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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Die soziale Bewegung in Frankreich

klaffen prinzipiell geschlossen und der Arbeiterbewegung der Charakter unbe¬
dingter Rebellion genommen worden sei.

Dieses Urteil mag zu sanguinisch erscheine", wenn man die praktischen
Folgen des Gesetzes überblickt. Immerhin beobachten wir, wie sich die rein
politischen Arbeitervereine mit der wachsenden Bedeutung der wirtschaftlichen
Fachvereine genötigt sehen, Wasser in ihren revolutionären Wein zu gießein
Ja ans verschiednen Kongressen werfe" sie ihren ganzen Programmwulst über
Bord und schicken sich an, auch ihrerseits praktische Wirtschaftspolitik zu treiben.
Außer stände, sich auf den Boden des erlassenen Gesetzes zu stelle" - den"
damit hätten sie auf die politische Thätigkeit verzichten müsse" , orga"isiren
sie de" Kampf gegen das Gesetz und erreichen in der That, daß sich vo" den
alte" Fachvereiueu bis ""r zwei Drittel, in Paris nur die Hälfte dem
Shudikatsgesetz unterwerfen. Die Possibilisten, wenngleich ausgesprochene
Gegner der eigentlich svzinlrevolntionären Parteien, wisse" im Pariser Ge¬
meinderat de" Fachvereinen wirksame Konkurrenz zu mache", namentlich durch
Errichtung der großartigen Arbeiterbörse. Doch ist nach den nettesten Beob¬
achtungen der Zug der Bewegung auf gänzliche Enthaltung vo" der Politik
gerichtet, und auch die possibilistischen Fachvereine beginnen sich mehr und
mehr dem Gesetz zu unterwerfen. Auch die weiter links stehenden sozialistischen
Parteien können nicht umhin, sich zur Aufnahme einiger positiven Forderungen
in ihr Programm zu bequemen, um die Herrschaft über die noch zu ihnen
haltenden Fachvereine nicht ganz zu verlieren. Im Grunde "eng es ihnen --
unter der Ful,rnng des neuerdings wieder vielgenannte" Lafargue freilich
mehr darum zu thun sein, die Streiks, namentlich die der Bergarbeiter, als
politisches Agitativusmittel zu verwerte". Selbstverstä"dlich stehe" auch diese,
die marrMsche" Fachvereme, de", Gesetze über die Syndikate fremd und feind¬
selig gegenüber. Erst recht auch die "allerlinksesteu" unter den vielen Isten,
die Blanqnisten und Aunrchiste", Aus allen diesen Erscheinungen zieht
v. d. Osten den Schluß, daß sich ein geschlossenes revolutionäres Vorgehe"
des französischen Arbeiterstandes nicht hat herbeiführen lassen, daß er "ach
und nach von wahnwitzigen Unisturzbestrebungeu zu eiuer realpolitischeu Ver¬
tretung seiner Interessen auf öffentlich rechtlichem wie fachgewerblichem Ge¬
biete gelaugt ist, die vielfach' einen Gegensatz zu den Interessen andrer Be¬
völkerungsklassen hervortreten lassen, einen eigentlich sozialen revolutionären
Charakter aber nicht mehr bieten, daß zu dieser Entwicklung das Aufkommen
einer rein fachgewerblicheu Richtung, das Erstarken fachgewerblicher Verbände
im Gegensatz zu nur der revolutiouüreu Bewegung dienstbaren politischen
Gruppirungen wesentlich beigetragen,, hat, und^beiß die Entwickelung der fnch-
genvssenschaftlichen Verbände durch das Vorhandensein und die Haltung der
Unternehmervereine, die Stelluugunhme der besitzenden Klassen und das Ein¬
greifen der Gesetzgebung eine mächtige Förderung erfahren hat.


Die soziale Bewegung in Frankreich

klaffen prinzipiell geschlossen und der Arbeiterbewegung der Charakter unbe¬
dingter Rebellion genommen worden sei.

