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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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einfach annahm. Ebenso bedürfte das Rcichsfürstentum, je mehr es über
die bloße Wcihrnng des innern und äußern Friedens hinausging und eine
umfassende, von festen Mittelpunkten aus geleitete schriftliche Landesverwal¬
tung ausbildete, um so mehr eines wissenschaftlich gebildeten Beamtentums,
das sich überwiegend aus dem Vürgerstaude ergänzte und seine Fachbildung
nur auf deu Universitäten erhalten konnte. So wirkten die beiden herrschenden
Mächte der Zeit, das Reichsfürstentum und das Bürgertum, bestimmend auch
auf die Gestaltung des höhern Unterrichtswesens ein. Adel nud Bauernstand
blieben von dieser Bewegung noch fast ganz unberührt, soweit sie sich nicht
dem geistlichen Stande zuwandten.

So entstand allmählich, zumeist aber durch die Universitäten, eine neue
Aristokratie, eine Aristokratie der Bildung, die strebsame Elemente aller Be¬
rufszweige in sich aufnahm und auch der Kirche gegenüber eine selbständige
Stellung einzunehmen begann. Denn obwohl die Universitäten unter geistlicher
Leitung standen, sie beruhten doch auf dem ganz neuen Gedanken, daß die
Wissenschaft als solche eine selbständige Macht sei, die ihren eignen Gesetzen
zu folgen habe. So bereiteten sie die Überwindung der mittelalterlichen
Ordnungen vor, aus denen sie doch hervorgegangen waren.

Freilich, der erste grundsätzliche Angriff auf diese ging keineswegs von
ihnen aus, sondern von durchaus uuznnftigen Gelehrte", deu Humanisten, und
erscheint recht eigentlich als ein Kampf gegen die alten Universitäten. Denn
mit einer Leidenschaftlichkeit des Hasses, wie er nur in Zeiten des Übergangs
auftritt, bekämpften die Humanisten alles, was die Eigentümlichkeit der Lehr¬
methode und der Lehrgegenstünde an den Universitäten ausmachte, ohne eine
Ahnung davon, daß sie grundsätzlich mit ihnen auf demselben Boden standen,
nämlich auf dem Boden der Anschauung, daß die Wissenschaft ihren eignen
Gesetzen folgen müsse, also frei sei. Sie verwarfen die gesamte logisch-dialek¬
tische Ausbildung, sie verachteten die mühselig zu erwerbenden akademischen
Grade, sie verhöhnten das scholastische Latein, das gewiß nicht klassisch, aber
eben deshalb eine lebendige Sprache war; sie wollten statt dessen die römischen
und bald auch die griechischen Klassiker und die in ihnen enthaltene freiere,
menschliche Lebensauffassung zur Geltung bringen. Aber was sie an ihnen
hauptsächlich lehren und lernen wollten, das war doch eigentlich nicht die
antike Kultur, sondern das echte Latein an Stelle des verdorbnen mittelalter¬
lichen, die Schönheit und Leichtigkeit der Darstellung in Vers und Prosa, und
ihre Erklärungs- und BeHandlungsweise unterschied sich von der mittelalter¬
lichen nicht sonderlich, denn sie erörterten den Inhalt des behandelten Buches
meist von dem Standpunkte seines Wertes für die Gegenwart aus, knüpften
logische Erörterungen an und zergliederten den Text grammatisch und theoretisch.
Sie wollten also auch, obwohl viele von ihnen warmherzige und stolze Pa¬
trioten waren, keine eigentlich nationale, sondern eine lateinische, internationale


Wandlungen in unserm höher« Schulwesen

einfach annahm. Ebenso bedürfte das Rcichsfürstentum, je mehr es über
die bloße Wcihrnng des innern und äußern Friedens hinausging und eine
umfassende, von festen Mittelpunkten aus geleitete schriftliche Landesverwal¬
tung ausbildete, um so mehr eines wissenschaftlich gebildeten Beamtentums,
das sich überwiegend aus dem Vürgerstaude ergänzte und seine Fachbildung
nur auf deu Universitäten erhalten konnte. So wirkten die beiden herrschenden
Mächte der Zeit, das Reichsfürstentum und das Bürgertum, bestimmend auch
auf die Gestaltung des höhern Unterrichtswesens ein. Adel nud Bauernstand
blieben von dieser Bewegung noch fast ganz unberührt, soweit sie sich nicht
dem geistlichen Stande zuwandten.

So entstand allmählich, zumeist aber durch die Universitäten, eine neue
Aristokratie, eine Aristokratie der Bildung, die strebsame Elemente aller Be¬
rufszweige in sich aufnahm und auch der Kirche gegenüber eine selbständige
Stellung einzunehmen begann. Denn obwohl die Universitäten unter geistlicher
Leitung standen, sie beruhten doch auf dem ganz neuen Gedanken, daß die
Wissenschaft als solche eine selbständige Macht sei, die ihren eignen Gesetzen
zu folgen habe. So bereiteten sie die Überwindung der mittelalterlichen
Ordnungen vor, aus denen sie doch hervorgegangen waren.

