie Protestanten beanspruchten den Künstler als den ihrigen, beide mit derselben
Heftigkeit und Entschiedenheit. Thausing (und mit ihm Conway, wenn auch
in geringerem Grade) hatte den extrem protestantischen Standpunkt vertreten.
In seinen Augen war nicht nur Wolgemut, sondern auch Dürer eine Art


Albrecht Dürer

das einmal zugiebt, wird man auch fünftens geneigt sein, die deutliche I hinter
dem Worte Uf1<zric;o1lÄ nicht als Ranmfüllnng, sondern als Numerirung zu
betrachten und in ihr eine Bestätigung dafür zu erkennen, daß Dürer wenigstens
vorübergehend die Absicht gehabt habe, eine Folge von vier Kupferstichen in
dieser oder ähnlicher Weise als Allegorien der Komplexionen zu bezeichnen.
Mehr wird man allerdings nicht sagen können. Denn die Allegorie des chole¬
rischen Temperaments fehlt vollständig, und der Phlegmaticus ist durch kein
äußeres Zeichen als solcher charakterisirt. Aber nur aus diesen Gründen die
erwähnte Hypothese fallen zu lassen. scheint mir unstatthaft. Solange es für
wissenschaftlicher gilt, Thatsachen, die nicht geleugnet werden können, durch
Hypothesen M erklären, als ein einfaches Non klauet, auszusprechen, wird
man auch diese Hypothese gelten lassen.

Dazu kommt nun, daß Dürer selbst an mehrern Stellen seiner Schriften
die Wichtigkeit der Komplexionen für Gestalt und Charakter der Menschen an¬
erkennt und unter anderm auch den Künstlern den Rat giebt, „durch das Maß
von außen allerlei Geschlecht der Menschen anzuzeigen, welche feurig, luftig,
wässerig und irdischer Natur sind, denn die Gewalt der Kunst meistert alle
Werk." Deshalb hat auch meiner Meinung nach Zucker (Dürers Stellung
zur Reformation S. 51) vollkommen Recht gehabt, als er die von Nendörffer
herstammende Nachricht, daß man in Dürers vier Aposteln „eigentlich einen
Sanguinicum Cholericum Phlegmaticum und Melancholienm erkennen mag," als
eine gute, auf die Werkstatt Dürers zurückgehende Überlieferung bezeichnete.
Auf jeden Fall lag Dürern und seiner Zeit eine Anspielung auf die vier Tem¬
peramente sehr nahe, und ebenso gut wie man seinen vier Aposteln neben dem
lutherischen Sinn, den sie ja sicher hatten, auch noch diesen als Nebensinn
unterlegen konnte, ebenso sicher ist es, daß Dürer eine geflügelte Frauengestalt,
die eigentlich eine Repräsentantin des mathematisch-technischen Grübelns war,
als Melencolia bezeichnen konnte. Wer Wert auf Schlagwörter legt, könnte
etwa die drei Kupferstiche der Jahre 1513 und 1514 als Darstellungen des
Glaubens, des Wissens und des Könnens bezeichnen. Es sind die drei großen
geistigen Richtungen seiner Zeit, die uns Dürer hier vor Augen stellt, ihre
humanistische Gelehrsamkeit, ihre naturwissenschaftlich technische Grübelei, ihr
unerschütterlicher Glaube. Das Jahrhundert des Erasmus, des Copernicus
^ und Martin Luthers ist in diesen drei Meisterwerken verewigt worden.

