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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Zinn Trilnksnchtsgosetzvntmurf

Möglichkeit einer Erklärung in Betracht zu ziehen. Hätten wir vielleicht in
der durch § 1t> des Entwurfs bedrohten Handlung, die der begeht, der Personen,
die noch nicht das sechzehnte Lebensjahr erreicht haben, in den Zustand der
Trunkenheit versetzt, ein Korrelat zu dem selbstverschuldeten Zustande nrgernis-
erregender Trunkenheit des 18 zu erblicken? Wenn wir damit wider Erwarten
das Nichtige getroffen haben sollten, so wäre dem § 18 eine Anwendung ge¬
sichert, aber doch immer uur eine beschränkte. Die Möglichkeit, daß ein Er¬
wachsener ohne sein Zuthun, also ohne eignes Verschulden in Trunkenheit gerät,
scheint uns nach wie vor allzufern zu liegen.

Mit der durch den Schlußsatz des h 1.8 hervorgerufenen Frage, wie sich
einer, der dem Trunk ergeben ist, von Personen unterscheidet, die dem Trunk
gewohnheitsmäßig ergeben sind, wollen wir unsre Jnterpellation zu diesem
Paragraphen beschließen.

Wir haben nun auch einigen der Strafvorschriften des Entwurfs, die
solche Personen betreffen, die der Trunksucht andrer Vorschub leisten, eine
Betrachtung zu widmen.

Nach h 9 ist "den Gast- und Schankwirteu verboten, Personen, welche das
sechzehnte Lebensjahr uoch nicht vollendet haben und sich nicht unter der Auf¬
sicht großjähriger Personen befinden, geistige Getränke zum Genuß auf der
Stelle zu verabreichen." Dieses Verbot findet jedoch nach der weitern Be¬
stimmung des Paragraphen "keine Anwendung ans die Verabreichung zur Be¬
friedigung eines Bedürfnisses der Erfrischung auf Reisen, Ausflügen und bei
äh nu eben Geleg euheiten."

Zunächst ist die Einschränkung, die der wahrhaft wohlthuend wirkende erste
Satz durch deu an Inhalt wie an Form uns gleich unerfreulich berührenden
zweiten Satz erleidet, geeignet, in mehrfacher Hinsicht Bedenken zu erregen. Gewiß
wird dieser zweite Satz von den angehenden Seknndanern mit Genugthuung be¬
grüßt werden. Nach unserm Dafürhalten wäre es den jungen Herren unter sechzehn
Jahren viel zuträglicher, ihren Durst auf andre Weise als durch geistige Getränke
zu stillen. In dem Nmstciude, daß der Entwurf sie durch eine ausdrücklich ge-
trosfne Befreiung von dem Verbot zum Genuß geistiger Getränke geradezu ermuntert
und einlädt und dadurch vielleicht den Grund zu Neigungen legt, die sie über
kurz oder lang mit den Strasvorschriften der dz§ 17 und 18 in Konflikt bringen
können, vermögen wir daher keinen Akt gesetzgeberischer Weisheit zu erblicken,
zumal wenn die Einladung in einer so wenig mustergiltigen und nachahmungs-
werten Schreibweise ergeht. Aber hiervon abgesehen -- wie hat sich der Ver¬
fasser des Entwurfs die Gelegenheiten gedacht, die so beschaffen wären, daß ihnen
der Befund einer Ähnlichkeit mit den Fällen der "Verabreichung zur Befriedigung
eines Bedürfnisses der Erfrischung auf Reifen und Ausflügen" nicht abzuge¬
winnen wäre? Ähnlichkeiten werde,: ja bekanntlich sehr verschieden gesehen.
Daß der Entwurf den Dienst der Laufburschen, deren tägliche Gänge sich in


Zinn Trilnksnchtsgosetzvntmurf

Möglichkeit einer Erklärung in Betracht zu ziehen. Hätten wir vielleicht in
der durch § 1t> des Entwurfs bedrohten Handlung, die der begeht, der Personen,
die noch nicht das sechzehnte Lebensjahr erreicht haben, in den Zustand der
Trunkenheit versetzt, ein Korrelat zu dem selbstverschuldeten Zustande nrgernis-
erregender Trunkenheit des 18 zu erblicken? Wenn wir damit wider Erwarten
das Nichtige getroffen haben sollten, so wäre dem § 18 eine Anwendung ge¬
sichert, aber doch immer uur eine beschränkte. Die Möglichkeit, daß ein Er¬
wachsener ohne sein Zuthun, also ohne eignes Verschulden in Trunkenheit gerät,
scheint uns nach wie vor allzufern zu liegen.

Mit der durch den Schlußsatz des h 1.8 hervorgerufenen Frage, wie sich
einer, der dem Trunk ergeben ist, von Personen unterscheidet, die dem Trunk
gewohnheitsmäßig ergeben sind, wollen wir unsre Jnterpellation zu diesem
Paragraphen beschließen.

Wir haben nun auch einigen der Strafvorschriften des Entwurfs, die
solche Personen betreffen, die der Trunksucht andrer Vorschub leisten, eine
Betrachtung zu widmen.

Nach h 9 ist „den Gast- und Schankwirteu verboten, Personen, welche das
sechzehnte Lebensjahr uoch nicht vollendet haben und sich nicht unter der Auf¬
sicht großjähriger Personen befinden, geistige Getränke zum Genuß auf der
Stelle zu verabreichen." Dieses Verbot findet jedoch nach der weitern Be¬
stimmung des Paragraphen „keine Anwendung ans die Verabreichung zur Be¬
friedigung eines Bedürfnisses der Erfrischung auf Reisen, Ausflügen und bei
äh nu eben Geleg euheiten."

