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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Joseph Joachim der Bauerndichter

Gemüt der ruhelos wandernden zu vertiefen. Joachim hat sich wohl auch auf
litterarischem Wege mit ihnen bekannt gemacht, denn die Sprache seiner Er¬
zählung ist reichlich durchsetzt mit Ausdrücken nus der Zigeunersprache. Die
einfache Handlung ist geschickt erfunden und dient dazu, das Wandervolk und
die Bauern recht kräftig einander gegenüberzustellen.

Lonuy, die Heimatlose, liebt einen jungen Bauernsohn ans guter Familie.
Die Liebe entfremdet sie ihren Stammesgenossen, ohne sie den Bauern zu
nähern. Die Verbindung zwischen einer Vagantin und einem Bauernsohn
erscheint als die bare Unmöglichkeit, als eine Tollheit. Und dennoch heirate"
sie sich nach allerlei Hindernissen. Natürlich ist das ganze Dorf empört da¬
rüber; in der Gemeiuderatssitzuug, die sarkastisch geschildert wird, kommt der
Skandal zur Sprache. Die Geschichte verläuft traurig, ihr Abschluß fällt
aber mit der endgiltigen Unterdrückung und Seßbarmachung des Wandervvlks
zusammen.

Die dritte der größern Erzählungen Joachims: "Fünfzig Jahre auf dem
Erlenhofe" ist sehr hübsch erfunden, reich an idyllisch schönen Einzelheiten und
kräftig gezeichneten sympathische", und unsympathischen Figuren. Das Thema
ist: Der Bauer ist unverbesserlich. Er hat eine wahre Leidenschaft nach reichem
Besitz und wehrt sich mit aller Gewalt und Rücksichtslosigkeit dagegen, deu
Besitz zu teilen. Eine arme Frau darf ein Großbaucrnsohn nicht heimführen,
wenn er sich nicht mit der Familie verfeinden will. Wenn aber die arme
Bäuerin selbst einmal reich geworden ist, dann macht sie es geradeso wie die, die
ihr den Zutritt zum Reichtum verwehrt haben; Bauer bleibt Bauer, das Spiel
wiederholt sich in jeder Generation von neuem. Die Erlenhofbüuerin ist ein
Prachtweib, etwas herrisch, aber auch thatkräftig und verständig. Sie hat
sich ihren Mann mit Not erkämpft, denn er war von seinem Vater, einem
gewaltig eigensinnigen, übrigens aber guten Manne zur Ehelosigkeit bestimmt;
der große Besitz sollte nach altem Brauch und Herkommen dem jüngern Bruder
ungeteilt zukommen. Joseph wollte aber vou seiner Käthe nicht lassen, sie
heirateten, und der rasende Vater warf seinem Sohne einen Knochen hin, indem
er ihm den unfruchtbaren Erlenhof zuwies. Mit unermüdlichem Fleiße haben
es die zwei Leute dahingebracht, daß ihr Erlcnhvf einträglich geworden ist.
Die Käthe überlebt Mann und Sohn und Schwiegertochter. Als Achtzig¬
jährige leitet sie, gelähmt, vou dem hochlehnigen Sorgenstuhle aus die Wirt¬
schaft. Inzwischen hat sich auch der Haß, der zwischen den Familien der
Brüder entstanden war, verflüchtigt; alles geht gut, bis der Enkel eine schöne
Waise, der nichts als der Reichtum mangelt, heiraten will; da wird die alte
Erlenhofbäuerin eigensinnig. Aber schließlich nimmt sie doch, in der Erinnerung
an ihre eigne Jugend, Vernunft an, und die Geschichte schließt glücklich. In
dieser Erzählung fesseln namentlich die schönen Einzelheiten und Episodeu-
sig.urcu, die Joachim mit liebevoller Feinheit und Anmut gezeichnet hat. Große


Joseph Joachim der Bauerndichter

Gemüt der ruhelos wandernden zu vertiefen. Joachim hat sich wohl auch auf
litterarischem Wege mit ihnen bekannt gemacht, denn die Sprache seiner Er¬
zählung ist reichlich durchsetzt mit Ausdrücken nus der Zigeunersprache. Die
einfache Handlung ist geschickt erfunden und dient dazu, das Wandervolk und
die Bauern recht kräftig einander gegenüberzustellen.

Lonuy, die Heimatlose, liebt einen jungen Bauernsohn ans guter Familie.
Die Liebe entfremdet sie ihren Stammesgenossen, ohne sie den Bauern zu
nähern. Die Verbindung zwischen einer Vagantin und einem Bauernsohn
erscheint als die bare Unmöglichkeit, als eine Tollheit. Und dennoch heirate»
sie sich nach allerlei Hindernissen. Natürlich ist das ganze Dorf empört da¬
rüber; in der Gemeiuderatssitzuug, die sarkastisch geschildert wird, kommt der
Skandal zur Sprache. Die Geschichte verläuft traurig, ihr Abschluß fällt
aber mit der endgiltigen Unterdrückung und Seßbarmachung des Wandervvlks
zusammen.

