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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Der Stand der Arbeiterbewegung

Die Ziele des Verbandes sind aus die Herbeiführung einer achtstündigen
Arbeitszeit gerichtet. Mit jener Arbeitseinstellung wollte man sich zunächst
eine Herabsetzung der Arbeitszeit ans 9 Stunden d. h. mit Abzug der Pausen
auf 8^/2 Stunde erkämpfen. Gleichzeitig forderte man anfangs eine Lohn¬
erhöhung von 20 Prozent, ist aber zuletzt davon wieder abgegangen, da man ans
zu großen Widerstand stieß. Vor Beginn des Aufstandes sind die Mitglieder
des Verbandes vom Vorstände um ihre Ansicht gefragt worden. 15315
Stimmzettel sollen sich für eine Kürzung der Arbeitszeit und nur 1332 da¬
gegen ausgesprochen habe". 120 kleinere Druckereien mit 1800 Gehilfen sind
angeblich auf diese Forderung anfangs eingegangen. Dagegen haben sich die
größer" Druckereien, insbesondre in den Hauptdrnckvrten Leipzig, Stuttgart,
Berlin, Hamburg, gänzlich ablehnend verhalten, und ihnen folgten die Drucke¬
reien in den Mitteldruckorten München, Frankfurt, Karlsruhe, Wiesbaden,
Nürnberg, Würzburg, Halle, Erfurt, Kassel, Hannover, Bremen, Lübeck, Stettin,
Königsberg, Breslau u. s. w. Infolgedessen legten Anfang November v. I.
an 9800 Gehilfen die Arbeit nieder. Bei dein Aufgeben des Arbeitsverhält¬
nisses scheinen im allgemeinen die Kündigungsfristen eingehalten worden zu
sein. Vermittlungsversuche, die in Dresden der Geheime Rat Böhmert und
in Berlin der Magiftratsasfesfor Freund unternahmen, scheiterten an der Ab¬
neigung beider Parteien. Jedem der Ausständigen wurde anfangs ans der
Verbandskasse eine Unterstützung von 21 Mark gewährt. Später ist die
Summe verringert worden. Der Verband verfügte von Haus aus über große
Geldmittel. Nur allein in der Leipziger Tarifkaffe befanden sich Ende August
v. I. 24L131 Mark. Die Gewerkvereine Englands, die Trabes llnivns, er¬
klärten sich mit dem Ziele der Bewegung ebenfalls einverstanden und sollen
zur Unterstützung angeblich gegen 50000 Mark gesandt haben. Große
Summen wurden noch aus Amerika erwartet. Es erging ein Aufruf um die
Arbeiter aller Länder. Der größere Teil der Arbeiterschaft Deutschlands be¬
gleitete den Aufstand mit seinen Sympathien. Infolge der langen Dauer
des Streiks begannen jedoch die Mittel allmählich knapp zu werden. Ein
Versuch, die 900000 Mark betragende Pensionskasse des Verbands für den
Streik zu verwenden, ist durch bereu gerichtliche Beschlagnahme verhindert
worden. An einigen Orten, wie Breslau, Glogau, Königsberg, Kassel, Frank¬
furt, nahmen noch vor Schluß des vorigen Jahres die Ausständigen bedin¬
gungslos die Arbeit wieder auf. Der Streik ist zuletzt im Sande verlaufen
und hat im ganzen ö bis 10 Wochen gedauert. Die Kosten des Aufstandes
werden zu 1,^/z Millionen Mark angegeben.

Das Publikum hat so gut wie gar nicht unter dein Streik zu leiden
gehabt, da es den Zeitnngsofsizinen gelang, für die Streitenden Ersatz zu
schaffen. In einer am 2t. Dezember v. I. im deutschen Buchhändlerhanse
zu Leipzig abgehaltenen Versammlung der vereinigten Lokalausschüsse dn


Der Stand der Arbeiterbewegung

Die Ziele des Verbandes sind aus die Herbeiführung einer achtstündigen
Arbeitszeit gerichtet. Mit jener Arbeitseinstellung wollte man sich zunächst
eine Herabsetzung der Arbeitszeit ans 9 Stunden d. h. mit Abzug der Pausen
auf 8^/2 Stunde erkämpfen. Gleichzeitig forderte man anfangs eine Lohn¬
erhöhung von 20 Prozent, ist aber zuletzt davon wieder abgegangen, da man ans
zu großen Widerstand stieß. Vor Beginn des Aufstandes sind die Mitglieder
des Verbandes vom Vorstände um ihre Ansicht gefragt worden. 15315
Stimmzettel sollen sich für eine Kürzung der Arbeitszeit und nur 1332 da¬
gegen ausgesprochen habe«. 120 kleinere Druckereien mit 1800 Gehilfen sind
angeblich auf diese Forderung anfangs eingegangen. Dagegen haben sich die
größer» Druckereien, insbesondre in den Hauptdrnckvrten Leipzig, Stuttgart,
Berlin, Hamburg, gänzlich ablehnend verhalten, und ihnen folgten die Drucke¬
reien in den Mitteldruckorten München, Frankfurt, Karlsruhe, Wiesbaden,
Nürnberg, Würzburg, Halle, Erfurt, Kassel, Hannover, Bremen, Lübeck, Stettin,
Königsberg, Breslau u. s. w. Infolgedessen legten Anfang November v. I.
an 9800 Gehilfen die Arbeit nieder. Bei dein Aufgeben des Arbeitsverhält¬
nisses scheinen im allgemeinen die Kündigungsfristen eingehalten worden zu
sein. Vermittlungsversuche, die in Dresden der Geheime Rat Böhmert und
in Berlin der Magiftratsasfesfor Freund unternahmen, scheiterten an der Ab¬
neigung beider Parteien. Jedem der Ausständigen wurde anfangs ans der
Verbandskasse eine Unterstützung von 21 Mark gewährt. Später ist die
Summe verringert worden. Der Verband verfügte von Haus aus über große
Geldmittel. Nur allein in der Leipziger Tarifkaffe befanden sich Ende August
v. I. 24L131 Mark. Die Gewerkvereine Englands, die Trabes llnivns, er¬
klärten sich mit dem Ziele der Bewegung ebenfalls einverstanden und sollen
zur Unterstützung angeblich gegen 50000 Mark gesandt haben. Große
Summen wurden noch aus Amerika erwartet. Es erging ein Aufruf um die
Arbeiter aller Länder. Der größere Teil der Arbeiterschaft Deutschlands be¬
gleitete den Aufstand mit seinen Sympathien. Infolge der langen Dauer
des Streiks begannen jedoch die Mittel allmählich knapp zu werden. Ein
Versuch, die 900000 Mark betragende Pensionskasse des Verbands für den
Streik zu verwenden, ist durch bereu gerichtliche Beschlagnahme verhindert
worden. An einigen Orten, wie Breslau, Glogau, Königsberg, Kassel, Frank¬
furt, nahmen noch vor Schluß des vorigen Jahres die Ausständigen bedin¬
gungslos die Arbeit wieder auf. Der Streik ist zuletzt im Sande verlaufen
und hat im ganzen ö bis 10 Wochen gedauert. Die Kosten des Aufstandes
werden zu 1,^/z Millionen Mark angegeben.

