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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Buchdruckereibesitzer wurde beschlossen, trotz der von den Gehilfen beliebten
Kündigung an dem Tarif vom 1. Januar 1890 auch ferner zunächst für das
Jahr 1892 festzuhalten. Einzelne Firmen nehmen die Ausständigem allerdings
nur unter der Bedingung des Austritts aus dem Verbände wieder an. Die
Regierung hat endlich den Vorstand des Verbands aufgefordert, das Vereins¬
statut derart abzuändern, daß künftig eine Unterstützung ausständiger Mitglieder
ans Vereinsmitteln nicht mehr möglich ist.

Wie wir sehen, ist in dem verflossenen Halbjahre der Vorstoß in der
Arbeiterbewegung in erster Linie von den Gewerkvereiuen ausgegangen. Die
Svzialoemokratie hat den Streiks gegenüber eine im ganzen ablehnende Hal¬
tung eingenommen. Die Unterstützung war, wo man sie zuletzt doch eintreten
ließ, stets geringfügig, selten mehr als K Mark für den Kopf und die Woche,
und im wesentlichen wurde sie auch nur dort gewährt, wo sichs um die Er¬
haltung des Vereiuigungsrechtes der Arbeiter handelte. Unterstützt worden
sind anscheinend nur die Aufstände der Seiler in Altona, der Stellmacher in
Bremerhaven, der Former in Köln, der Zwicker in Barmstedt, der Weber in
Lindenau, der Töpfergesellen in Leipzig, der Weißgerber in Berlin, der Kefsel-
reiniger in Hamburg und der Handschuhmacher in Burg, Äeguitz, Friedrichs¬
hagen und Osterwicck. Diese Streits sind überdies trotzdem bis auf zwei
die, wie gesagt,, noch nicht ganz entschieden sind, verloren worden. Schon
die geringen Mittel, über die die sozialdemokratische Partei zur Zeit ver¬
fügte, verlangten von ihr Sparsamkeit. Der im Mai gesammelte Fonds von
80009 Mark war bald verbraucht, und die Streikkassen der Partei waren
geleert. Aus diesem Grunde wurden zum Teil auch die Agitationen gegen
die Getreidezölle statt in Versammlungen nur noch in der Presse fortgesetzt.

Auch noch andre Gründe waren sür diese Zurückhaltung maßgebend.
Streitigkeiten innerhalb der Partei nahmen die Aufmerksamkeit der Führer
vollständig in Anspruch. Bekanntlich ist ein großer Teil der Berliner Ge¬
nossen mit der Taktik der Vertreter ihrer Fraktion im Reichstage nicht ein¬
verstanden. Sie verlangen, daß dort von den Abgeordneten der Partei eine
schärfere Tonart angeschlagen werde. Sie sehen in deren Teilnahme an
den Verhandlungen ein Aufgeben des revolutionären Charakters der Partei.
Um diese Meinungsverschiedenheiten zum Austrag zu bringen, wurde im
August v. I. ein Kongreß der Partei nach Erfurt einberufen. Auf die dortigem
Verhandlungen brauchen wir nicht nochmals einzugehen, sie sind in den
Grenzboten schon mehrfach besprochen worden. An dein Kongreß beteiligten
sich 250 Abgeordnete, und er endigte mit der Ausschließung jeuer Opposition
aus der Partei, d. h. mit einem Siege der opportunistischen über die radikalen
Elemente. Ferner wurde uns dein Kongreß das politische Programm der
Partei revidirt. Mit Bezug auf die Arbeiterbewegung stellt es folgende Ziele
auf: 1. Einführung eines Nvrmalnrbeitstages von acht Stunden, 2. Stellung


Buchdruckereibesitzer wurde beschlossen, trotz der von den Gehilfen beliebten
Kündigung an dem Tarif vom 1. Januar 1890 auch ferner zunächst für das
Jahr 1892 festzuhalten. Einzelne Firmen nehmen die Ausständigem allerdings
nur unter der Bedingung des Austritts aus dem Verbände wieder an. Die
Regierung hat endlich den Vorstand des Verbands aufgefordert, das Vereins¬
statut derart abzuändern, daß künftig eine Unterstützung ausständiger Mitglieder
ans Vereinsmitteln nicht mehr möglich ist.

Wie wir sehen, ist in dem verflossenen Halbjahre der Vorstoß in der
Arbeiterbewegung in erster Linie von den Gewerkvereiuen ausgegangen. Die
Svzialoemokratie hat den Streiks gegenüber eine im ganzen ablehnende Hal¬
tung eingenommen. Die Unterstützung war, wo man sie zuletzt doch eintreten
ließ, stets geringfügig, selten mehr als K Mark für den Kopf und die Woche,
und im wesentlichen wurde sie auch nur dort gewährt, wo sichs um die Er¬
haltung des Vereiuigungsrechtes der Arbeiter handelte. Unterstützt worden
sind anscheinend nur die Aufstände der Seiler in Altona, der Stellmacher in
Bremerhaven, der Former in Köln, der Zwicker in Barmstedt, der Weber in
Lindenau, der Töpfergesellen in Leipzig, der Weißgerber in Berlin, der Kefsel-
reiniger in Hamburg und der Handschuhmacher in Burg, Äeguitz, Friedrichs¬
hagen und Osterwicck. Diese Streits sind überdies trotzdem bis auf zwei
die, wie gesagt,, noch nicht ganz entschieden sind, verloren worden. Schon
die geringen Mittel, über die die sozialdemokratische Partei zur Zeit ver¬
fügte, verlangten von ihr Sparsamkeit. Der im Mai gesammelte Fonds von
80009 Mark war bald verbraucht, und die Streikkassen der Partei waren
geleert. Aus diesem Grunde wurden zum Teil auch die Agitationen gegen
die Getreidezölle statt in Versammlungen nur noch in der Presse fortgesetzt.

