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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die sozialdemokratische Presse

Kraft offenbart der Erzähler gleich in den erste", leidenschaftlich bewegten
Kapiteln, und wie Anzengrnber, nimmt er gern Partei für die Stiefkinder des
Geistes, die er liebevoll verklärt, wie z. B. den alten Gottl, den unverheirateten
Bruder des Waldhofbanern. Auch die Anmut seiner Frauenbilder ist sehr
bemerkenswert; eine stille Passionsblume wie die Schwiegertochter der Erlcn-
hvfbäurm zeichnet Joachim mit großer Innigkeit.




Die sozialdemokratische Presse.

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M!M>eit Neujahr lese ich regelmäßig zwei sozialdemokratische Zei¬
tungen: den "Vorwärts" und die "Magdeburger Volksstimme."
Eine sehr unerquickliche Lektüre! Tag für Tag Bilder des grauen
Elends, Äußerungen des verbissensten Klassenhasses und die
Predigt der materialistischen Weltansicht, die freilich für die Leser
aus dem Arbeiterstande durch einen falschen Optimismus einigermaßen genie߬
bar gemacht wird, während sie den logischen Denker, der daran glaubt, nur
in den Abgrund des allertraurigsteu Pessimismus stürzen kann. Und keine
tröstliche Zugabe aus dem Schatze des Wahren, Schönen und Guten, der in
den religiöse", patriotischen und ästhetischen Erinnerungen unsers Volkes auf¬
gespeichert liegt! Wie sind die Millionen zu bedauern, deren tägliche Geistes-
nahrung eine der 128 sozialdemokmtischeu Zeitungen und Zeitschriften bildet,
die in Deutschland erscheinen! Die Proletarier unter sich, die Armut an
äußern Gütern ohne Entschädigung durch Gemütsreichtum, das ist der Gipfel
der Armut! Das scheußlichste Erzeugnis dieser Presse, den Kalender, der alle
dein christlichen Deutschen heiligen Erinnerungen durch die an Reinsdvrf und
Genossen verdrängt und von den Monarchen nnr die ermordeten erwähnt,
keimen die Grenzboteuleser wohl schon nus verschiednen Zeitungen.

Und doch, wie die Dinge nur einmal liegen, muß man die sozialdemo-
kratische Presse noch als eine nützliche Einrichtung betrachten, denn sie enthüllt
ein Elend, das auch ohne sie vorhanden sein, aber den obern Schichten un¬
bekannt bleiben würde, und ermöglicht also die Kenntnis des Übels, den ersten
Schritt zur Heilung. Auch im einzelnen. stiftet sie Nutzen. Sie bringt so
manches zur Kenntnis der höhern Behörden, was diese weder ans amtlichen
Berichten noch aus den übrigen Zeitungen erfahren können. Berichte wie die
über verschiedne Versammlungen der Arbeitslosen in Magdeburg.....- die Zahl der
dortigen Arbeitslosen wird von der "Magdeburgischen Zeitung" auf 1700, von
der "Volksstimme" auf 8000 angegeben -- sucht man in Blättern der bürger-


Die sozialdemokratische Presse

Kraft offenbart der Erzähler gleich in den erste», leidenschaftlich bewegten
Kapiteln, und wie Anzengrnber, nimmt er gern Partei für die Stiefkinder des
Geistes, die er liebevoll verklärt, wie z. B. den alten Gottl, den unverheirateten
Bruder des Waldhofbanern. Auch die Anmut seiner Frauenbilder ist sehr
bemerkenswert; eine stille Passionsblume wie die Schwiegertochter der Erlcn-
hvfbäurm zeichnet Joachim mit großer Innigkeit.




Die sozialdemokratische Presse.

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tungen: den „Vorwärts" und die „Magdeburger Volksstimme."
Eine sehr unerquickliche Lektüre! Tag für Tag Bilder des grauen
Elends, Äußerungen des verbissensten Klassenhasses und die
Predigt der materialistischen Weltansicht, die freilich für die Leser
aus dem Arbeiterstande durch einen falschen Optimismus einigermaßen genie߬
bar gemacht wird, während sie den logischen Denker, der daran glaubt, nur
in den Abgrund des allertraurigsteu Pessimismus stürzen kann. Und keine
tröstliche Zugabe aus dem Schatze des Wahren, Schönen und Guten, der in
den religiöse», patriotischen und ästhetischen Erinnerungen unsers Volkes auf¬
gespeichert liegt! Wie sind die Millionen zu bedauern, deren tägliche Geistes-
nahrung eine der 128 sozialdemokmtischeu Zeitungen und Zeitschriften bildet,
die in Deutschland erscheinen! Die Proletarier unter sich, die Armut an
äußern Gütern ohne Entschädigung durch Gemütsreichtum, das ist der Gipfel
der Armut! Das scheußlichste Erzeugnis dieser Presse, den Kalender, der alle
dein christlichen Deutschen heiligen Erinnerungen durch die an Reinsdvrf und
Genossen verdrängt und von den Monarchen nnr die ermordeten erwähnt,
keimen die Grenzboteuleser wohl schon nus verschiednen Zeitungen.

