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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen in unserm höher" Schulwesen

Patronat der Kirche, sondern der Stadt, deren Rat den "Schulmeister" an¬
stellte und die Schule zunächst für die Stadtkinder bestimmte. Im übrigen
galten dieselben Lehrgegenstände und Lehrweisen wie in den geistlichen Schulen,
denn die praktische Beherrschung des Lateinischen, die so erzielt wurde, war
für die städtische Geschäftsführung ebenso notwendig wie für die staatliche und
geistliche. Auch traten diese Schulen meist in enge Verbindung mit der Kirche.
Sie nannten sich oft nach einer Stadtkirche, der Kirchendienst gewährte ihren
Lehrern einen guten Teil ihres Einkommens und nahm auch die Schüler viel¬
fach in Anspruch, die Lehrer galten als Angehörige des geistlichen Standes
und blieben unverheiratet. Da sie höchstens die auf die eigentlichen Fach¬
studien vorbereitende artistische Fakultät einer Universität durchgemacht und
hier das Bacealaureat oder wenn es hochkam den Magistertitel erworben
hatten, so ergab sich von selbst, daß sie in ihrer gesellschaftlichen Geltung
hinter den Graduirten der sogenannten "obern Fakultäten," den Medizinern,
Juristen und Theologen, weit zurückstanden und eine untergeordnete Stellung
einnahmen, die der Art ihres kürglichen Einkommens und ihrer mühseligen
Beschäftigung entsprach. Daß diese Anstalten freilich nicht ganz den Bedürf¬
nissen des Bürgerstandes genügten, das beweist das Aufkommen der soge¬
nannten deutschen oder Schreibschulen, die neben Schreiben, Lesen und Rechnen
den schriftlichen Gebrauch der Muttersprache lehrten. Wie wacker sie ihre
Aufgabe lösten, beweist vor allem die Ausbildung einer selbständigen städtischen
Geschichtschreibung und Dichtung in deutscher Sprache.

So bot das höhere deutsche Unterrichtswesen am Ausgange des Mittel¬
alters etwa folgendes Bild. An der Spitze standen jetzt auch in Deutschland
die Universitäten, ohne daß übrigens die Erwerbung eines akademischen Grades
oder auch nur akademische Vorbildung für irgend welche öffentliche Stellung
(außer für die Arzte) geradezu gefordert worden wäre, obwohl sie in der
Wertschätzung immer höher stieg. Ohne strenge Scheidung von ihnen standen
ihnen zunächst die lateinischen Kloster-, Dom- und Stadtschulen, die, die einen für
die zukünftigen Geistlichen, die andern für die Bürger, ebenso gut wie die
Universitäten keineswegs eine nationale, sondern eine internationale Bildung
vermittelten. Aber bereits zeigten sich in den "deutschen Schulen" die Anfänge
einer nationalen Volksschule, allerdings nur für den Bürgerstand.

Diese Gliederung des Unterrichtswesens entsprach den allgemeinen Ver¬
hältnissen der Zeit. Die herrschende geistige Macht war noch immer die
Kirche; sie drückte daher, wie dem ganzen Leben, so auch dem Unterrichts¬
wesen ihren einheitlichen Stempel auf. Aber dieser Unterricht beschränkte sich
nicht mehr, wie in den frühern Jahrhunderten des Mittelalters, auf künftige
Geistliche, vielmehr war jetzt das Bürgertum zur litterarischen Bildung über¬
gegangen, obgleich es zwar vielfach eigne Schulen, aber noch keine selbständige
Unterrichtsweise hervorgebracht hatte, sondern im wesentlichen die geistliche


Wandlungen in unserm höher» Schulwesen

Patronat der Kirche, sondern der Stadt, deren Rat den „Schulmeister" an¬
stellte und die Schule zunächst für die Stadtkinder bestimmte. Im übrigen
galten dieselben Lehrgegenstände und Lehrweisen wie in den geistlichen Schulen,
denn die praktische Beherrschung des Lateinischen, die so erzielt wurde, war
für die städtische Geschäftsführung ebenso notwendig wie für die staatliche und
geistliche. Auch traten diese Schulen meist in enge Verbindung mit der Kirche.
Sie nannten sich oft nach einer Stadtkirche, der Kirchendienst gewährte ihren
Lehrern einen guten Teil ihres Einkommens und nahm auch die Schüler viel¬
fach in Anspruch, die Lehrer galten als Angehörige des geistlichen Standes
und blieben unverheiratet. Da sie höchstens die auf die eigentlichen Fach¬
studien vorbereitende artistische Fakultät einer Universität durchgemacht und
hier das Bacealaureat oder wenn es hochkam den Magistertitel erworben
hatten, so ergab sich von selbst, daß sie in ihrer gesellschaftlichen Geltung
hinter den Graduirten der sogenannten „obern Fakultäten," den Medizinern,
Juristen und Theologen, weit zurückstanden und eine untergeordnete Stellung
einnahmen, die der Art ihres kürglichen Einkommens und ihrer mühseligen
Beschäftigung entsprach. Daß diese Anstalten freilich nicht ganz den Bedürf¬
nissen des Bürgerstandes genügten, das beweist das Aufkommen der soge¬
nannten deutschen oder Schreibschulen, die neben Schreiben, Lesen und Rechnen
den schriftlichen Gebrauch der Muttersprache lehrten. Wie wacker sie ihre
Aufgabe lösten, beweist vor allem die Ausbildung einer selbständigen städtischen
Geschichtschreibung und Dichtung in deutscher Sprache.