Die dritte der größern Erzählungen Joachims: „Fünfzig Jahre auf dem
Erlenhofe" ist sehr hübsch erfunden, reich an idyllisch schönen Einzelheiten und
kräftig gezeichneten sympathische», und unsympathischen Figuren. Das Thema
ist: Der Bauer ist unverbesserlich. Er hat eine wahre Leidenschaft nach reichem
Besitz und wehrt sich mit aller Gewalt und Rücksichtslosigkeit dagegen, deu
Besitz zu teilen. Eine arme Frau darf ein Großbaucrnsohn nicht heimführen,
wenn er sich nicht mit der Familie verfeinden will. Wenn aber die arme
Bäuerin selbst einmal reich geworden ist, dann macht sie es geradeso wie die, die
ihr den Zutritt zum Reichtum verwehrt haben; Bauer bleibt Bauer, das Spiel
wiederholt sich in jeder Generation von neuem. Die Erlenhofbüuerin ist ein
Prachtweib, etwas herrisch, aber auch thatkräftig und verständig. Sie hat
sich ihren Mann mit Not erkämpft, denn er war von seinem Vater, einem
gewaltig eigensinnigen, übrigens aber guten Manne zur Ehelosigkeit bestimmt;
der große Besitz sollte nach altem Brauch und Herkommen dem jüngern Bruder
ungeteilt zukommen. Joseph wollte aber vou seiner Käthe nicht lassen, sie
heirateten, und der rasende Vater warf seinem Sohne einen Knochen hin, indem
er ihm den unfruchtbaren Erlenhof zuwies. Mit unermüdlichem Fleiße haben
es die zwei Leute dahingebracht, daß ihr Erlcnhvf einträglich geworden ist.
Die Käthe überlebt Mann und Sohn und Schwiegertochter. Als Achtzig¬
jährige leitet sie, gelähmt, vou dem hochlehnigen Sorgenstuhle aus die Wirt¬
schaft. Inzwischen hat sich auch der Haß, der zwischen den Familien der
Brüder entstanden war, verflüchtigt; alles geht gut, bis der Enkel eine schöne
Waise, der nichts als der Reichtum mangelt, heiraten will; da wird die alte
Erlenhofbäuerin eigensinnig. Aber schließlich nimmt sie doch, in der Erinnerung
an ihre eigne Jugend, Vernunft an, und die Geschichte schließt glücklich. In
dieser Erzählung fesseln namentlich die schönen Einzelheiten und Episodeu-
sig.urcu, die Joachim mit liebevoller Feinheit und Anmut gezeichnet hat. Große


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[0358] Joseph Joachim der Bauerndichter Gemüt der ruhelos wandernden zu vertiefen. Joachim hat sich wohl auch auf litterarischem Wege mit ihnen bekannt gemacht, denn die Sprache seiner Er¬ zählung ist reichlich durchsetzt mit Ausdrücken nus der Zigeunersprache. Die einfache Handlung ist geschickt erfunden und dient dazu, das Wandervolk und die Bauern recht kräftig einander gegenüberzustellen. Lonuy, die Heimatlose, liebt einen jungen Bauernsohn ans guter Familie. Die Liebe entfremdet sie ihren Stammesgenossen, ohne sie den Bauern zu nähern. Die Verbindung zwischen einer Vagantin und einem Bauernsohn erscheint als die bare Unmöglichkeit, als eine Tollheit. Und dennoch heirate» sie sich nach allerlei Hindernissen. Natürlich ist das ganze Dorf empört da¬ rüber; in der Gemeiuderatssitzuug, die sarkastisch geschildert wird, kommt der Skandal zur Sprache. Die Geschichte verläuft traurig, ihr Abschluß fällt aber mit der endgiltigen Unterdrückung und Seßbarmachung des Wandervvlks zusammen. Die dritte der größern Erzählungen Joachims: „Fünfzig Jahre auf dem Erlenhofe" ist sehr hübsch erfunden, reich an idyllisch schönen Einzelheiten und kräftig gezeichneten sympathische», und unsympathischen Figuren. Das Thema ist: Der Bauer ist unverbesserlich. Er hat eine wahre Leidenschaft nach reichem Besitz und wehrt sich mit aller Gewalt und Rücksichtslosigkeit dagegen, deu Besitz zu teilen. Eine arme Frau darf ein Großbaucrnsohn nicht heimführen, wenn er sich nicht mit der Familie verfeinden will. Wenn aber die arme Bäuerin selbst einmal reich geworden ist, dann macht sie es geradeso wie die, die ihr den Zutritt zum Reichtum verwehrt haben; Bauer bleibt Bauer, das Spiel wiederholt sich in jeder Generation von neuem. Die Erlenhofbüuerin ist ein Prachtweib, etwas herrisch, aber auch thatkräftig und verständig. Sie hat sich ihren Mann mit Not erkämpft, denn er war von seinem Vater, einem gewaltig eigensinnigen, übrigens aber guten Manne zur Ehelosigkeit bestimmt; der große Besitz sollte nach altem Brauch und Herkommen dem jüngern Bruder ungeteilt zukommen. Joseph wollte aber vou seiner Käthe nicht lassen, sie heirateten, und der rasende Vater warf seinem Sohne einen Knochen hin, indem er ihm den unfruchtbaren Erlenhof zuwies. Mit unermüdlichem Fleiße haben es die zwei Leute dahingebracht, daß ihr Erlcnhvf einträglich geworden ist. Die Käthe überlebt Mann und Sohn und Schwiegertochter. Als Achtzig¬ jährige leitet sie, gelähmt, vou dem hochlehnigen Sorgenstuhle aus die Wirt¬ schaft. Inzwischen hat sich auch der Haß, der zwischen den Familien der Brüder entstanden war, verflüchtigt; alles geht gut, bis der Enkel eine schöne Waise, der nichts als der Reichtum mangelt, heiraten will; da wird die alte Erlenhofbäuerin eigensinnig. Aber schließlich nimmt sie doch, in der Erinnerung an ihre eigne Jugend, Vernunft an, und die Geschichte schließt glücklich. In dieser Erzählung fesseln namentlich die schönen Einzelheiten und Episodeu- sig.urcu, die Joachim mit liebevoller Feinheit und Anmut gezeichnet hat. Große

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/358>, abgerufen am 23.07.2024.