Und doch, wie die Dinge nur einmal liegen, muß man die sozialdemo-
kratische Presse noch als eine nützliche Einrichtung betrachten, denn sie enthüllt
ein Elend, das auch ohne sie vorhanden sein, aber den obern Schichten un¬
bekannt bleiben würde, und ermöglicht also die Kenntnis des Übels, den ersten
Schritt zur Heilung. Auch im einzelnen. stiftet sie Nutzen. Sie bringt so
manches zur Kenntnis der höhern Behörden, was diese weder ans amtlichen
Berichten noch aus den übrigen Zeitungen erfahren können. Berichte wie die
über verschiedne Versammlungen der Arbeitslosen in Magdeburg.....- die Zahl der
dortigen Arbeitslosen wird von der „Magdeburgischen Zeitung" auf 1700, von
der „Volksstimme" auf 8000 angegeben — sucht man in Blättern der bürger-


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[0359] Die sozialdemokratische Presse Kraft offenbart der Erzähler gleich in den erste», leidenschaftlich bewegten Kapiteln, und wie Anzengrnber, nimmt er gern Partei für die Stiefkinder des Geistes, die er liebevoll verklärt, wie z. B. den alten Gottl, den unverheirateten Bruder des Waldhofbanern. Auch die Anmut seiner Frauenbilder ist sehr bemerkenswert; eine stille Passionsblume wie die Schwiegertochter der Erlcn- hvfbäurm zeichnet Joachim mit großer Innigkeit. Die sozialdemokratische Presse. »^WMMNI MC M!M>eit Neujahr lese ich regelmäßig zwei sozialdemokratische Zei¬ tungen: den „Vorwärts" und die „Magdeburger Volksstimme." Eine sehr unerquickliche Lektüre! Tag für Tag Bilder des grauen Elends, Äußerungen des verbissensten Klassenhasses und die Predigt der materialistischen Weltansicht, die freilich für die Leser aus dem Arbeiterstande durch einen falschen Optimismus einigermaßen genie߬ bar gemacht wird, während sie den logischen Denker, der daran glaubt, nur in den Abgrund des allertraurigsteu Pessimismus stürzen kann. Und keine tröstliche Zugabe aus dem Schatze des Wahren, Schönen und Guten, der in den religiöse», patriotischen und ästhetischen Erinnerungen unsers Volkes auf¬ gespeichert liegt! Wie sind die Millionen zu bedauern, deren tägliche Geistes- nahrung eine der 128 sozialdemokmtischeu Zeitungen und Zeitschriften bildet, die in Deutschland erscheinen! Die Proletarier unter sich, die Armut an äußern Gütern ohne Entschädigung durch Gemütsreichtum, das ist der Gipfel der Armut! Das scheußlichste Erzeugnis dieser Presse, den Kalender, der alle dein christlichen Deutschen heiligen Erinnerungen durch die an Reinsdvrf und Genossen verdrängt und von den Monarchen nnr die ermordeten erwähnt, keimen die Grenzboteuleser wohl schon nus verschiednen Zeitungen. Und doch, wie die Dinge nur einmal liegen, muß man die sozialdemo- kratische Presse noch als eine nützliche Einrichtung betrachten, denn sie enthüllt ein Elend, das auch ohne sie vorhanden sein, aber den obern Schichten un¬ bekannt bleiben würde, und ermöglicht also die Kenntnis des Übels, den ersten Schritt zur Heilung. Auch im einzelnen. stiftet sie Nutzen. Sie bringt so manches zur Kenntnis der höhern Behörden, was diese weder ans amtlichen Berichten noch aus den übrigen Zeitungen erfahren können. Berichte wie die über verschiedne Versammlungen der Arbeitslosen in Magdeburg.....- die Zahl der dortigen Arbeitslosen wird von der „Magdeburgischen Zeitung" auf 1700, von der „Volksstimme" auf 8000 angegeben — sucht man in Blättern der bürger-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/359>, abgerufen am 23.07.2024.