Zunächst ist die Einschränkung, die der wahrhaft wohlthuend wirkende erste
Satz durch deu an Inhalt wie an Form uns gleich unerfreulich berührenden
zweiten Satz erleidet, geeignet, in mehrfacher Hinsicht Bedenken zu erregen. Gewiß
wird dieser zweite Satz von den angehenden Seknndanern mit Genugthuung be¬
grüßt werden. Nach unserm Dafürhalten wäre es den jungen Herren unter sechzehn
Jahren viel zuträglicher, ihren Durst auf andre Weise als durch geistige Getränke
zu stillen. In dem Nmstciude, daß der Entwurf sie durch eine ausdrücklich ge-
trosfne Befreiung von dem Verbot zum Genuß geistiger Getränke geradezu ermuntert
und einlädt und dadurch vielleicht den Grund zu Neigungen legt, die sie über
kurz oder lang mit den Strasvorschriften der dz§ 17 und 18 in Konflikt bringen
können, vermögen wir daher keinen Akt gesetzgeberischer Weisheit zu erblicken,
zumal wenn die Einladung in einer so wenig mustergiltigen und nachahmungs-
werten Schreibweise ergeht. Aber hiervon abgesehen — wie hat sich der Ver¬
fasser des Entwurfs die Gelegenheiten gedacht, die so beschaffen wären, daß ihnen
der Befund einer Ähnlichkeit mit den Fällen der „Verabreichung zur Befriedigung
eines Bedürfnisses der Erfrischung auf Reifen und Ausflügen" nicht abzuge¬
winnen wäre? Ähnlichkeiten werde,: ja bekanntlich sehr verschieden gesehen.
Daß der Entwurf den Dienst der Laufburschen, deren tägliche Gänge sich in


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[0024] Zinn Trilnksnchtsgosetzvntmurf Möglichkeit einer Erklärung in Betracht zu ziehen. Hätten wir vielleicht in der durch § 1t> des Entwurfs bedrohten Handlung, die der begeht, der Personen, die noch nicht das sechzehnte Lebensjahr erreicht haben, in den Zustand der Trunkenheit versetzt, ein Korrelat zu dem selbstverschuldeten Zustande nrgernis- erregender Trunkenheit des 18 zu erblicken? Wenn wir damit wider Erwarten das Nichtige getroffen haben sollten, so wäre dem § 18 eine Anwendung ge¬ sichert, aber doch immer uur eine beschränkte. Die Möglichkeit, daß ein Er¬ wachsener ohne sein Zuthun, also ohne eignes Verschulden in Trunkenheit gerät, scheint uns nach wie vor allzufern zu liegen. Mit der durch den Schlußsatz des h 1.8 hervorgerufenen Frage, wie sich einer, der dem Trunk ergeben ist, von Personen unterscheidet, die dem Trunk gewohnheitsmäßig ergeben sind, wollen wir unsre Jnterpellation zu diesem Paragraphen beschließen. Wir haben nun auch einigen der Strafvorschriften des Entwurfs, die solche Personen betreffen, die der Trunksucht andrer Vorschub leisten, eine Betrachtung zu widmen. Nach h 9 ist „den Gast- und Schankwirteu verboten, Personen, welche das sechzehnte Lebensjahr uoch nicht vollendet haben und sich nicht unter der Auf¬ sicht großjähriger Personen befinden, geistige Getränke zum Genuß auf der Stelle zu verabreichen." Dieses Verbot findet jedoch nach der weitern Be¬ stimmung des Paragraphen „keine Anwendung ans die Verabreichung zur Be¬ friedigung eines Bedürfnisses der Erfrischung auf Reisen, Ausflügen und bei äh nu eben Geleg euheiten." Zunächst ist die Einschränkung, die der wahrhaft wohlthuend wirkende erste Satz durch deu an Inhalt wie an Form uns gleich unerfreulich berührenden zweiten Satz erleidet, geeignet, in mehrfacher Hinsicht Bedenken zu erregen. Gewiß wird dieser zweite Satz von den angehenden Seknndanern mit Genugthuung be¬ grüßt werden. Nach unserm Dafürhalten wäre es den jungen Herren unter sechzehn Jahren viel zuträglicher, ihren Durst auf andre Weise als durch geistige Getränke zu stillen. In dem Nmstciude, daß der Entwurf sie durch eine ausdrücklich ge- trosfne Befreiung von dem Verbot zum Genuß geistiger Getränke geradezu ermuntert und einlädt und dadurch vielleicht den Grund zu Neigungen legt, die sie über kurz oder lang mit den Strasvorschriften der dz§ 17 und 18 in Konflikt bringen können, vermögen wir daher keinen Akt gesetzgeberischer Weisheit zu erblicken, zumal wenn die Einladung in einer so wenig mustergiltigen und nachahmungs- werten Schreibweise ergeht. Aber hiervon abgesehen — wie hat sich der Ver¬ fasser des Entwurfs die Gelegenheiten gedacht, die so beschaffen wären, daß ihnen der Befund einer Ähnlichkeit mit den Fällen der „Verabreichung zur Befriedigung eines Bedürfnisses der Erfrischung auf Reifen und Ausflügen" nicht abzuge¬ winnen wäre? Ähnlichkeiten werde,: ja bekanntlich sehr verschieden gesehen. Daß der Entwurf den Dienst der Laufburschen, deren tägliche Gänge sich in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/24>, abgerufen am 23.07.2024.