Auch noch andre Gründe waren sür diese Zurückhaltung maßgebend.
Streitigkeiten innerhalb der Partei nahmen die Aufmerksamkeit der Führer
vollständig in Anspruch. Bekanntlich ist ein großer Teil der Berliner Ge¬
nossen mit der Taktik der Vertreter ihrer Fraktion im Reichstage nicht ein¬
verstanden. Sie verlangen, daß dort von den Abgeordneten der Partei eine
schärfere Tonart angeschlagen werde. Sie sehen in deren Teilnahme an
den Verhandlungen ein Aufgeben des revolutionären Charakters der Partei.
Um diese Meinungsverschiedenheiten zum Austrag zu bringen, wurde im
August v. I. ein Kongreß der Partei nach Erfurt einberufen. Auf die dortigem
Verhandlungen brauchen wir nicht nochmals einzugehen, sie sind in den
Grenzboten schon mehrfach besprochen worden. An dein Kongreß beteiligten
sich 250 Abgeordnete, und er endigte mit der Ausschließung jeuer Opposition
aus der Partei, d. h. mit einem Siege der opportunistischen über die radikalen
Elemente. Ferner wurde uns dein Kongreß das politische Programm der
Partei revidirt. Mit Bezug auf die Arbeiterbewegung stellt es folgende Ziele
auf: 1. Einführung eines Nvrmalnrbeitstages von acht Stunden, 2. Stellung


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[0214] Buchdruckereibesitzer wurde beschlossen, trotz der von den Gehilfen beliebten Kündigung an dem Tarif vom 1. Januar 1890 auch ferner zunächst für das Jahr 1892 festzuhalten. Einzelne Firmen nehmen die Ausständigem allerdings nur unter der Bedingung des Austritts aus dem Verbände wieder an. Die Regierung hat endlich den Vorstand des Verbands aufgefordert, das Vereins¬ statut derart abzuändern, daß künftig eine Unterstützung ausständiger Mitglieder ans Vereinsmitteln nicht mehr möglich ist. Wie wir sehen, ist in dem verflossenen Halbjahre der Vorstoß in der Arbeiterbewegung in erster Linie von den Gewerkvereiuen ausgegangen. Die Svzialoemokratie hat den Streiks gegenüber eine im ganzen ablehnende Hal¬ tung eingenommen. Die Unterstützung war, wo man sie zuletzt doch eintreten ließ, stets geringfügig, selten mehr als K Mark für den Kopf und die Woche, und im wesentlichen wurde sie auch nur dort gewährt, wo sichs um die Er¬ haltung des Vereiuigungsrechtes der Arbeiter handelte. Unterstützt worden sind anscheinend nur die Aufstände der Seiler in Altona, der Stellmacher in Bremerhaven, der Former in Köln, der Zwicker in Barmstedt, der Weber in Lindenau, der Töpfergesellen in Leipzig, der Weißgerber in Berlin, der Kefsel- reiniger in Hamburg und der Handschuhmacher in Burg, Äeguitz, Friedrichs¬ hagen und Osterwicck. Diese Streits sind überdies trotzdem bis auf zwei die, wie gesagt,, noch nicht ganz entschieden sind, verloren worden. Schon die geringen Mittel, über die die sozialdemokratische Partei zur Zeit ver¬ fügte, verlangten von ihr Sparsamkeit. Der im Mai gesammelte Fonds von 80009 Mark war bald verbraucht, und die Streikkassen der Partei waren geleert. Aus diesem Grunde wurden zum Teil auch die Agitationen gegen die Getreidezölle statt in Versammlungen nur noch in der Presse fortgesetzt. Auch noch andre Gründe waren sür diese Zurückhaltung maßgebend. Streitigkeiten innerhalb der Partei nahmen die Aufmerksamkeit der Führer vollständig in Anspruch. Bekanntlich ist ein großer Teil der Berliner Ge¬ nossen mit der Taktik der Vertreter ihrer Fraktion im Reichstage nicht ein¬ verstanden. Sie verlangen, daß dort von den Abgeordneten der Partei eine schärfere Tonart angeschlagen werde. Sie sehen in deren Teilnahme an den Verhandlungen ein Aufgeben des revolutionären Charakters der Partei. Um diese Meinungsverschiedenheiten zum Austrag zu bringen, wurde im August v. I. ein Kongreß der Partei nach Erfurt einberufen. Auf die dortigem Verhandlungen brauchen wir nicht nochmals einzugehen, sie sind in den Grenzboten schon mehrfach besprochen worden. An dein Kongreß beteiligten sich 250 Abgeordnete, und er endigte mit der Ausschließung jeuer Opposition aus der Partei, d. h. mit einem Siege der opportunistischen über die radikalen Elemente. Ferner wurde uns dein Kongreß das politische Programm der Partei revidirt. Mit Bezug auf die Arbeiterbewegung stellt es folgende Ziele auf: 1. Einführung eines Nvrmalnrbeitstages von acht Stunden, 2. Stellung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/214>, abgerufen am 23.07.2024.