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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Der Überfluß an Gerichtsassessoreu

"Überproduktion/' wie der jetzigen, gezwungen, jahrelang ohne einen Pfennig
Gehalt dem Staate Dienste zu leisten. Die Advokatur ist nachgerade auch
derart überfüllt, daß ein wesentlicher dauernder Abfluß nach dieser Seite
nicht mehr stattfindet. Der Zustand, daß eine große Zahl von Staatsbeamten,
die Anwärter ans etatsmäßige Stellen im höhern Beamtentum sind, Aufgaben
solcher Bemntcnstellungen mit eigner Verantwortung zu erfüllen haben, ohne
dafür irgendwie bezahlt zu werden, ist ein der Justiz und namentlich der
Preußischen Justiz eigentümlicher Zustand, aber ein Zustand, der mit Recht
als ganz ungehörig und beklagenswert nicht erst seit heute und gestern, sondern
schon eben so lauge bezeichnet worden ist, wie es die Erscheinung des unbe-
soldeten Assessors giebt. Es ist selbstverständlich, daß die Klagen über diesen
Zustand weniger vernehmlich sind und teilweise ganz verstummen, wenn das
Angebot an Assessoren geringer oder wenigstens nicht größer als der Bedarf
ist -- eine Lage, in der sich z. B. die preußische Justizverwaltung in den
siebziger Jahren befand --, daß diese Klagen aber wachsen und zunehmen, wenn
eine schnelle Steigerung der Assessorenzahl längere Zeit andauert, wie es in Preuße"
in den sechziger Jahren der Fall war und jetzt wieder seit Mitte der achtziger
Jahre in erschreckendem Tempo geschieht. Nirgends vielleicht ist die Gefahr
der Entstehung eines gebildeten Proletariats größer als hier, und manche An¬
zeichen sprechen dafür, daß diese Gefahr auch an den höhern Stellen der
Justizverwaltung längst erkannt ist und gewürdigt wird. Dennoch hört man
nichts von Mitteln zur Abhilfe, und mau muß zugeben, daß es schwer sein
mag, solche zu finden. Um so berechtigter wird es erscheinen, wenn Vor¬
schläge hervortreten, die vielleicht geeignet sind, zur Lösung der Schwierig¬
keiten beizutragen.

Diese Vorschläge gehen, wie vorausgeschickt werden muß, von dem Gedanken
aus, daß es ganz! unzulässig sein würde, etwa die Wahl des Studiums in
irgend einer Weise zu beschränken, daß es ferner ebensowenig zu rechtfertigen
wäre, eine Art Abschreckungsvcrfnhren einzuführen durch noch weitere Ver¬
ringerungen der Aussichten für eine Anstellung im höhern Jnstizdienst, daß
aber andrerseits dem Staate nicht zugemutet werden darf, mehr etatsmäßige
Stellen zu schaffen, als das Bedürfnis erfordert. Der einzige gangbare Weg,
dessen Betreten weder politische, noch sittliche, noch auch zwingende finanzielle
Gründe hindern, ist vielmehr -- und das ist die Überzeugung, auf der die
folgenden Darlegungen beruhen -- die Einführung einer, wenn auch vielleicht
geringen Besoldung der vom Staate nach bestandner Staatsprüfung beschäf¬
tigten Gerichtsasfessorcn. Die Schwierigkeit, die bei einer solchen Einrichtung
zu lösen ist, ist aber eine doppelte: einmal die Beschaffung eines einigermaßen
ausreichenden Arbeitspensums für diese besoldeten Assessoren, zweitens die Ver¬
meidung einer zu großen finanziellen Belastung der Staatskasse.

Die Umschaffung etatsmäsnger Stellen, die immerhin eine kleine Hilfe


Der Überfluß an Gerichtsassessoreu

„Überproduktion/' wie der jetzigen, gezwungen, jahrelang ohne einen Pfennig
Gehalt dem Staate Dienste zu leisten. Die Advokatur ist nachgerade auch
derart überfüllt, daß ein wesentlicher dauernder Abfluß nach dieser Seite
nicht mehr stattfindet. Der Zustand, daß eine große Zahl von Staatsbeamten,
die Anwärter ans etatsmäßige Stellen im höhern Beamtentum sind, Aufgaben
solcher Bemntcnstellungen mit eigner Verantwortung zu erfüllen haben, ohne
dafür irgendwie bezahlt zu werden, ist ein der Justiz und namentlich der
Preußischen Justiz eigentümlicher Zustand, aber ein Zustand, der mit Recht
als ganz ungehörig und beklagenswert nicht erst seit heute und gestern, sondern
schon eben so lauge bezeichnet worden ist, wie es die Erscheinung des unbe-
soldeten Assessors giebt. Es ist selbstverständlich, daß die Klagen über diesen
Zustand weniger vernehmlich sind und teilweise ganz verstummen, wenn das
Angebot an Assessoren geringer oder wenigstens nicht größer als der Bedarf
ist — eine Lage, in der sich z. B. die preußische Justizverwaltung in den
siebziger Jahren befand —, daß diese Klagen aber wachsen und zunehmen, wenn
eine schnelle Steigerung der Assessorenzahl längere Zeit andauert, wie es in Preuße»
in den sechziger Jahren der Fall war und jetzt wieder seit Mitte der achtziger
Jahre in erschreckendem Tempo geschieht. Nirgends vielleicht ist die Gefahr
der Entstehung eines gebildeten Proletariats größer als hier, und manche An¬
zeichen sprechen dafür, daß diese Gefahr auch an den höhern Stellen der
Justizverwaltung längst erkannt ist und gewürdigt wird. Dennoch hört man
nichts von Mitteln zur Abhilfe, und mau muß zugeben, daß es schwer sein
mag, solche zu finden. Um so berechtigter wird es erscheinen, wenn Vor¬
schläge hervortreten, die vielleicht geeignet sind, zur Lösung der Schwierig¬
keiten beizutragen.