Freilich, der erste grundsätzliche Angriff auf diese ging keineswegs von
ihnen aus, sondern von durchaus uuznnftigen Gelehrte», deu Humanisten, und
erscheint recht eigentlich als ein Kampf gegen die alten Universitäten. Denn
mit einer Leidenschaftlichkeit des Hasses, wie er nur in Zeiten des Übergangs
auftritt, bekämpften die Humanisten alles, was die Eigentümlichkeit der Lehr¬
methode und der Lehrgegenstünde an den Universitäten ausmachte, ohne eine
Ahnung davon, daß sie grundsätzlich mit ihnen auf demselben Boden standen,
nämlich auf dem Boden der Anschauung, daß die Wissenschaft ihren eignen
Gesetzen folgen müsse, also frei sei. Sie verwarfen die gesamte logisch-dialek¬
tische Ausbildung, sie verachteten die mühselig zu erwerbenden akademischen
Grade, sie verhöhnten das scholastische Latein, das gewiß nicht klassisch, aber
eben deshalb eine lebendige Sprache war; sie wollten statt dessen die römischen
und bald auch die griechischen Klassiker und die in ihnen enthaltene freiere,
menschliche Lebensauffassung zur Geltung bringen. Aber was sie an ihnen
hauptsächlich lehren und lernen wollten, das war doch eigentlich nicht die
antike Kultur, sondern das echte Latein an Stelle des verdorbnen mittelalter¬
lichen, die Schönheit und Leichtigkeit der Darstellung in Vers und Prosa, und
ihre Erklärungs- und BeHandlungsweise unterschied sich von der mittelalter¬
lichen nicht sonderlich, denn sie erörterten den Inhalt des behandelten Buches
meist von dem Standpunkte seines Wertes für die Gegenwart aus, knüpften
logische Erörterungen an und zergliederten den Text grammatisch und theoretisch.
Sie wollten also auch, obwohl viele von ihnen warmherzige und stolze Pa¬
trioten waren, keine eigentlich nationale, sondern eine lateinische, internationale


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[0291] Wandlungen in unserm höher« Schulwesen einfach annahm. Ebenso bedürfte das Rcichsfürstentum, je mehr es über die bloße Wcihrnng des innern und äußern Friedens hinausging und eine umfassende, von festen Mittelpunkten aus geleitete schriftliche Landesverwal¬ tung ausbildete, um so mehr eines wissenschaftlich gebildeten Beamtentums, das sich überwiegend aus dem Vürgerstaude ergänzte und seine Fachbildung nur auf deu Universitäten erhalten konnte. So wirkten die beiden herrschenden Mächte der Zeit, das Reichsfürstentum und das Bürgertum, bestimmend auch auf die Gestaltung des höhern Unterrichtswesens ein. Adel nud Bauernstand blieben von dieser Bewegung noch fast ganz unberührt, soweit sie sich nicht dem geistlichen Stande zuwandten. So entstand allmählich, zumeist aber durch die Universitäten, eine neue Aristokratie, eine Aristokratie der Bildung, die strebsame Elemente aller Be¬ rufszweige in sich aufnahm und auch der Kirche gegenüber eine selbständige Stellung einzunehmen begann. Denn obwohl die Universitäten unter geistlicher Leitung standen, sie beruhten doch auf dem ganz neuen Gedanken, daß die Wissenschaft als solche eine selbständige Macht sei, die ihren eignen Gesetzen zu folgen habe. So bereiteten sie die Überwindung der mittelalterlichen Ordnungen vor, aus denen sie doch hervorgegangen waren. Freilich, der erste grundsätzliche Angriff auf diese ging keineswegs von ihnen aus, sondern von durchaus uuznnftigen Gelehrte», deu Humanisten, und erscheint recht eigentlich als ein Kampf gegen die alten Universitäten. Denn mit einer Leidenschaftlichkeit des Hasses, wie er nur in Zeiten des Übergangs auftritt, bekämpften die Humanisten alles, was die Eigentümlichkeit der Lehr¬ methode und der Lehrgegenstünde an den Universitäten ausmachte, ohne eine Ahnung davon, daß sie grundsätzlich mit ihnen auf demselben Boden standen, nämlich auf dem Boden der Anschauung, daß die Wissenschaft ihren eignen Gesetzen folgen müsse, also frei sei. Sie verwarfen die gesamte logisch-dialek¬ tische Ausbildung, sie verachteten die mühselig zu erwerbenden akademischen Grade, sie verhöhnten das scholastische Latein, das gewiß nicht klassisch, aber eben deshalb eine lebendige Sprache war; sie wollten statt dessen die römischen und bald auch die griechischen Klassiker und die in ihnen enthaltene freiere, menschliche Lebensauffassung zur Geltung bringen. Aber was sie an ihnen hauptsächlich lehren und lernen wollten, das war doch eigentlich nicht die antike Kultur, sondern das echte Latein an Stelle des verdorbnen mittelalter¬ lichen, die Schönheit und Leichtigkeit der Darstellung in Vers und Prosa, und ihre Erklärungs- und BeHandlungsweise unterschied sich von der mittelalter¬ lichen nicht sonderlich, denn sie erörterten den Inhalt des behandelten Buches meist von dem Standpunkte seines Wertes für die Gegenwart aus, knüpften logische Erörterungen an und zergliederten den Text grammatisch und theoretisch. Sie wollten also auch, obwohl viele von ihnen warmherzige und stolze Pa¬ trioten waren, keine eigentlich nationale, sondern eine lateinische, internationale

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/291>, abgerufen am 23.07.2024.