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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Bestrafung wegen Trunkenheit fast drei Jahre zurückliegt, die nach 2u des
Entwurfs in einer Trinkerheilanstalt untergebracht und dort geheilt worden
sind und vielleicht schon seit geraumer Zeit dem Gebrauch geistiger Getränke
völlig entsagt haben. So sehr wir nnn die Vorsicht billigen, womit das in
h 1v ausgesprochne absolute Verbot der Verabreichung geistiger Getränke der
Möglichkeit eines Rückfalls Rechnung trägt, so wenig finden wir damit die
Sorglosigkeit vereinbar, die nichts bedenkliches darin erblickt, einen notorischen
Säufer während eines nüchternen Intervalls die Mittel zu überliefern, den
Prozeß physischer und moralischer Zerrüttung, dem er anheimgefallen ist, weiter
zu betreiben, wenn er dafür bare Zahlung leistet. Oder follten wir Sorg¬
losigkeit mit ihrem Gegenteil verwechselt haben, war es vielleicht das Bedenken,
dein Recht eines freien Mannes, sich zu berauschen, nicht allzunahe zu treten,
das den Entwurf zu fo feiner Unterscheidung zwischen Erlaubtem und Uner¬
laubtem führte? Fast vermuten wir es, und da glaubt man sich noch über Mangel
an Zartgefühl gegen die persönliche Freiheit beklagen zu müssen!

Wir haben uns des summarischen Ausdrucks "motorischer Trinker" bedient
und hätten gewünscht, daß der dem h 15 zu Grunde liegende Gedanke in ent¬
sprechend einfacher Weife etwa dnrch die Worte wiedergegeben worden wäre:
"wenn er (der Wirt) weiß, daß der Empfänger dem Trunk ergeben ist." So
leichten Kaufs aber läßt der Text des h 15 den Ausleger nicht davon kommen.
Die Strafe foll vielmehr nnr dann eintreten, wenn der Wirt weiß oder den
Umständen nach annehmen muß, daß er dnrch die Kreditgewährung dein Hange
des Empfängers zum übermüßigen Genuß geistiger Getränke Vorschub leistet.
Nach diesem Wortlaut ist zur Verurteilung ans h 15 die Feststellung nicht aus¬
reichend, daß dem Thäter die Neigung des Empfängers zum übermäßigen
Genuß geistiger Getränke bekannt war-, sie würde vielmehr nur baun statt¬
finden dürfen, wenn zu dieser Feststellung uoch die weitere hinzuträte, daß der'
Thäter wußte oder deu Umständen nach annehmen mußte, daß er durch das
Borgen den Hang des Empfängers zum übermäßigen Genuß geistiger Getränke
Vorschub leiste. Der Entwurf nimmt somit die Möglichkeit an, daß aus jener
Kunde dieses Wissen oder Annelnnenmüssen nicht unter allen Umständen folge.
Wir bescheiden uns, bekennen aber, unsre Einbildungskraft vergeblich angestrengt
zu haben, irgend ein Vorkommnis von der in § 15 vorausgesetzten Beschaffen¬
heit zu ersinnen, das darnach angethan wäre, eine besondre Berücksichtigung
des Gesetzgebers beanspruchen zu können. Wir dächten, daß durch das Borgen
des Getränks dem verderblichen Hange des Empfängers, wenn er damit behaftet
ist, unter allen Umständen Vorschub geleistet würde, selbst weder er ein Krösus
wäre, denn auch einem solchen würde ohne das Borgen wenigstens sür den
Augenblick die Gelegenheit entzogen werden, dem Laster zu fröhnen, die man
ihm durch das Borgen des Getränks gewährt.

Es erübrigt uns noch, uns gegen die dem h 15 eingefügte Alternative


Bestrafung wegen Trunkenheit fast drei Jahre zurückliegt, die nach 2u des
Entwurfs in einer Trinkerheilanstalt untergebracht und dort geheilt worden
sind und vielleicht schon seit geraumer Zeit dem Gebrauch geistiger Getränke
völlig entsagt haben. So sehr wir nnn die Vorsicht billigen, womit das in
h 1v ausgesprochne absolute Verbot der Verabreichung geistiger Getränke der
Möglichkeit eines Rückfalls Rechnung trägt, so wenig finden wir damit die
Sorglosigkeit vereinbar, die nichts bedenkliches darin erblickt, einen notorischen
Säufer während eines nüchternen Intervalls die Mittel zu überliefern, den
Prozeß physischer und moralischer Zerrüttung, dem er anheimgefallen ist, weiter
zu betreiben, wenn er dafür bare Zahlung leistet. Oder follten wir Sorg¬
losigkeit mit ihrem Gegenteil verwechselt haben, war es vielleicht das Bedenken,
dein Recht eines freien Mannes, sich zu berauschen, nicht allzunahe zu treten,
das den Entwurf zu fo feiner Unterscheidung zwischen Erlaubtem und Uner¬
laubtem führte? Fast vermuten wir es, und da glaubt man sich noch über Mangel
an Zartgefühl gegen die persönliche Freiheit beklagen zu müssen!

Wir haben uns des summarischen Ausdrucks „motorischer Trinker" bedient
und hätten gewünscht, daß der dem h 15 zu Grunde liegende Gedanke in ent¬
sprechend einfacher Weife etwa dnrch die Worte wiedergegeben worden wäre:
„wenn er (der Wirt) weiß, daß der Empfänger dem Trunk ergeben ist." So
leichten Kaufs aber läßt der Text des h 15 den Ausleger nicht davon kommen.
Die Strafe foll vielmehr nnr dann eintreten, wenn der Wirt weiß oder den
Umständen nach annehmen muß, daß er dnrch die Kreditgewährung dein Hange
des Empfängers zum übermüßigen Genuß geistiger Getränke Vorschub leistet.
Nach diesem Wortlaut ist zur Verurteilung ans h 15 die Feststellung nicht aus¬
reichend, daß dem Thäter die Neigung des Empfängers zum übermäßigen
Genuß geistiger Getränke bekannt war-, sie würde vielmehr nur baun statt¬
finden dürfen, wenn zu dieser Feststellung uoch die weitere hinzuträte, daß der'
Thäter wußte oder deu Umständen nach annehmen mußte, daß er durch das
Borgen den Hang des Empfängers zum übermäßigen Genuß geistiger Getränke
Vorschub leiste. Der Entwurf nimmt somit die Möglichkeit an, daß aus jener
Kunde dieses Wissen oder Annelnnenmüssen nicht unter allen Umständen folge.
Wir bescheiden uns, bekennen aber, unsre Einbildungskraft vergeblich angestrengt
zu haben, irgend ein Vorkommnis von der in § 15 vorausgesetzten Beschaffen¬
heit zu ersinnen, das darnach angethan wäre, eine besondre Berücksichtigung
des Gesetzgebers beanspruchen zu können. Wir dächten, daß durch das Borgen
des Getränks dem verderblichen Hange des Empfängers, wenn er damit behaftet
ist, unter allen Umständen Vorschub geleistet würde, selbst weder er ein Krösus
wäre, denn auch einem solchen würde ohne das Borgen wenigstens sür den
Augenblick die Gelegenheit entzogen werden, dem Laster zu fröhnen, die man
ihm durch das Borgen des Getränks gewährt.

Es erübrigt uns noch, uns gegen die dem h 15 eingefügte Alternative


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/27>, abgerufen am 25.08.2024.