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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Der Stand der Arbeiterbewegung

in Hamburg (fünf Wochen), die Kutscher der Berliner Omnibusgesellschaft, die
Droschkenkutscher von Mainz und Konstanz, die Schlächtergehilfen in Braun¬
schweig, die Gehilfen der Brauereien in Nürnberg und die der Hansa in Ham¬
burg, die Maurer auf verschiednen Bauten in Berlin, Hamburg, Bremer-
haven und Riesa, in Berlin noch außerdem die Arbeiter der Blech-Emballagen¬
fabrik von Supzhnski, die Stockarbeiter von Hamm, die Bälgemacher und
Skinner von Pietschman" und die Schneider der Konfektionsfirma Hoffmann.

Wie man sieht, ist kein Gewerbe verschont geblieben. Besonders zahl¬
reich waren die Arbeitseinstellungen in Berlin, Hamburg, Bremerhaveu, Leipzig
und Fürth. Im ganzen haben sich an diesen Streiks etwa drei- bis vier¬
tausend Arbeiter beteiligt. Als Grund wird meist eine Lohnherabsetzung
angegeben, die sich die Arbeiter im Hinblick auf die herrschende Teuerung
nicht gefallen lassen wollten. Als andre Ursachen werden mehrfach genannt:
schlechte Behandlung, Übernahme von Arbeiten für eine ausstündige Fabrik,
Maßregelungen und Unzufriedenheit infolge von Einführung einer neuen
Arbeitsordnung. Nur in vierzehn Fällen sind die Arbeitseinstellungen zu
Gunsten der Arbeiter verlaufen, oder es ist doch wenigstens durch gegenseitiges
Nachgeben eine Einigung zu stände gekommen. In allen übrigen, namentlich
in denen, die wochenlang angehalten haben, sind die Arbeiter unterlegen, und
die Streiks haben meist mit Aussperrungen geendet. Noch nicht ganz beendet
sind die Streiks der Handschuhmacher und der Weißgerber in Berlin.

Außerdem hat bekanntlich im Buchdruckergewerbe eine größere Arbeits¬
einstellung stattgefunden, die den Angriffsstreiks zuzuzählen ist. Bei ihrer
Bedeutung für die ganze Arbeiterbewegung wollen wir nochmals etwas näher
auf sie eingehen. Im Bnchdruckergewerbe sind nach den einen an 20000, nach
den andern an 30000 Gehilfen und Setzer beschäftigt. Fast die Hälfte gehört
einem Gewerkvereine, dem deutschen Buchdruckergehilfenverbandean, der zu
den bestorganisirten feiner Art gehört. Der über ganz Deutschland sich er¬
streckende Verband zerfällt in einzelne Gauverbüude. Besondre Kassen, die
über bedeutende Mittel verfügen, gewähren den Mitgliedern Unterstützung im
Falle der Invalidität und Arbeitslosigkeit, sowie auf der Wanderschaft. Die
Arbeitsbedingungen sind zuletzt im September 188" mit Vertretern der Prin¬
zipale durch einen für das ganze deutsche Reich geltenden Lvhntarif geregelt
worden. Dieser setzt die Preise für die im Bnchdruckergewerbe sehr verwickelte
Stückarbeit, nach untenhin die Grenze für die Höhe des festen Lohnes, sowie
die Dauer der täglichen Arbeitszeit fest. Die Arbeitszeit beträgt jetzt, sozu¬
sagen 10 Stunden, thatsächlich aber nach Abzug der Pausen nur Stunde.



*) Die Gewerkvereine sind bekanntlich von Hirsch-Duncker nach dem Borbilde der eng¬
lischen Trade-Unions gebildet worden, waren bisher frei von de" Tendenzen der Sozial-
demokratie und unterscheiden sich dadurch von den Fachllereinen der Svzialdeiuokratie, mit
denen sie häufig verwechselt werden.
Der Stand der Arbeiterbewegung

in Hamburg (fünf Wochen), die Kutscher der Berliner Omnibusgesellschaft, die
Droschkenkutscher von Mainz und Konstanz, die Schlächtergehilfen in Braun¬
schweig, die Gehilfen der Brauereien in Nürnberg und die der Hansa in Ham¬
burg, die Maurer auf verschiednen Bauten in Berlin, Hamburg, Bremer-
haven und Riesa, in Berlin noch außerdem die Arbeiter der Blech-Emballagen¬
fabrik von Supzhnski, die Stockarbeiter von Hamm, die Bälgemacher und
Skinner von Pietschman» und die Schneider der Konfektionsfirma Hoffmann.

Wie man sieht, ist kein Gewerbe verschont geblieben. Besonders zahl¬
reich waren die Arbeitseinstellungen in Berlin, Hamburg, Bremerhaveu, Leipzig
und Fürth. Im ganzen haben sich an diesen Streiks etwa drei- bis vier¬
tausend Arbeiter beteiligt. Als Grund wird meist eine Lohnherabsetzung
angegeben, die sich die Arbeiter im Hinblick auf die herrschende Teuerung
nicht gefallen lassen wollten. Als andre Ursachen werden mehrfach genannt:
schlechte Behandlung, Übernahme von Arbeiten für eine ausstündige Fabrik,
Maßregelungen und Unzufriedenheit infolge von Einführung einer neuen
Arbeitsordnung. Nur in vierzehn Fällen sind die Arbeitseinstellungen zu
Gunsten der Arbeiter verlaufen, oder es ist doch wenigstens durch gegenseitiges
Nachgeben eine Einigung zu stände gekommen. In allen übrigen, namentlich
in denen, die wochenlang angehalten haben, sind die Arbeiter unterlegen, und
die Streiks haben meist mit Aussperrungen geendet. Noch nicht ganz beendet
sind die Streiks der Handschuhmacher und der Weißgerber in Berlin.

