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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Der Stand der Arbeiterbewegung

In: Saarrevier soll der Rechtsschutzverein, der dort die Seele der Be¬
wegung ist, ebenfalls an Anhang verlieren. Die Bergwerksdirektion legte über¬
dies den gesamten Vorstand des Vereins von der Arbeit ab. Die Kasse wurde
vou den Gerichten wegen mangelhafter Führung der Bücher in Beschlag ge¬
nommen. Die Versuche der Führer, durch Versammlungen, in denen auch
der bekannte westfälische Agitator Siegel sprach, die Bewegung wieder in
Fluß zu bringe", fanden bei den Bergleuten wenig Entgegenkommen. Endlich
verlor die Bewegung durch die Uneinigkeit der Führer selbst an Boden, die
sich zuletzt wegen ihres ungebührlichen Auftretens wieder einmal eine Ver¬
haftung durch die Gerichte zuzogen. Unter den Bergleuten wird daher zunächst
eine Reorganisation des Rechtsschutzvereins angestrebt. Manche haben sich den
evangelischen Arbeitervereinen zugewandt. Diese, sowie die nichtkonfessionellen,
reichstreuen Arbeitervereine sollen auch in den andern Bergrevieren, wie in
Mansfeld, Waldenburg und Oberschlesien erstarken. Im Mansfeldischen beläuft
sich die Zahl ihrer Mitglieder auf dreitausend und umfaßt also fast ein Drittel
der Gesamtbelegschaft des Reviers. Auf der ander" Seite haben aber auch
die bekannten Führer der westfälischen Bewegung Agitationsreiseu fast nach
allen Bergrevieren unternommen und sind weiter bemüht gewesen, den "alten
Verband" zu einem allgemeinen deutsche" Bergnrbeiterverbande zu erweitern.
Auch nach andern Anzeichen erscheint die Bewegung noch nicht als gänzlich
beendet. Die Gründung vou Arbeiterkonsumvereinen lediglich zu dem Zwecke,
den Arbeitern bei Streiks den Bezug vou Lebensmitteln zu erleichtern, macht
im westfälischen Revier angeblich große Fortschritte. Dein "alten Verbände"
sind vom April bis zum September vorige" Jahres an 5!) 4t ö Mark Beiträge
zugegangen, sodnß er nach Abzug der Ausgaben schon wieder über einen
baren Bestand von 21925 Mark verfügt. Augenscheinlich hat die Opfer¬
willigkeit der Bergleute "och nicht sehr nachgelassen. Selbst der politisch ge¬
mäßigte Verein "Glückauf" hält ferner an den bekannten Forderungen,
namentlich an dem Hauptstreitpuukte, der achtstündige" Schicht mit Einschluß
von Ein- und Ausfahrt, sowie a" der Nvtweiidigkeit der Reorganisation des
Knappschaftswesens fest. Eine Versammlung von vierhundert Arbeitern der
Zeche Hasenwinkel erklärte die Erfüllung dieser Forderungen nur für eine Frage
der Zeit. Auch der Grubenausschnß des Saarreviers soll sie in einer erneute"
Eingabe an den Minister geltend gemacht haben. Der Verein "Glück auf"
verlangt überdies "och: l. die Einführung des Befähigungsnachweises für
Bergleute, 2. Bezahlung der Arbeitsleistung nach eine", bestimmten Maß oder
nach Gewicht, c!. die Einführung von Grubenausschüssen, 4. desgleichen von
Lohn- und Akkordbüchern, worin der vereinbarte Lohn- oder Gedingesatz mit
rechtsverbindlicher Kraft einzutragen ist, 5. die Anstellung und Entlassung
der Werksbeamten vom Steiger bis zum Betriebssichrer aufwärts durch die
Bergbehörde. Einige von diesen Wünschen dürften Wohl durch die Novelle


