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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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großen Städten bekanntlich nach Meilen bemessen lassen, unter den "ähnlichen
Gelegenheiten" begriffen wissen will, halten wir ohnedies für selbstverständlich,
denn es wäre unbegründet, in Fällen derartiger angestrengten Arbeitsleistungen
das Bedürfnis nach Erfrischung geringer anzuschlagen und der Befriedigung
weniger wert zu achten als auf Reisen und Ausflügen. Wir wollen jedoch
versuchen, eiuenFall zubildeu, wo jene Ählllichkeit foweit als möglich ausgeschlossen
ist. Ein fünfzehn- bis sechszehnjähriger Maurerlehrling, der schon an geistigen
Getränken hat Geschmack finden lernen, betritt im Arbeitsanzuge eine Schenke,
um seinem verderblichen und nach dem Entwurf gesetzwidrigen Verlangen Ge¬
nüge zu thun/, Er verhehlt sich uicht, daß ihn seine änßere Erscheinung Lügen
strafen würde, wenn er, um das Gesetz zu umgehen, als Tourist austreten
wollte. Daher ersinnt er, ohne genötigt zu sein, feiner Einbildungskraft sonder¬
liche Anstrengungen zuzumuten, ein Histörchen, um das legale Bedürfnis einer
Erfrischung glaubhaft zu machen. Wie könnte das bei uns miaute auch
große Schwierigkeiten haben, wo das Bedürfnis nach Erfrischung so allgemein
ist? So bringt er denn vor, daß er von feinem Meister auf eine Besorgung
ausgeschickt worden, in der Hitze lange gelaufen sei oder noch zu laufen habe
und daher einer Erfrischung durch einen Trunk dringend bedürfe. Und welcher
deutsche Wirt würde wohl den Skeptizismus so weit treiben, Bedenken zu
tragen, dem Burschen Glauben und, in der beruhigenden Zuversicht, unter
dem Schutz und Schirm der vlausul". ALneraliK des h 9 zu handeln, den ge¬
wünschten Schnaps einzuschenken.

Der § 9 ^es ein weiteres Auskunftsmittel an die Hand, sein
Verbot zu umgehen, indem er auch die Personen unter sechzehn Jahren, die sich
unter der Aussicht Großjähriger befinden, davon ausnimmt. Erschien demnach
jener Maurerlehrling in der Schenke in Gesellschaft eines oder einiger um
wenige Jahre ältern jungen Burschen, vielleicht eben derer, die ihn zum Laster
verführten, so überhebt ihn die Mitauwesenheit dieser großjährigen Personen,
die sich leicht bereit finden lassen werden, die Aussicht über ihn live zu über¬
nehmen, auch noch der geringen Mühe, einen Vorwand sür seinen Durst aus¬
findig zu macheu. Heißt das uicht, deu Bock zum Gärtner machen? Gntge-
kleidete Knaben werden den einen wie den andern Notbehelf verschmähen, denn
ein Spazierstock oder Regenschirm setzt sie in den Stand, sich als Reisende oder
Ausflügler hinreichend aufzuweisen. Mau wird ja dem Wirt ein allzu umständ¬
liches Beweisverfahren nicht aufbürde" wollen. Wir sind bemüht gewesen, den
Entwurf gegen den Vorwurf des "Klassengesetzes" zu verteidigen; er hätte
auch deu bösen Schein meiden sollen.

Und wenn wir uns auf den Standpunkt des Entwurfs stellen und davon
ausgehen, daß die Regel, die h 9 enthält, durch die Ausnahme, die er zuläßt,
nicht überhaupt hinfällig gemacht wird, wie foll der Wirt das Alter des jungen
Menschen feststellen, der die Verabreichung geistige" Getränks begehrt? foll er etwa


Grenzboten I 1392 ^
ZINN Trnnksuchtsgesotzentwurf

großen Städten bekanntlich nach Meilen bemessen lassen, unter den „ähnlichen
Gelegenheiten" begriffen wissen will, halten wir ohnedies für selbstverständlich,
denn es wäre unbegründet, in Fällen derartiger angestrengten Arbeitsleistungen
das Bedürfnis nach Erfrischung geringer anzuschlagen und der Befriedigung
weniger wert zu achten als auf Reisen und Ausflügen. Wir wollen jedoch
versuchen, eiuenFall zubildeu, wo jene Ählllichkeit foweit als möglich ausgeschlossen
ist. Ein fünfzehn- bis sechszehnjähriger Maurerlehrling, der schon an geistigen
Getränken hat Geschmack finden lernen, betritt im Arbeitsanzuge eine Schenke,
um seinem verderblichen und nach dem Entwurf gesetzwidrigen Verlangen Ge¬
nüge zu thun/, Er verhehlt sich uicht, daß ihn seine änßere Erscheinung Lügen
strafen würde, wenn er, um das Gesetz zu umgehen, als Tourist austreten
wollte. Daher ersinnt er, ohne genötigt zu sein, feiner Einbildungskraft sonder¬
liche Anstrengungen zuzumuten, ein Histörchen, um das legale Bedürfnis einer
Erfrischung glaubhaft zu machen. Wie könnte das bei uns miaute auch
große Schwierigkeiten haben, wo das Bedürfnis nach Erfrischung so allgemein
ist? So bringt er denn vor, daß er von feinem Meister auf eine Besorgung
ausgeschickt worden, in der Hitze lange gelaufen sei oder noch zu laufen habe
und daher einer Erfrischung durch einen Trunk dringend bedürfe. Und welcher
deutsche Wirt würde wohl den Skeptizismus so weit treiben, Bedenken zu
tragen, dem Burschen Glauben und, in der beruhigenden Zuversicht, unter
dem Schutz und Schirm der vlausul». ALneraliK des h 9 zu handeln, den ge¬
wünschten Schnaps einzuschenken.