Außerdem hat bekanntlich im Buchdruckergewerbe eine größere Arbeits¬
einstellung stattgefunden, die den Angriffsstreiks zuzuzählen ist. Bei ihrer
Bedeutung für die ganze Arbeiterbewegung wollen wir nochmals etwas näher
auf sie eingehen. Im Bnchdruckergewerbe sind nach den einen an 20000, nach
den andern an 30000 Gehilfen und Setzer beschäftigt. Fast die Hälfte gehört
einem Gewerkvereine, dem deutschen Buchdruckergehilfenverbandean, der zu
den bestorganisirten feiner Art gehört. Der über ganz Deutschland sich er¬
streckende Verband zerfällt in einzelne Gauverbüude. Besondre Kassen, die
über bedeutende Mittel verfügen, gewähren den Mitgliedern Unterstützung im
Falle der Invalidität und Arbeitslosigkeit, sowie auf der Wanderschaft. Die
Arbeitsbedingungen sind zuletzt im September 188» mit Vertretern der Prin¬
zipale durch einen für das ganze deutsche Reich geltenden Lvhntarif geregelt
worden. Dieser setzt die Preise für die im Bnchdruckergewerbe sehr verwickelte
Stückarbeit, nach untenhin die Grenze für die Höhe des festen Lohnes, sowie
die Dauer der täglichen Arbeitszeit fest. Die Arbeitszeit beträgt jetzt, sozu¬
sagen 10 Stunden, thatsächlich aber nach Abzug der Pausen nur Stunde.



*) Die Gewerkvereine sind bekanntlich von Hirsch-Duncker nach dem Borbilde der eng¬
lischen Trade-Unions gebildet worden, waren bisher frei von de» Tendenzen der Sozial-
demokratie und unterscheiden sich dadurch von den Fachllereinen der Svzialdeiuokratie, mit
denen sie häufig verwechselt werden.
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[0212] Der Stand der Arbeiterbewegung in Hamburg (fünf Wochen), die Kutscher der Berliner Omnibusgesellschaft, die Droschkenkutscher von Mainz und Konstanz, die Schlächtergehilfen in Braun¬ schweig, die Gehilfen der Brauereien in Nürnberg und die der Hansa in Ham¬ burg, die Maurer auf verschiednen Bauten in Berlin, Hamburg, Bremer- haven und Riesa, in Berlin noch außerdem die Arbeiter der Blech-Emballagen¬ fabrik von Supzhnski, die Stockarbeiter von Hamm, die Bälgemacher und Skinner von Pietschman» und die Schneider der Konfektionsfirma Hoffmann. Wie man sieht, ist kein Gewerbe verschont geblieben. Besonders zahl¬ reich waren die Arbeitseinstellungen in Berlin, Hamburg, Bremerhaveu, Leipzig und Fürth. Im ganzen haben sich an diesen Streiks etwa drei- bis vier¬ tausend Arbeiter beteiligt. Als Grund wird meist eine Lohnherabsetzung angegeben, die sich die Arbeiter im Hinblick auf die herrschende Teuerung nicht gefallen lassen wollten. Als andre Ursachen werden mehrfach genannt: schlechte Behandlung, Übernahme von Arbeiten für eine ausstündige Fabrik, Maßregelungen und Unzufriedenheit infolge von Einführung einer neuen Arbeitsordnung. Nur in vierzehn Fällen sind die Arbeitseinstellungen zu Gunsten der Arbeiter verlaufen, oder es ist doch wenigstens durch gegenseitiges Nachgeben eine Einigung zu stände gekommen. In allen übrigen, namentlich in denen, die wochenlang angehalten haben, sind die Arbeiter unterlegen, und die Streiks haben meist mit Aussperrungen geendet. Noch nicht ganz beendet sind die Streiks der Handschuhmacher und der Weißgerber in Berlin. Außerdem hat bekanntlich im Buchdruckergewerbe eine größere Arbeits¬ einstellung stattgefunden, die den Angriffsstreiks zuzuzählen ist. Bei ihrer Bedeutung für die ganze Arbeiterbewegung wollen wir nochmals etwas näher auf sie eingehen. Im Bnchdruckergewerbe sind nach den einen an 20000, nach den andern an 30000 Gehilfen und Setzer beschäftigt. Fast die Hälfte gehört einem Gewerkvereine, dem deutschen Buchdruckergehilfenverbandean, der zu den bestorganisirten feiner Art gehört. Der über ganz Deutschland sich er¬ streckende Verband zerfällt in einzelne Gauverbüude. Besondre Kassen, die über bedeutende Mittel verfügen, gewähren den Mitgliedern Unterstützung im Falle der Invalidität und Arbeitslosigkeit, sowie auf der Wanderschaft. Die Arbeitsbedingungen sind zuletzt im September 188» mit Vertretern der Prin¬ zipale durch einen für das ganze deutsche Reich geltenden Lvhntarif geregelt worden. Dieser setzt die Preise für die im Bnchdruckergewerbe sehr verwickelte Stückarbeit, nach untenhin die Grenze für die Höhe des festen Lohnes, sowie die Dauer der täglichen Arbeitszeit fest. Die Arbeitszeit beträgt jetzt, sozu¬ sagen 10 Stunden, thatsächlich aber nach Abzug der Pausen nur Stunde. *) Die Gewerkvereine sind bekanntlich von Hirsch-Duncker nach dem Borbilde der eng¬ lischen Trade-Unions gebildet worden, waren bisher frei von de» Tendenzen der Sozial- demokratie und unterscheiden sich dadurch von den Fachllereinen der Svzialdeiuokratie, mit denen sie häufig verwechselt werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/212>, abgerufen am 23.07.2024.