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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Der ^laut der Arbeiterbewegung

eit unserm letzten Bericht über die Arbeiterbewegung ist ein
halbes Jahr verflossen. Unsre Leser werden den berechtigten
Wunsch haben, über den Fortgang unterrichtet zu werden.

In der Bergarbeiterbewegung ist erfreulicherweise äußerlich
wenigstens ein Stillstand eingetreten. Zwar ist es noch auf
den Anhaltischen Braunkohlenwerkeu bei Frohe und dem Erzbergwerke bei Holz-
appel zu kurzen Arbeitseinstellungen gekommen, doch haben sich in den großen
Steinkohlenrevieren Westfalens und der Saar die Bergleute nach den mi߬
glückter Aufständen des vorigen Frühjahrs ruhig Verhalten.

In Westfalen hat der sogenannte "alte Verband," dem an 57000
Bergleute angehörten, und von dem bisher jeder Streik ausgegangen ist, ent¬
schieden an Ansehn verloren, seitdem die Leitung völlig in das sozialdemo¬
kratische Lager übergegangen ist. Die Zahl der Mitglieder soll in der Abnahme
begriffen sein. Wenigstens waren die Versammlungen des Verbands äußerst
schwach besucht. Auf der Generalversammlung in Bochum erschienen uur 72
Delegirte, während ihre Zahl sonst weit über hundert betragen hat. Viele
Belegschaften hatten es unterlassen, einen Vertreter zu wählen. Die Versuche
der Leitung, die Hütten- und Fabrikarbeiter für den Verband zu gewinnen,
erwiesen sich bald als aussichtslos und wurden überdies in den Kreisen der
Bergarbeiter selbst nicht gern gesehen. Die Arbeiter wünschen, daß ihrer Be¬
wegung der ausschließlich bergmännische Charakter erhalten bleibe. Aber auch
der neue christlich-patriotische Verband "Glückaus" findet nicht die erwartete
Unterstützung. Angeblich wenden sich die Bergleute jetzt mehr den Gewerk¬
vereinen zu. Doch überragt der "alte Verband" selbstverständlich noch immer
alle andern Bergarbeitervereine, auch die noch bestehenden evangelischen, weit
ein Mitgliederzahl.


Grenzboten I 1892 2t>


Der ^laut der Arbeiterbewegung

eit unserm letzten Bericht über die Arbeiterbewegung ist ein
halbes Jahr verflossen. Unsre Leser werden den berechtigten
Wunsch haben, über den Fortgang unterrichtet zu werden.

In der Bergarbeiterbewegung ist erfreulicherweise äußerlich
wenigstens ein Stillstand eingetreten. Zwar ist es noch auf
den Anhaltischen Braunkohlenwerkeu bei Frohe und dem Erzbergwerke bei Holz-
appel zu kurzen Arbeitseinstellungen gekommen, doch haben sich in den großen
Steinkohlenrevieren Westfalens und der Saar die Bergleute nach den mi߬
glückter Aufständen des vorigen Frühjahrs ruhig Verhalten.

In Westfalen hat der sogenannte „alte Verband," dem an 57000
Bergleute angehörten, und von dem bisher jeder Streik ausgegangen ist, ent¬
schieden an Ansehn verloren, seitdem die Leitung völlig in das sozialdemo¬
kratische Lager übergegangen ist. Die Zahl der Mitglieder soll in der Abnahme
begriffen sein. Wenigstens waren die Versammlungen des Verbands äußerst
schwach besucht. Auf der Generalversammlung in Bochum erschienen uur 72
Delegirte, während ihre Zahl sonst weit über hundert betragen hat. Viele
Belegschaften hatten es unterlassen, einen Vertreter zu wählen. Die Versuche
der Leitung, die Hütten- und Fabrikarbeiter für den Verband zu gewinnen,
erwiesen sich bald als aussichtslos und wurden überdies in den Kreisen der
Bergarbeiter selbst nicht gern gesehen. Die Arbeiter wünschen, daß ihrer Be¬
wegung der ausschließlich bergmännische Charakter erhalten bleibe. Aber auch
der neue christlich-patriotische Verband „Glückaus" findet nicht die erwartete
Unterstützung. Angeblich wenden sich die Bergleute jetzt mehr den Gewerk¬
vereinen zu. Doch überragt der „alte Verband" selbstverständlich noch immer
alle andern Bergarbeitervereine, auch die noch bestehenden evangelischen, weit
ein Mitgliederzahl.


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[0209] [Abbildung] Der ^laut der Arbeiterbewegung eit unserm letzten Bericht über die Arbeiterbewegung ist ein halbes Jahr verflossen. Unsre Leser werden den berechtigten Wunsch haben, über den Fortgang unterrichtet zu werden. In der Bergarbeiterbewegung ist erfreulicherweise äußerlich wenigstens ein Stillstand eingetreten. Zwar ist es noch auf den Anhaltischen Braunkohlenwerkeu bei Frohe und dem Erzbergwerke bei Holz- appel zu kurzen Arbeitseinstellungen gekommen, doch haben sich in den großen Steinkohlenrevieren Westfalens und der Saar die Bergleute nach den mi߬ glückter Aufständen des vorigen Frühjahrs ruhig Verhalten. In Westfalen hat der sogenannte „alte Verband," dem an 57000 Bergleute angehörten, und von dem bisher jeder Streik ausgegangen ist, ent¬ schieden an Ansehn verloren, seitdem die Leitung völlig in das sozialdemo¬ kratische Lager übergegangen ist. Die Zahl der Mitglieder soll in der Abnahme begriffen sein. Wenigstens waren die Versammlungen des Verbands äußerst schwach besucht. Auf der Generalversammlung in Bochum erschienen uur 72 Delegirte, während ihre Zahl sonst weit über hundert betragen hat. Viele Belegschaften hatten es unterlassen, einen Vertreter zu wählen. Die Versuche der Leitung, die Hütten- und Fabrikarbeiter für den Verband zu gewinnen, erwiesen sich bald als aussichtslos und wurden überdies in den Kreisen der Bergarbeiter selbst nicht gern gesehen. Die Arbeiter wünschen, daß ihrer Be¬ wegung der ausschließlich bergmännische Charakter erhalten bleibe. Aber auch der neue christlich-patriotische Verband „Glückaus" findet nicht die erwartete Unterstützung. Angeblich wenden sich die Bergleute jetzt mehr den Gewerk¬ vereinen zu. Doch überragt der „alte Verband" selbstverständlich noch immer alle andern Bergarbeitervereine, auch die noch bestehenden evangelischen, weit ein Mitgliederzahl. Grenzboten I 1892 2t>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/209>, abgerufen am 23.07.2024.