Dieses Urteil mag zu sanguinisch erscheine», wenn man die praktischen
Folgen des Gesetzes überblickt. Immerhin beobachten wir, wie sich die rein
politischen Arbeitervereine mit der wachsenden Bedeutung der wirtschaftlichen
Fachvereine genötigt sehen, Wasser in ihren revolutionären Wein zu gießein
Ja ans verschiednen Kongressen werfe» sie ihren ganzen Programmwulst über
Bord und schicken sich an, auch ihrerseits praktische Wirtschaftspolitik zu treiben.
Außer stände, sich auf den Boden des erlassenen Gesetzes zu stelle» - den»
damit hätten sie auf die politische Thätigkeit verzichten müsse» , orga»isiren
sie de» Kampf gegen das Gesetz und erreichen in der That, daß sich vo» den
alte» Fachvereiueu bis »»r zwei Drittel, in Paris nur die Hälfte dem
Shudikatsgesetz unterwerfen. Die Possibilisten, wenngleich ausgesprochene
Gegner der eigentlich svzinlrevolntionären Parteien, wisse» im Pariser Ge¬
meinderat de» Fachvereinen wirksame Konkurrenz zu mache», namentlich durch
Errichtung der großartigen Arbeiterbörse. Doch ist nach den nettesten Beob¬
achtungen der Zug der Bewegung auf gänzliche Enthaltung vo» der Politik
gerichtet, und auch die possibilistischen Fachvereine beginnen sich mehr und
mehr dem Gesetz zu unterwerfen. Auch die weiter links stehenden sozialistischen
Parteien können nicht umhin, sich zur Aufnahme einiger positiven Forderungen
in ihr Programm zu bequemen, um die Herrschaft über die noch zu ihnen
haltenden Fachvereine nicht ganz zu verlieren. Im Grunde »eng es ihnen —
unter der Ful,rnng des neuerdings wieder vielgenannte» Lafargue freilich
mehr darum zu thun sein, die Streiks, namentlich die der Bergarbeiter, als
politisches Agitativusmittel zu verwerte». Selbstverstä»dlich stehe» auch diese,
die marrMsche» Fachvereme, de», Gesetze über die Syndikate fremd und feind¬
selig gegenüber. Erst recht auch die „allerlinksesteu" unter den vielen Isten,
die Blanqnisten und Aunrchiste», Aus allen diesen Erscheinungen zieht
v. d. Osten den Schluß, daß sich ein geschlossenes revolutionäres Vorgehe»
des französischen Arbeiterstandes nicht hat herbeiführen lassen, daß er »ach
und nach von wahnwitzigen Unisturzbestrebungeu zu eiuer realpolitischeu Ver¬
tretung seiner Interessen auf öffentlich rechtlichem wie fachgewerblichem Ge¬
biete gelaugt ist, die vielfach' einen Gegensatz zu den Interessen andrer Be¬
völkerungsklassen hervortreten lassen, einen eigentlich sozialen revolutionären
Charakter aber nicht mehr bieten, daß zu dieser Entwicklung das Aufkommen
einer rein fachgewerblicheu Richtung, das Erstarken fachgewerblicher Verbände
im Gegensatz zu nur der revolutiouüreu Bewegung dienstbaren politischen
Gruppirungen wesentlich beigetragen,, hat, und^beiß die Entwickelung der fnch-
genvssenschaftlichen Verbände durch das Vorhandensein und die Haltung der
Unternehmervereine, die Stelluugunhme der besitzenden Klassen und das Ein¬
greifen der Gesetzgebung eine mächtige Förderung erfahren hat.


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[0269] Die soziale Bewegung in Frankreich klaffen prinzipiell geschlossen und der Arbeiterbewegung der Charakter unbe¬ dingter Rebellion genommen worden sei. Dieses Urteil mag zu sanguinisch erscheine», wenn man die praktischen Folgen des Gesetzes überblickt. Immerhin beobachten wir, wie sich die rein politischen Arbeitervereine mit der wachsenden Bedeutung der wirtschaftlichen Fachvereine genötigt sehen, Wasser in ihren revolutionären Wein zu gießein Ja ans verschiednen Kongressen werfe» sie ihren ganzen Programmwulst über Bord und schicken sich an, auch ihrerseits praktische Wirtschaftspolitik zu treiben. Außer stände, sich auf den Boden des erlassenen Gesetzes zu stelle» - den» damit hätten sie auf die politische Thätigkeit verzichten müsse» , orga»isiren sie de» Kampf gegen das Gesetz und erreichen in der That, daß sich vo» den alte» Fachvereiueu bis »»r zwei Drittel, in Paris nur die Hälfte dem Shudikatsgesetz unterwerfen. Die Possibilisten, wenngleich ausgesprochene Gegner der eigentlich svzinlrevolntionären Parteien, wisse» im Pariser Ge¬ meinderat de» Fachvereinen wirksame Konkurrenz zu mache», namentlich durch Errichtung der großartigen Arbeiterbörse. Doch ist nach den nettesten Beob¬ achtungen der Zug der Bewegung auf gänzliche Enthaltung vo» der Politik gerichtet, und auch die possibilistischen Fachvereine beginnen sich mehr und mehr dem Gesetz zu unterwerfen. Auch die weiter links stehenden sozialistischen Parteien können nicht umhin, sich zur Aufnahme einiger positiven Forderungen in ihr Programm zu bequemen, um die Herrschaft über die noch zu ihnen haltenden Fachvereine nicht ganz zu verlieren. Im Grunde »eng es ihnen — unter der Ful,rnng des neuerdings wieder vielgenannte» Lafargue freilich mehr darum zu thun sein, die Streiks, namentlich die der Bergarbeiter, als politisches Agitativusmittel zu verwerte». Selbstverstä»dlich stehe» auch diese, die marrMsche» Fachvereme, de», Gesetze über die Syndikate fremd und feind¬ selig gegenüber. Erst recht auch die „allerlinksesteu" unter den vielen Isten, die Blanqnisten und Aunrchiste», Aus allen diesen Erscheinungen zieht v. d. Osten den Schluß, daß sich ein geschlossenes revolutionäres Vorgehe» des französischen Arbeiterstandes nicht hat herbeiführen lassen, daß er »ach und nach von wahnwitzigen Unisturzbestrebungeu zu eiuer realpolitischeu Ver¬ tretung seiner Interessen auf öffentlich rechtlichem wie fachgewerblichem Ge¬ biete gelaugt ist, die vielfach' einen Gegensatz zu den Interessen andrer Be¬ völkerungsklassen hervortreten lassen, einen eigentlich sozialen revolutionären Charakter aber nicht mehr bieten, daß zu dieser Entwicklung das Aufkommen einer rein fachgewerblicheu Richtung, das Erstarken fachgewerblicher Verbände im Gegensatz zu nur der revolutiouüreu Bewegung dienstbaren politischen Gruppirungen wesentlich beigetragen,, hat, und^beiß die Entwickelung der fnch- genvssenschaftlichen Verbände durch das Vorhandensein und die Haltung der Unternehmervereine, die Stelluugunhme der besitzenden Klassen und das Ein¬ greifen der Gesetzgebung eine mächtige Förderung erfahren hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/269>, abgerufen am 23.07.2024.