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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das Zuhälterweseu und die Gesetzgebung

dreht sich denn in der Beratung der Streit darum, ob man nicht aus dem Um¬
stände, daß der Angeklagte von seiner Dirne Geld erhalten hat, ohne weiteres
darauf schließen müsse, daß er ihr auch Kupplerdienste geleistet habe, denn
was sollte sie schließlich bewogen haben, Geld zu geben? Doch verflüchtigt
sich da der Beweis für den ganzen objektiven Thatbestand bedenklich ins
Hypothetische. Er würde ausschließlich auf der Aunahme einer rein ver¬
ständigen, auch dem Fernstehenden verständlichen Handlungsweise der Dirne
beruhen, lind der Kriminalist weiß, wie unsicher eine solche Grundlage ist.
Mit Recht will schon deshalb manchem jener Schluß zu kühn erscheinen. Es
ist aber noch ein Umstand, der ihn eigentlich geradezu verbietet. Das ist die
schon erwähnte Fortentwickelung, die das Znhälterwesen heutzutage genommen
hat. Der Zuhälter, faul und im Grunde auch feig, wie er ist, findet natür¬
lich seine nächtliche Arbeit auf der Straße unbequem und nicht ungefährlich,
und hat gelernt, auch ohne solche zu seinem Ziele zu kommen. Er hängt sich
dem Mädchen an, auch wenn sie ihn nicht haben will, er zwingt sie mit
ihm zu leben und ihm von ihrem Verdienst zu geben, auch ohne daß er dafür
etwas leistet. Weist sie ihn zurück, so hat er leichte Mittel, ihr das Gewerbe
und ihre Existenz gänzlich zu verderben. Dann weiß er jede Annäherung
eines Mannes durch sein brutales Dazwischentreten zu verhindern, dann lenkt
er, statt die Dirne vor dem Wächter zu warnen, dnrch sehr einfache Mittel
dessen Aufmerksamkeit auf sie, er verfolgt sie auf allen ihren Wegen, und
wenn alles nichts hilft, überfällt er sie und mißhandelt sie, und nicht er
allein, die ganze Rotte der Zuhälter, die wie Kletten zusammenhängen, unter¬
stützt ihn, bis die Dirne mürbe geworden ist und ihren hoffnungslosen Wider¬
stand aufgiebt. Von einem "Beschützer" der Dirne kann da nicht mehr die
Rede sein. Was aber den Menschen gefährlich macht, was seiue Lebenssührung
so ehrlos und verwerflich erscheinen läßt, daß mit aller Energie gegen ihn
vorgegangen werden muß, das ist geblieben. Sind so die Fälle gar nicht selten,
wo der Zuhälter eine kupplerische Thätigkeit überhaupt nicht entfaltet, so stellt sich
ein besondres Strafgesetz gegen ihn vollends als unabweisbares Bedürfnis heraus.

Schließlich könnte man allerdings auch deu Gesichtspunkt der Anstiftung
verwerten. Der Zuhälter, der die Dirne zur unerlaubten Unzucht oder zur
Übertretung der Kontrollvorschriften anstiftet, kann mit Haft und Überweisung
an die Lnndespolizeibehvrde (Strafgesetzbuch 8§ 361b, 43) bestraft werden.
Ich weiß nicht, ob dieser Gesichtspunkt irgendwo in Anwendung gebracht worden
ist, zulässig ist er jedenfalls. Aber auch er ist unvollkommen. Der
Beweis der Anstiftung überhaupt ist schwierig, in vielen Fällen wird auch
thatsächlich keine Anstiftung vorliegen. Wer will ein Urteil darüber gewinnen,
vielleicht wissen es die Betreffenden selbst nicht, von welchem Teile der Antrieb
zu den Übertretungen der Dirne im einzelnen, zu ihrer Lebensführung im
allgemeinen ausgegangen ist.


Das Zuhälterweseu und die Gesetzgebung

dreht sich denn in der Beratung der Streit darum, ob man nicht aus dem Um¬
stände, daß der Angeklagte von seiner Dirne Geld erhalten hat, ohne weiteres
darauf schließen müsse, daß er ihr auch Kupplerdienste geleistet habe, denn
was sollte sie schließlich bewogen haben, Geld zu geben? Doch verflüchtigt
sich da der Beweis für den ganzen objektiven Thatbestand bedenklich ins
Hypothetische. Er würde ausschließlich auf der Aunahme einer rein ver¬
ständigen, auch dem Fernstehenden verständlichen Handlungsweise der Dirne
beruhen, lind der Kriminalist weiß, wie unsicher eine solche Grundlage ist.
Mit Recht will schon deshalb manchem jener Schluß zu kühn erscheinen. Es
ist aber noch ein Umstand, der ihn eigentlich geradezu verbietet. Das ist die
schon erwähnte Fortentwickelung, die das Znhälterwesen heutzutage genommen
hat. Der Zuhälter, faul und im Grunde auch feig, wie er ist, findet natür¬
lich seine nächtliche Arbeit auf der Straße unbequem und nicht ungefährlich,
und hat gelernt, auch ohne solche zu seinem Ziele zu kommen. Er hängt sich
dem Mädchen an, auch wenn sie ihn nicht haben will, er zwingt sie mit
ihm zu leben und ihm von ihrem Verdienst zu geben, auch ohne daß er dafür
etwas leistet. Weist sie ihn zurück, so hat er leichte Mittel, ihr das Gewerbe
und ihre Existenz gänzlich zu verderben. Dann weiß er jede Annäherung
eines Mannes durch sein brutales Dazwischentreten zu verhindern, dann lenkt
er, statt die Dirne vor dem Wächter zu warnen, dnrch sehr einfache Mittel
dessen Aufmerksamkeit auf sie, er verfolgt sie auf allen ihren Wegen, und
wenn alles nichts hilft, überfällt er sie und mißhandelt sie, und nicht er
allein, die ganze Rotte der Zuhälter, die wie Kletten zusammenhängen, unter¬
stützt ihn, bis die Dirne mürbe geworden ist und ihren hoffnungslosen Wider¬
stand aufgiebt. Von einem „Beschützer" der Dirne kann da nicht mehr die
Rede sein. Was aber den Menschen gefährlich macht, was seiue Lebenssührung
so ehrlos und verwerflich erscheinen läßt, daß mit aller Energie gegen ihn
vorgegangen werden muß, das ist geblieben. Sind so die Fälle gar nicht selten,
wo der Zuhälter eine kupplerische Thätigkeit überhaupt nicht entfaltet, so stellt sich
ein besondres Strafgesetz gegen ihn vollends als unabweisbares Bedürfnis heraus.