Der Stand der Arbeiterbewegung

In: Saarrevier soll der Rechtsschutzverein, der dort die Seele der Be¬
wegung ist, ebenfalls an Anhang verlieren. Die Bergwerksdirektion legte über¬
dies den gesamten Vorstand des Vereins von der Arbeit ab. Die Kasse wurde
vou den Gerichten wegen mangelhafter Führung der Bücher in Beschlag ge¬
nommen. Die Versuche der Führer, durch Versammlungen, in denen auch
der bekannte westfälische Agitator Siegel sprach, die Bewegung wieder in
Fluß zu bringe», fanden bei den Bergleuten wenig Entgegenkommen. Endlich
verlor die Bewegung durch die Uneinigkeit der Führer selbst an Boden, die
sich zuletzt wegen ihres ungebührlichen Auftretens wieder einmal eine Ver¬
haftung durch die Gerichte zuzogen. Unter den Bergleuten wird daher zunächst
eine Reorganisation des Rechtsschutzvereins angestrebt. Manche haben sich den
evangelischen Arbeitervereinen zugewandt. Diese, sowie die nichtkonfessionellen,
reichstreuen Arbeitervereine sollen auch in den andern Bergrevieren, wie in
Mansfeld, Waldenburg und Oberschlesien erstarken. Im Mansfeldischen beläuft
sich die Zahl ihrer Mitglieder auf dreitausend und umfaßt also fast ein Drittel
der Gesamtbelegschaft des Reviers. Auf der ander» Seite haben aber auch
die bekannten Führer der westfälischen Bewegung Agitationsreiseu fast nach
allen Bergrevieren unternommen und sind weiter bemüht gewesen, den „alten
Verband" zu einem allgemeinen deutsche» Bergnrbeiterverbande zu erweitern.
Auch nach andern Anzeichen erscheint die Bewegung noch nicht als gänzlich
beendet. Die Gründung vou Arbeiterkonsumvereinen lediglich zu dem Zwecke,
den Arbeitern bei Streiks den Bezug vou Lebensmitteln zu erleichtern, macht
im westfälischen Revier angeblich große Fortschritte. Dein „alten Verbände"
sind vom April bis zum September vorige» Jahres an 5!) 4t ö Mark Beiträge
zugegangen, sodnß er nach Abzug der Ausgaben schon wieder über einen
baren Bestand von 21925 Mark verfügt. Augenscheinlich hat die Opfer¬
willigkeit der Bergleute »och nicht sehr nachgelassen. Selbst der politisch ge¬
mäßigte Verein „Glückauf" hält ferner an den bekannten Forderungen,
namentlich an dem Hauptstreitpuukte, der achtstündige» Schicht mit Einschluß
von Ein- und Ausfahrt, sowie a» der Nvtweiidigkeit der Reorganisation des
Knappschaftswesens fest. Eine Versammlung von vierhundert Arbeitern der
Zeche Hasenwinkel erklärte die Erfüllung dieser Forderungen nur für eine Frage
der Zeit. Auch der Grubenausschnß des Saarreviers soll sie in einer erneute»
Eingabe an den Minister geltend gemacht haben. Der Verein „Glück auf"
verlangt überdies »och: l. die Einführung des Befähigungsnachweises für
Bergleute, 2. Bezahlung der Arbeitsleistung nach eine», bestimmten Maß oder
nach Gewicht, c!. die Einführung von Grubenausschüssen, 4. desgleichen von
Lohn- und Akkordbüchern, worin der vereinbarte Lohn- oder Gedingesatz mit
rechtsverbindlicher Kraft einzutragen ist, 5. die Anstellung und Entlassung
der Werksbeamten vom Steiger bis zum Betriebssichrer aufwärts durch die
Bergbehörde. Einige von diesen Wünschen dürften Wohl durch die Novelle


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[0210] Der Stand der Arbeiterbewegung In: Saarrevier soll der Rechtsschutzverein, der dort die Seele der Be¬ wegung ist, ebenfalls an Anhang verlieren. Die Bergwerksdirektion legte über¬ dies den gesamten Vorstand des Vereins von der Arbeit ab. Die Kasse wurde vou den Gerichten wegen mangelhafter Führung der Bücher in Beschlag ge¬ nommen. Die Versuche der Führer, durch Versammlungen, in denen auch der bekannte westfälische Agitator Siegel sprach, die Bewegung wieder in Fluß zu bringe», fanden bei den Bergleuten wenig Entgegenkommen. Endlich verlor die Bewegung durch die Uneinigkeit der Führer selbst an Boden, die sich zuletzt wegen ihres ungebührlichen Auftretens wieder einmal eine Ver¬ haftung durch die Gerichte zuzogen. Unter den Bergleuten wird daher zunächst eine Reorganisation des Rechtsschutzvereins angestrebt. Manche haben sich den evangelischen Arbeitervereinen zugewandt. Diese, sowie die nichtkonfessionellen, reichstreuen Arbeitervereine sollen auch in den andern Bergrevieren, wie in Mansfeld, Waldenburg und Oberschlesien erstarken. Im Mansfeldischen beläuft sich die Zahl ihrer Mitglieder auf dreitausend und umfaßt also fast ein Drittel der Gesamtbelegschaft des Reviers. Auf der ander» Seite haben aber auch die bekannten Führer der westfälischen Bewegung Agitationsreiseu fast nach allen Bergrevieren unternommen und sind weiter bemüht gewesen, den „alten Verband" zu einem allgemeinen deutsche» Bergnrbeiterverbande zu erweitern. Auch nach andern Anzeichen erscheint die Bewegung noch nicht als gänzlich beendet. Die Gründung vou Arbeiterkonsumvereinen lediglich zu dem Zwecke, den Arbeitern bei Streiks den Bezug vou Lebensmitteln zu erleichtern, macht im westfälischen Revier angeblich große Fortschritte. Dein „alten Verbände" sind vom April bis zum September vorige» Jahres an 5!) 4t ö Mark Beiträge zugegangen, sodnß er nach Abzug der Ausgaben schon wieder über einen baren Bestand von 21925 Mark verfügt. Augenscheinlich hat die Opfer¬ willigkeit der Bergleute »och nicht sehr nachgelassen. Selbst der politisch ge¬ mäßigte Verein „Glückauf" hält ferner an den bekannten Forderungen, namentlich an dem Hauptstreitpuukte, der achtstündige» Schicht mit Einschluß von Ein- und Ausfahrt, sowie a» der Nvtweiidigkeit der Reorganisation des Knappschaftswesens fest. Eine Versammlung von vierhundert Arbeitern der Zeche Hasenwinkel erklärte die Erfüllung dieser Forderungen nur für eine Frage der Zeit. Auch der Grubenausschnß des Saarreviers soll sie in einer erneute» Eingabe an den Minister geltend gemacht haben. Der Verein „Glück auf" verlangt überdies »och: l. die Einführung des Befähigungsnachweises für Bergleute, 2. Bezahlung der Arbeitsleistung nach eine», bestimmten Maß oder nach Gewicht, c!. die Einführung von Grubenausschüssen, 4. desgleichen von Lohn- und Akkordbüchern, worin der vereinbarte Lohn- oder Gedingesatz mit rechtsverbindlicher Kraft einzutragen ist, 5. die Anstellung und Entlassung der Werksbeamten vom Steiger bis zum Betriebssichrer aufwärts durch die Bergbehörde. Einige von diesen Wünschen dürften Wohl durch die Novelle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/210>, abgerufen am 23.07.2024.