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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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willig angenommene Vorschriften und ohne Verletzung der persönliche" Frei¬
heit das Herunterdrücken der wirtschaftlichen Lage der Arbeiter zu verhindern,
werden sie sich um die französische Industrie ein hohes Verdienst erwerben.
Denn Frankreich würde mit überbürdeten und schwächlichen Arbeitern nicht nur
seine Stellung auf dem Weltmärkte, sondern auch in der Heimat verlieren.
Endlich sagt der Regiernngsentwnrf: Das Gesetz von 1L64 hat dem Streben
nach fachgenvsfenschaftlicher Vereinigung die Bahn geöffnet, und die Probe ist
vollkommen gelungein Die frühere Unterdrückung hatte Spannungen zur Folge,
die fast stets zu Ausbrüchen verbrecherischer Gewalt führten. Mit der Freiheit
haben die Gewaltthaten abgenommen. Arbeitgeber wie Arbeiter gebrauche"
das Recht, sich zur Verteidigung ihrer gemeinsamen Interesse" zu verbinden,
im allgemeinen mit Mäßigung und Klugheit, Wo Fachvereiue der Arbeit¬
geber und Arbeiter neben einander bestehe", da hat man stets die Beobachtung
gemacht, daß die Verständigung leichter und natürlicher ist. Die Führer der
Fachvereine haben das Gefühl der Verantwortlichkeit und suchen zu einer Lösung
der schwebenden Fragen zu kommen. Und an Stelle der Leidenschaft der
Menge tritt der gesunde Sir" "ut die Vernunft hervor, ohne die eine ernste
und dauernde Verständigung nicht möglich ist. Bezeichnend ist, daß es die
Union imtioimlü der Arbeitgeber war, die in letzter Stunde, als das Gesetz
im Senat zu scheitern drohte, mit allem Nachdruck für seine Annahme eintrat.

Gleichzeitig mit dem Gesetz wurde anch Art, 416 des Strafgesetzbuchs
aufgehoben, der vereinbarte Sperren, Strafen und Verrufserklärungen, die die
Freiheit der Arbeit beeinträchtige", unter Strafe stellte. Man wollte einer
einheitlichen Disziplin der Syndikate über ihre Mitglieder nicht hinderlich
sein, hielt die allgemeinen Strafbestimmunge" über Thätlichkeiten, Drohungen
und Nötigungen für ausreichend und glaubte, den in den höher" Ständen
und Vernfstreisen täglich geübte" moralische" Zwang beim Arbeiterstande nicht
unterdrücken zu dürfen. Außerdem glaubte mau, daß das freie Austrittsrecht
der Mitglieder ein Gegengewicht biete.

Was sagt mau wohl in Deutschland, wenn man nach Verabschiedung
des Gesetzes den klerikalen Grafen de Muu triumphirend ausrufe" hört: vor
hundert Jahre" habe ma" das Gewerbe de" Banden der Korporation emtrisse"
und die Freiheit proklnmirt, die sich als leerer Wahn erwiesen; jetzt sei man
am Ende der Bahn angekvmme" und die dritte Republik zertrümmere eigen¬
händig die Schöpfungen der erste" und richte de" Znstmid der alte" Zeiten
wieder auf. Das Urteil v. d. Ostens über das neue Gesetz geht dahin: es sei
ein Ausdruck der in tausend andern Forme" zu Tage tretenden Bemühuuge"
des Menschen, auch den modernen, für den Weltmarkt arbeitenden Wirt-
schaftsvrganismus zu beherrschen, auch die heutigen wirtschaftlichen Verhältnisse
der "zielbewußter" Einwirkung des menschlichen Willens zu unterwerfen. Ja
er findet, daß mit den, Gesetz der soziale Friede zwischen deu Gesellschafts-


willig angenommene Vorschriften und ohne Verletzung der persönliche» Frei¬
heit das Herunterdrücken der wirtschaftlichen Lage der Arbeiter zu verhindern,
werden sie sich um die französische Industrie ein hohes Verdienst erwerben.
Denn Frankreich würde mit überbürdeten und schwächlichen Arbeitern nicht nur
seine Stellung auf dem Weltmärkte, sondern auch in der Heimat verlieren.
Endlich sagt der Regiernngsentwnrf: Das Gesetz von 1L64 hat dem Streben
nach fachgenvsfenschaftlicher Vereinigung die Bahn geöffnet, und die Probe ist
vollkommen gelungein Die frühere Unterdrückung hatte Spannungen zur Folge,
die fast stets zu Ausbrüchen verbrecherischer Gewalt führten. Mit der Freiheit
haben die Gewaltthaten abgenommen. Arbeitgeber wie Arbeiter gebrauche»
das Recht, sich zur Verteidigung ihrer gemeinsamen Interesse» zu verbinden,
im allgemeinen mit Mäßigung und Klugheit, Wo Fachvereiue der Arbeit¬
geber und Arbeiter neben einander bestehe», da hat man stets die Beobachtung
gemacht, daß die Verständigung leichter und natürlicher ist. Die Führer der
Fachvereine haben das Gefühl der Verantwortlichkeit und suchen zu einer Lösung
der schwebenden Fragen zu kommen. Und an Stelle der Leidenschaft der
Menge tritt der gesunde Sir» »ut die Vernunft hervor, ohne die eine ernste
und dauernde Verständigung nicht möglich ist. Bezeichnend ist, daß es die
Union imtioimlü der Arbeitgeber war, die in letzter Stunde, als das Gesetz
im Senat zu scheitern drohte, mit allem Nachdruck für seine Annahme eintrat.