Schließlich könnte man allerdings auch deu Gesichtspunkt der Anstiftung
verwerten. Der Zuhälter, der die Dirne zur unerlaubten Unzucht oder zur
Übertretung der Kontrollvorschriften anstiftet, kann mit Haft und Überweisung
an die Lnndespolizeibehvrde (Strafgesetzbuch 8§ 361b, 43) bestraft werden.
Ich weiß nicht, ob dieser Gesichtspunkt irgendwo in Anwendung gebracht worden
ist, zulässig ist er jedenfalls. Aber auch er ist unvollkommen. Der
Beweis der Anstiftung überhaupt ist schwierig, in vielen Fällen wird auch
thatsächlich keine Anstiftung vorliegen. Wer will ein Urteil darüber gewinnen,
vielleicht wissen es die Betreffenden selbst nicht, von welchem Teile der Antrieb
zu den Übertretungen der Dirne im einzelnen, zu ihrer Lebensführung im
allgemeinen ausgegangen ist.


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[0174] Das Zuhälterweseu und die Gesetzgebung dreht sich denn in der Beratung der Streit darum, ob man nicht aus dem Um¬ stände, daß der Angeklagte von seiner Dirne Geld erhalten hat, ohne weiteres darauf schließen müsse, daß er ihr auch Kupplerdienste geleistet habe, denn was sollte sie schließlich bewogen haben, Geld zu geben? Doch verflüchtigt sich da der Beweis für den ganzen objektiven Thatbestand bedenklich ins Hypothetische. Er würde ausschließlich auf der Aunahme einer rein ver¬ ständigen, auch dem Fernstehenden verständlichen Handlungsweise der Dirne beruhen, lind der Kriminalist weiß, wie unsicher eine solche Grundlage ist. Mit Recht will schon deshalb manchem jener Schluß zu kühn erscheinen. Es ist aber noch ein Umstand, der ihn eigentlich geradezu verbietet. Das ist die schon erwähnte Fortentwickelung, die das Znhälterwesen heutzutage genommen hat. Der Zuhälter, faul und im Grunde auch feig, wie er ist, findet natür¬ lich seine nächtliche Arbeit auf der Straße unbequem und nicht ungefährlich, und hat gelernt, auch ohne solche zu seinem Ziele zu kommen. Er hängt sich dem Mädchen an, auch wenn sie ihn nicht haben will, er zwingt sie mit ihm zu leben und ihm von ihrem Verdienst zu geben, auch ohne daß er dafür etwas leistet. Weist sie ihn zurück, so hat er leichte Mittel, ihr das Gewerbe und ihre Existenz gänzlich zu verderben. Dann weiß er jede Annäherung eines Mannes durch sein brutales Dazwischentreten zu verhindern, dann lenkt er, statt die Dirne vor dem Wächter zu warnen, dnrch sehr einfache Mittel dessen Aufmerksamkeit auf sie, er verfolgt sie auf allen ihren Wegen, und wenn alles nichts hilft, überfällt er sie und mißhandelt sie, und nicht er allein, die ganze Rotte der Zuhälter, die wie Kletten zusammenhängen, unter¬ stützt ihn, bis die Dirne mürbe geworden ist und ihren hoffnungslosen Wider¬ stand aufgiebt. Von einem „Beschützer" der Dirne kann da nicht mehr die Rede sein. Was aber den Menschen gefährlich macht, was seiue Lebenssührung so ehrlos und verwerflich erscheinen läßt, daß mit aller Energie gegen ihn vorgegangen werden muß, das ist geblieben. Sind so die Fälle gar nicht selten, wo der Zuhälter eine kupplerische Thätigkeit überhaupt nicht entfaltet, so stellt sich ein besondres Strafgesetz gegen ihn vollends als unabweisbares Bedürfnis heraus. Schließlich könnte man allerdings auch deu Gesichtspunkt der Anstiftung verwerten. Der Zuhälter, der die Dirne zur unerlaubten Unzucht oder zur Übertretung der Kontrollvorschriften anstiftet, kann mit Haft und Überweisung an die Lnndespolizeibehvrde (Strafgesetzbuch 8§ 361b, 43) bestraft werden. Ich weiß nicht, ob dieser Gesichtspunkt irgendwo in Anwendung gebracht worden ist, zulässig ist er jedenfalls. Aber auch er ist unvollkommen. Der Beweis der Anstiftung überhaupt ist schwierig, in vielen Fällen wird auch thatsächlich keine Anstiftung vorliegen. Wer will ein Urteil darüber gewinnen, vielleicht wissen es die Betreffenden selbst nicht, von welchem Teile der Antrieb zu den Übertretungen der Dirne im einzelnen, zu ihrer Lebensführung im allgemeinen ausgegangen ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/174>, abgerufen am 23.07.2024.