Das Publikum hat so gut wie gar nicht unter dein Streik zu leiden
gehabt, da es den Zeitnngsofsizinen gelang, für die Streitenden Ersatz zu
schaffen. In einer am 2t. Dezember v. I. im deutschen Buchhändlerhanse
zu Leipzig abgehaltenen Versammlung der vereinigten Lokalausschüsse dn


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[0213] Der Stand der Arbeiterbewegung Die Ziele des Verbandes sind aus die Herbeiführung einer achtstündigen Arbeitszeit gerichtet. Mit jener Arbeitseinstellung wollte man sich zunächst eine Herabsetzung der Arbeitszeit ans 9 Stunden d. h. mit Abzug der Pausen auf 8^/2 Stunde erkämpfen. Gleichzeitig forderte man anfangs eine Lohn¬ erhöhung von 20 Prozent, ist aber zuletzt davon wieder abgegangen, da man ans zu großen Widerstand stieß. Vor Beginn des Aufstandes sind die Mitglieder des Verbandes vom Vorstände um ihre Ansicht gefragt worden. 15315 Stimmzettel sollen sich für eine Kürzung der Arbeitszeit und nur 1332 da¬ gegen ausgesprochen habe«. 120 kleinere Druckereien mit 1800 Gehilfen sind angeblich auf diese Forderung anfangs eingegangen. Dagegen haben sich die größer» Druckereien, insbesondre in den Hauptdrnckvrten Leipzig, Stuttgart, Berlin, Hamburg, gänzlich ablehnend verhalten, und ihnen folgten die Drucke¬ reien in den Mitteldruckorten München, Frankfurt, Karlsruhe, Wiesbaden, Nürnberg, Würzburg, Halle, Erfurt, Kassel, Hannover, Bremen, Lübeck, Stettin, Königsberg, Breslau u. s. w. Infolgedessen legten Anfang November v. I. an 9800 Gehilfen die Arbeit nieder. Bei dein Aufgeben des Arbeitsverhält¬ nisses scheinen im allgemeinen die Kündigungsfristen eingehalten worden zu sein. Vermittlungsversuche, die in Dresden der Geheime Rat Böhmert und in Berlin der Magiftratsasfesfor Freund unternahmen, scheiterten an der Ab¬ neigung beider Parteien. Jedem der Ausständigen wurde anfangs ans der Verbandskasse eine Unterstützung von 21 Mark gewährt. Später ist die Summe verringert worden. Der Verband verfügte von Haus aus über große Geldmittel. Nur allein in der Leipziger Tarifkaffe befanden sich Ende August v. I. 24L131 Mark. Die Gewerkvereine Englands, die Trabes llnivns, er¬ klärten sich mit dem Ziele der Bewegung ebenfalls einverstanden und sollen zur Unterstützung angeblich gegen 50000 Mark gesandt haben. Große Summen wurden noch aus Amerika erwartet. Es erging ein Aufruf um die Arbeiter aller Länder. Der größere Teil der Arbeiterschaft Deutschlands be¬ gleitete den Aufstand mit seinen Sympathien. Infolge der langen Dauer des Streiks begannen jedoch die Mittel allmählich knapp zu werden. Ein Versuch, die 900000 Mark betragende Pensionskasse des Verbands für den Streik zu verwenden, ist durch bereu gerichtliche Beschlagnahme verhindert worden. An einigen Orten, wie Breslau, Glogau, Königsberg, Kassel, Frank¬ furt, nahmen noch vor Schluß des vorigen Jahres die Ausständigen bedin¬ gungslos die Arbeit wieder auf. Der Streik ist zuletzt im Sande verlaufen und hat im ganzen ö bis 10 Wochen gedauert. Die Kosten des Aufstandes werden zu 1,^/z Millionen Mark angegeben. Das Publikum hat so gut wie gar nicht unter dein Streik zu leiden gehabt, da es den Zeitnngsofsizinen gelang, für die Streitenden Ersatz zu schaffen. In einer am 2t. Dezember v. I. im deutschen Buchhändlerhanse zu Leipzig abgehaltenen Versammlung der vereinigten Lokalausschüsse dn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/213>, abgerufen am 23.07.2024.