Gleichzeitig mit dem Gesetz wurde anch Art, 416 des Strafgesetzbuchs
aufgehoben, der vereinbarte Sperren, Strafen und Verrufserklärungen, die die
Freiheit der Arbeit beeinträchtige», unter Strafe stellte. Man wollte einer
einheitlichen Disziplin der Syndikate über ihre Mitglieder nicht hinderlich
sein, hielt die allgemeinen Strafbestimmunge» über Thätlichkeiten, Drohungen
und Nötigungen für ausreichend und glaubte, den in den höher» Ständen
und Vernfstreisen täglich geübte» moralische» Zwang beim Arbeiterstande nicht
unterdrücken zu dürfen. Außerdem glaubte mau, daß das freie Austrittsrecht
der Mitglieder ein Gegengewicht biete.

Was sagt mau wohl in Deutschland, wenn man nach Verabschiedung
des Gesetzes den klerikalen Grafen de Muu triumphirend ausrufe» hört: vor
hundert Jahre» habe ma» das Gewerbe de» Banden der Korporation emtrisse»
und die Freiheit proklnmirt, die sich als leerer Wahn erwiesen; jetzt sei man
am Ende der Bahn angekvmme» und die dritte Republik zertrümmere eigen¬
händig die Schöpfungen der erste» und richte de» Znstmid der alte» Zeiten
wieder auf. Das Urteil v. d. Ostens über das neue Gesetz geht dahin: es sei
ein Ausdruck der in tausend andern Forme» zu Tage tretenden Bemühuuge»
des Menschen, auch den modernen, für den Weltmarkt arbeitenden Wirt-
schaftsvrganismus zu beherrschen, auch die heutigen wirtschaftlichen Verhältnisse
der „zielbewußter" Einwirkung des menschlichen Willens zu unterwerfen. Ja
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[0268] willig angenommene Vorschriften und ohne Verletzung der persönliche» Frei¬ heit das Herunterdrücken der wirtschaftlichen Lage der Arbeiter zu verhindern, werden sie sich um die französische Industrie ein hohes Verdienst erwerben. Denn Frankreich würde mit überbürdeten und schwächlichen Arbeitern nicht nur seine Stellung auf dem Weltmärkte, sondern auch in der Heimat verlieren. Endlich sagt der Regiernngsentwnrf: Das Gesetz von 1L64 hat dem Streben nach fachgenvsfenschaftlicher Vereinigung die Bahn geöffnet, und die Probe ist vollkommen gelungein Die frühere Unterdrückung hatte Spannungen zur Folge, die fast stets zu Ausbrüchen verbrecherischer Gewalt führten. Mit der Freiheit haben die Gewaltthaten abgenommen. Arbeitgeber wie Arbeiter gebrauche» das Recht, sich zur Verteidigung ihrer gemeinsamen Interesse» zu verbinden, im allgemeinen mit Mäßigung und Klugheit, Wo Fachvereiue der Arbeit¬ geber und Arbeiter neben einander bestehe», da hat man stets die Beobachtung gemacht, daß die Verständigung leichter und natürlicher ist. Die Führer der Fachvereine haben das Gefühl der Verantwortlichkeit und suchen zu einer Lösung der schwebenden Fragen zu kommen. Und an Stelle der Leidenschaft der Menge tritt der gesunde Sir» »ut die Vernunft hervor, ohne die eine ernste und dauernde Verständigung nicht möglich ist. Bezeichnend ist, daß es die Union imtioimlü der Arbeitgeber war, die in letzter Stunde, als das Gesetz im Senat zu scheitern drohte, mit allem Nachdruck für seine Annahme eintrat. Gleichzeitig mit dem Gesetz wurde anch Art, 416 des Strafgesetzbuchs aufgehoben, der vereinbarte Sperren, Strafen und Verrufserklärungen, die die Freiheit der Arbeit beeinträchtige», unter Strafe stellte. Man wollte einer einheitlichen Disziplin der Syndikate über ihre Mitglieder nicht hinderlich sein, hielt die allgemeinen Strafbestimmunge» über Thätlichkeiten, Drohungen und Nötigungen für ausreichend und glaubte, den in den höher» Ständen und Vernfstreisen täglich geübte» moralische» Zwang beim Arbeiterstande nicht unterdrücken zu dürfen. Außerdem glaubte mau, daß das freie Austrittsrecht der Mitglieder ein Gegengewicht biete. Was sagt mau wohl in Deutschland, wenn man nach Verabschiedung des Gesetzes den klerikalen Grafen de Muu triumphirend ausrufe» hört: vor hundert Jahre» habe ma» das Gewerbe de» Banden der Korporation emtrisse» und die Freiheit proklnmirt, die sich als leerer Wahn erwiesen; jetzt sei man am Ende der Bahn angekvmme» und die dritte Republik zertrümmere eigen¬ händig die Schöpfungen der erste» und richte de» Znstmid der alte» Zeiten wieder auf. Das Urteil v. d. Ostens über das neue Gesetz geht dahin: es sei ein Ausdruck der in tausend andern Forme» zu Tage tretenden Bemühuuge» des Menschen, auch den modernen, für den Weltmarkt arbeitenden Wirt- schaftsvrganismus zu beherrschen, auch die heutigen wirtschaftlichen Verhältnisse der „zielbewußter" Einwirkung des menschlichen Willens zu unterwerfen. Ja er findet, daß mit den, Gesetz der soziale Friede zwischen deu Gesellschafts-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/268>, abgerufen am 23.07.2024.