Richtiger als seine Vorgänger beurteilt Springer Dürers Verhältnis zur
Reformation. Ju dieser Beziehung hatten sich die Gegensätze unter den mo¬
dernen Forschern in geradezu unhaltbarer Weise zugespitzt. Katholiken sowohl
wie Protestanten beanspruchten den Künstler als den ihrigen, beide mit derselben
Heftigkeit und Entschiedenheit. Thausing (und mit ihm Conway, wenn auch
in geringerem Grade) hatte den extrem protestantischen Standpunkt vertreten.
In seinen Augen war nicht nur Wolgemut, sondern auch Dürer eine Art


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[0398] Albrecht Dürer das einmal zugiebt, wird man auch fünftens geneigt sein, die deutliche I hinter dem Worte Uf1<zric;o1lÄ nicht als Ranmfüllnng, sondern als Numerirung zu betrachten und in ihr eine Bestätigung dafür zu erkennen, daß Dürer wenigstens vorübergehend die Absicht gehabt habe, eine Folge von vier Kupferstichen in dieser oder ähnlicher Weise als Allegorien der Komplexionen zu bezeichnen. Mehr wird man allerdings nicht sagen können. Denn die Allegorie des chole¬ rischen Temperaments fehlt vollständig, und der Phlegmaticus ist durch kein äußeres Zeichen als solcher charakterisirt. Aber nur aus diesen Gründen die erwähnte Hypothese fallen zu lassen. scheint mir unstatthaft. Solange es für wissenschaftlicher gilt, Thatsachen, die nicht geleugnet werden können, durch Hypothesen M erklären, als ein einfaches Non klauet, auszusprechen, wird man auch diese Hypothese gelten lassen. Dazu kommt nun, daß Dürer selbst an mehrern Stellen seiner Schriften die Wichtigkeit der Komplexionen für Gestalt und Charakter der Menschen an¬ erkennt und unter anderm auch den Künstlern den Rat giebt, „durch das Maß von außen allerlei Geschlecht der Menschen anzuzeigen, welche feurig, luftig, wässerig und irdischer Natur sind, denn die Gewalt der Kunst meistert alle Werk." Deshalb hat auch meiner Meinung nach Zucker (Dürers Stellung zur Reformation S. 51) vollkommen Recht gehabt, als er die von Nendörffer herstammende Nachricht, daß man in Dürers vier Aposteln „eigentlich einen Sanguinicum Cholericum Phlegmaticum und Melancholienm erkennen mag," als eine gute, auf die Werkstatt Dürers zurückgehende Überlieferung bezeichnete. Auf jeden Fall lag Dürern und seiner Zeit eine Anspielung auf die vier Tem¬ peramente sehr nahe, und ebenso gut wie man seinen vier Aposteln neben dem lutherischen Sinn, den sie ja sicher hatten, auch noch diesen als Nebensinn unterlegen konnte, ebenso sicher ist es, daß Dürer eine geflügelte Frauengestalt, die eigentlich eine Repräsentantin des mathematisch-technischen Grübelns war, als Melencolia bezeichnen konnte. Wer Wert auf Schlagwörter legt, könnte etwa die drei Kupferstiche der Jahre 1513 und 1514 als Darstellungen des Glaubens, des Wissens und des Könnens bezeichnen. Es sind die drei großen geistigen Richtungen seiner Zeit, die uns Dürer hier vor Augen stellt, ihre humanistische Gelehrsamkeit, ihre naturwissenschaftlich technische Grübelei, ihr unerschütterlicher Glaube. Das Jahrhundert des Erasmus, des Copernicus ^ und Martin Luthers ist in diesen drei Meisterwerken verewigt worden. Richtiger als seine Vorgänger beurteilt Springer Dürers Verhältnis zur Reformation. Ju dieser Beziehung hatten sich die Gegensätze unter den mo¬ dernen Forschern in geradezu unhaltbarer Weise zugespitzt. Katholiken sowohl wie Protestanten beanspruchten den Künstler als den ihrigen, beide mit derselben Heftigkeit und Entschiedenheit. Thausing (und mit ihm Conway, wenn auch in geringerem Grade) hatte den extrem protestantischen Standpunkt vertreten. In seinen Augen war nicht nur Wolgemut, sondern auch Dürer eine Art

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/398>, abgerufen am 23.07.2024.