So bot das höhere deutsche Unterrichtswesen am Ausgange des Mittel¬
alters etwa folgendes Bild. An der Spitze standen jetzt auch in Deutschland
die Universitäten, ohne daß übrigens die Erwerbung eines akademischen Grades
oder auch nur akademische Vorbildung für irgend welche öffentliche Stellung
(außer für die Arzte) geradezu gefordert worden wäre, obwohl sie in der
Wertschätzung immer höher stieg. Ohne strenge Scheidung von ihnen standen
ihnen zunächst die lateinischen Kloster-, Dom- und Stadtschulen, die, die einen für
die zukünftigen Geistlichen, die andern für die Bürger, ebenso gut wie die
Universitäten keineswegs eine nationale, sondern eine internationale Bildung
vermittelten. Aber bereits zeigten sich in den „deutschen Schulen" die Anfänge
einer nationalen Volksschule, allerdings nur für den Bürgerstand.

Diese Gliederung des Unterrichtswesens entsprach den allgemeinen Ver¬
hältnissen der Zeit. Die herrschende geistige Macht war noch immer die
Kirche; sie drückte daher, wie dem ganzen Leben, so auch dem Unterrichts¬
wesen ihren einheitlichen Stempel auf. Aber dieser Unterricht beschränkte sich
nicht mehr, wie in den frühern Jahrhunderten des Mittelalters, auf künftige
Geistliche, vielmehr war jetzt das Bürgertum zur litterarischen Bildung über¬
gegangen, obgleich es zwar vielfach eigne Schulen, aber noch keine selbständige
Unterrichtsweise hervorgebracht hatte, sondern im wesentlichen die geistliche


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[0290] Wandlungen in unserm höher» Schulwesen Patronat der Kirche, sondern der Stadt, deren Rat den „Schulmeister" an¬ stellte und die Schule zunächst für die Stadtkinder bestimmte. Im übrigen galten dieselben Lehrgegenstände und Lehrweisen wie in den geistlichen Schulen, denn die praktische Beherrschung des Lateinischen, die so erzielt wurde, war für die städtische Geschäftsführung ebenso notwendig wie für die staatliche und geistliche. Auch traten diese Schulen meist in enge Verbindung mit der Kirche. Sie nannten sich oft nach einer Stadtkirche, der Kirchendienst gewährte ihren Lehrern einen guten Teil ihres Einkommens und nahm auch die Schüler viel¬ fach in Anspruch, die Lehrer galten als Angehörige des geistlichen Standes und blieben unverheiratet. Da sie höchstens die auf die eigentlichen Fach¬ studien vorbereitende artistische Fakultät einer Universität durchgemacht und hier das Bacealaureat oder wenn es hochkam den Magistertitel erworben hatten, so ergab sich von selbst, daß sie in ihrer gesellschaftlichen Geltung hinter den Graduirten der sogenannten „obern Fakultäten," den Medizinern, Juristen und Theologen, weit zurückstanden und eine untergeordnete Stellung einnahmen, die der Art ihres kürglichen Einkommens und ihrer mühseligen Beschäftigung entsprach. Daß diese Anstalten freilich nicht ganz den Bedürf¬ nissen des Bürgerstandes genügten, das beweist das Aufkommen der soge¬ nannten deutschen oder Schreibschulen, die neben Schreiben, Lesen und Rechnen den schriftlichen Gebrauch der Muttersprache lehrten. Wie wacker sie ihre Aufgabe lösten, beweist vor allem die Ausbildung einer selbständigen städtischen Geschichtschreibung und Dichtung in deutscher Sprache. So bot das höhere deutsche Unterrichtswesen am Ausgange des Mittel¬ alters etwa folgendes Bild. An der Spitze standen jetzt auch in Deutschland die Universitäten, ohne daß übrigens die Erwerbung eines akademischen Grades oder auch nur akademische Vorbildung für irgend welche öffentliche Stellung (außer für die Arzte) geradezu gefordert worden wäre, obwohl sie in der Wertschätzung immer höher stieg. Ohne strenge Scheidung von ihnen standen ihnen zunächst die lateinischen Kloster-, Dom- und Stadtschulen, die, die einen für die zukünftigen Geistlichen, die andern für die Bürger, ebenso gut wie die Universitäten keineswegs eine nationale, sondern eine internationale Bildung vermittelten. Aber bereits zeigten sich in den „deutschen Schulen" die Anfänge einer nationalen Volksschule, allerdings nur für den Bürgerstand. Diese Gliederung des Unterrichtswesens entsprach den allgemeinen Ver¬ hältnissen der Zeit. Die herrschende geistige Macht war noch immer die Kirche; sie drückte daher, wie dem ganzen Leben, so auch dem Unterrichts¬ wesen ihren einheitlichen Stempel auf. Aber dieser Unterricht beschränkte sich nicht mehr, wie in den frühern Jahrhunderten des Mittelalters, auf künftige Geistliche, vielmehr war jetzt das Bürgertum zur litterarischen Bildung über¬ gegangen, obgleich es zwar vielfach eigne Schulen, aber noch keine selbständige Unterrichtsweise hervorgebracht hatte, sondern im wesentlichen die geistliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/290>, abgerufen am 23.07.2024.