Der § 9 ^es ein weiteres Auskunftsmittel an die Hand, sein
Verbot zu umgehen, indem er auch die Personen unter sechzehn Jahren, die sich
unter der Aussicht Großjähriger befinden, davon ausnimmt. Erschien demnach
jener Maurerlehrling in der Schenke in Gesellschaft eines oder einiger um
wenige Jahre ältern jungen Burschen, vielleicht eben derer, die ihn zum Laster
verführten, so überhebt ihn die Mitauwesenheit dieser großjährigen Personen,
die sich leicht bereit finden lassen werden, die Aussicht über ihn live zu über¬
nehmen, auch noch der geringen Mühe, einen Vorwand sür seinen Durst aus¬
findig zu macheu. Heißt das uicht, deu Bock zum Gärtner machen? Gntge-
kleidete Knaben werden den einen wie den andern Notbehelf verschmähen, denn
ein Spazierstock oder Regenschirm setzt sie in den Stand, sich als Reisende oder
Ausflügler hinreichend aufzuweisen. Mau wird ja dem Wirt ein allzu umständ¬
liches Beweisverfahren nicht aufbürde» wollen. Wir sind bemüht gewesen, den
Entwurf gegen den Vorwurf des „Klassengesetzes" zu verteidigen; er hätte
auch deu bösen Schein meiden sollen.

Und wenn wir uns auf den Standpunkt des Entwurfs stellen und davon
ausgehen, daß die Regel, die h 9 enthält, durch die Ausnahme, die er zuläßt,
nicht überhaupt hinfällig gemacht wird, wie foll der Wirt das Alter des jungen
Menschen feststellen, der die Verabreichung geistige« Getränks begehrt? foll er etwa


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[0025] ZINN Trnnksuchtsgesotzentwurf großen Städten bekanntlich nach Meilen bemessen lassen, unter den „ähnlichen Gelegenheiten" begriffen wissen will, halten wir ohnedies für selbstverständlich, denn es wäre unbegründet, in Fällen derartiger angestrengten Arbeitsleistungen das Bedürfnis nach Erfrischung geringer anzuschlagen und der Befriedigung weniger wert zu achten als auf Reisen und Ausflügen. Wir wollen jedoch versuchen, eiuenFall zubildeu, wo jene Ählllichkeit foweit als möglich ausgeschlossen ist. Ein fünfzehn- bis sechszehnjähriger Maurerlehrling, der schon an geistigen Getränken hat Geschmack finden lernen, betritt im Arbeitsanzuge eine Schenke, um seinem verderblichen und nach dem Entwurf gesetzwidrigen Verlangen Ge¬ nüge zu thun/, Er verhehlt sich uicht, daß ihn seine änßere Erscheinung Lügen strafen würde, wenn er, um das Gesetz zu umgehen, als Tourist austreten wollte. Daher ersinnt er, ohne genötigt zu sein, feiner Einbildungskraft sonder¬ liche Anstrengungen zuzumuten, ein Histörchen, um das legale Bedürfnis einer Erfrischung glaubhaft zu machen. Wie könnte das bei uns miaute auch große Schwierigkeiten haben, wo das Bedürfnis nach Erfrischung so allgemein ist? So bringt er denn vor, daß er von feinem Meister auf eine Besorgung ausgeschickt worden, in der Hitze lange gelaufen sei oder noch zu laufen habe und daher einer Erfrischung durch einen Trunk dringend bedürfe. Und welcher deutsche Wirt würde wohl den Skeptizismus so weit treiben, Bedenken zu tragen, dem Burschen Glauben und, in der beruhigenden Zuversicht, unter dem Schutz und Schirm der vlausul». ALneraliK des h 9 zu handeln, den ge¬ wünschten Schnaps einzuschenken. Der § 9 ^es ein weiteres Auskunftsmittel an die Hand, sein Verbot zu umgehen, indem er auch die Personen unter sechzehn Jahren, die sich unter der Aussicht Großjähriger befinden, davon ausnimmt. Erschien demnach jener Maurerlehrling in der Schenke in Gesellschaft eines oder einiger um wenige Jahre ältern jungen Burschen, vielleicht eben derer, die ihn zum Laster verführten, so überhebt ihn die Mitauwesenheit dieser großjährigen Personen, die sich leicht bereit finden lassen werden, die Aussicht über ihn live zu über¬ nehmen, auch noch der geringen Mühe, einen Vorwand sür seinen Durst aus¬ findig zu macheu. Heißt das uicht, deu Bock zum Gärtner machen? Gntge- kleidete Knaben werden den einen wie den andern Notbehelf verschmähen, denn ein Spazierstock oder Regenschirm setzt sie in den Stand, sich als Reisende oder Ausflügler hinreichend aufzuweisen. Mau wird ja dem Wirt ein allzu umständ¬ liches Beweisverfahren nicht aufbürde» wollen. Wir sind bemüht gewesen, den Entwurf gegen den Vorwurf des „Klassengesetzes" zu verteidigen; er hätte auch deu bösen Schein meiden sollen. Und wenn wir uns auf den Standpunkt des Entwurfs stellen und davon ausgehen, daß die Regel, die h 9 enthält, durch die Ausnahme, die er zuläßt, nicht überhaupt hinfällig gemacht wird, wie foll der Wirt das Alter des jungen Menschen feststellen, der die Verabreichung geistige« Getränks begehrt? foll er etwa Grenzboten I 1392 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/25>, abgerufen am 23.07.2024.