Diese Vorschläge gehen, wie vorausgeschickt werden muß, von dem Gedanken
aus, daß es ganz! unzulässig sein würde, etwa die Wahl des Studiums in
irgend einer Weise zu beschränken, daß es ferner ebensowenig zu rechtfertigen
wäre, eine Art Abschreckungsvcrfnhren einzuführen durch noch weitere Ver¬
ringerungen der Aussichten für eine Anstellung im höhern Jnstizdienst, daß
aber andrerseits dem Staate nicht zugemutet werden darf, mehr etatsmäßige
Stellen zu schaffen, als das Bedürfnis erfordert. Der einzige gangbare Weg,
dessen Betreten weder politische, noch sittliche, noch auch zwingende finanzielle
Gründe hindern, ist vielmehr — und das ist die Überzeugung, auf der die
folgenden Darlegungen beruhen — die Einführung einer, wenn auch vielleicht
geringen Besoldung der vom Staate nach bestandner Staatsprüfung beschäf¬
tigten Gerichtsasfessorcn. Die Schwierigkeit, die bei einer solchen Einrichtung
zu lösen ist, ist aber eine doppelte: einmal die Beschaffung eines einigermaßen
ausreichenden Arbeitspensums für diese besoldeten Assessoren, zweitens die Ver¬
meidung einer zu großen finanziellen Belastung der Staatskasse.

Die Umschaffung etatsmäsnger Stellen, die immerhin eine kleine Hilfe


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[0235] Der Überfluß an Gerichtsassessoreu „Überproduktion/' wie der jetzigen, gezwungen, jahrelang ohne einen Pfennig Gehalt dem Staate Dienste zu leisten. Die Advokatur ist nachgerade auch derart überfüllt, daß ein wesentlicher dauernder Abfluß nach dieser Seite nicht mehr stattfindet. Der Zustand, daß eine große Zahl von Staatsbeamten, die Anwärter ans etatsmäßige Stellen im höhern Beamtentum sind, Aufgaben solcher Bemntcnstellungen mit eigner Verantwortung zu erfüllen haben, ohne dafür irgendwie bezahlt zu werden, ist ein der Justiz und namentlich der Preußischen Justiz eigentümlicher Zustand, aber ein Zustand, der mit Recht als ganz ungehörig und beklagenswert nicht erst seit heute und gestern, sondern schon eben so lauge bezeichnet worden ist, wie es die Erscheinung des unbe- soldeten Assessors giebt. Es ist selbstverständlich, daß die Klagen über diesen Zustand weniger vernehmlich sind und teilweise ganz verstummen, wenn das Angebot an Assessoren geringer oder wenigstens nicht größer als der Bedarf ist — eine Lage, in der sich z. B. die preußische Justizverwaltung in den siebziger Jahren befand —, daß diese Klagen aber wachsen und zunehmen, wenn eine schnelle Steigerung der Assessorenzahl längere Zeit andauert, wie es in Preuße» in den sechziger Jahren der Fall war und jetzt wieder seit Mitte der achtziger Jahre in erschreckendem Tempo geschieht. Nirgends vielleicht ist die Gefahr der Entstehung eines gebildeten Proletariats größer als hier, und manche An¬ zeichen sprechen dafür, daß diese Gefahr auch an den höhern Stellen der Justizverwaltung längst erkannt ist und gewürdigt wird. Dennoch hört man nichts von Mitteln zur Abhilfe, und mau muß zugeben, daß es schwer sein mag, solche zu finden. Um so berechtigter wird es erscheinen, wenn Vor¬ schläge hervortreten, die vielleicht geeignet sind, zur Lösung der Schwierig¬ keiten beizutragen. Diese Vorschläge gehen, wie vorausgeschickt werden muß, von dem Gedanken aus, daß es ganz! unzulässig sein würde, etwa die Wahl des Studiums in irgend einer Weise zu beschränken, daß es ferner ebensowenig zu rechtfertigen wäre, eine Art Abschreckungsvcrfnhren einzuführen durch noch weitere Ver¬ ringerungen der Aussichten für eine Anstellung im höhern Jnstizdienst, daß aber andrerseits dem Staate nicht zugemutet werden darf, mehr etatsmäßige Stellen zu schaffen, als das Bedürfnis erfordert. Der einzige gangbare Weg, dessen Betreten weder politische, noch sittliche, noch auch zwingende finanzielle Gründe hindern, ist vielmehr — und das ist die Überzeugung, auf der die folgenden Darlegungen beruhen — die Einführung einer, wenn auch vielleicht geringen Besoldung der vom Staate nach bestandner Staatsprüfung beschäf¬ tigten Gerichtsasfessorcn. Die Schwierigkeit, die bei einer solchen Einrichtung zu lösen ist, ist aber eine doppelte: einmal die Beschaffung eines einigermaßen ausreichenden Arbeitspensums für diese besoldeten Assessoren, zweitens die Ver¬ meidung einer zu großen finanziellen Belastung der Staatskasse. Die Umschaffung etatsmäsnger Stellen, die immerhin eine kleine Hilfe

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/235>, abgerufen am 23.07.2024.